Untertitel: Missionarin in Deutsch-Neuguinea 1907-1913 Herausgeber: Dieter Klein Reihe: Quellen und Forschungen zur Südsee. Reihe A: Quellen 1 Harrassowitz Verlag Wiesbaden, 2005 Broschur, 17x24 cm, 249 Seiten, 34 sw-Fotos Johanna Diehl (1881-1946), aus einem abgelegenen Dorf im Siegerland stammend, wurde von der Rheinischen Mission in Barmen am Anfang des 20. Jahrhunderts nach Neuguinea in die Astrolabe-Bucht gesandt. Sie sollte dort den ihr unbekannten Missionar Wilhelm Diehl heiraten, der 1904 seine erste, an Schwarzwasserfieber erkrankte Frau verloren hatte. Johanna Diehls Tagebücher (1907-1913) berichten auf eindrucksvolle Weise, wie sie den nicht gerade einfachen kolonialen Alltag im wilhelminischen Neuguinea meistert. Der Leser begleitet sie auf ihrem Werdegang hin zur verlässlichen Gefährtin ihres Mannes, die sich auch als Vertraute der melanesischen Frauen ihres Wirkungsfeldes unentbehrlich macht. In einem Anhang wird das tragische Schicksal des Melanesiers Takari geschildert, den Johanna und ihr Mann mit nach Deutschland nahmen und der dort 1917 starb. Fotos aus dem Nachlass der Missionarsfamilie, die hier erstmals veröffentlicht werden, veranschaulichen die Schilderungen eindrucksvoll. Jehova se nami, nami - „Gott herrscht seit langer, langer Zeit", ein Ausdruck aus der heute fast verschwundenen Bogadjimsprache, sind die Tagebücher der Missionarsfrau Johanna Diehl zu Recht überschrieben. Der erste Band der Reihe A der „Quellen und Forschungen zur Südsee" macht die Erfahrungen einer deutschen Frau im missionarischen und kolonialen Um-feld Deutsch-Neuguineas deutlich. Die Perspektive der Frau im kolonialen Alltag Deutsch-Neuguineas wird auch im Mittelpunkt der folgenden Bände der Reihe stehen. Johanna Fellmann lebte in der Nähe des deutschen Regierungssitzes im Bismarckarchipel und konnte noch stärker als Johanna Diehl die Einflüße und Auswirkungen des kolonialen Systems beobachten. Heinrich Fellmann war als methodistischer Missionar einer der wichtigsten deutschen Ratgeber von Gouverneur Albert Hahl. Schließlich werden gegenwärtig auch die Tagebücher von Marta Wostrack zur Herausgabe vorbereitet. Sie war die Ehefrau des ersten deutschen Stationsleiters von Namatanai (Süd-Neumecklenburg/New Ireland) und erführ nahezu tagtäglich Eindrücke des allerersten Kulturkontakts zwischen Europäern und Einheimischen. Das Ehepaar Diehl gehörte zur Rheinischen Mission, der gemeinhin wenig prägender Einfluß auf die indigene Bevölkerung an der Nordostküste Deutsch-Neuguineas attestiert wird. Wie stark dennoch auch durch sie der kulturelle Wandel vorangetrieben wurde, wird aus den Tagebüchern verschiedentlich deutlich. „Buschkanaken" nannte die Jugend Bogadjims verächtlich jene Alten, die bei den ersten Filmvorführungen durch den Missionar Diehl nicht den Mund halten konnten. Der Zerfall der traditionellen Strukturen, die Unterhöhlung der bislang maßgebenden Pfeiler von Autorität und Disziplin, war nur wenige Jahrzehnte nach dem Beginn der missionarischen Arbeit bereits weit fortgeschritten. Aus der alten Ordnung, die eine Ordnung der Alten gewesen war, wurde keinesfalls sofort etwas Neues, das so klar akzentuiert und definiert gewesen wäre wie zuvor üblich. Der Negation des Alten, die sich unter dem Einfluß der Europäer und der von Europäern initiierten Auflösungserscheinungen durchsetzte, folgte jeenfalls nicht automatisch eine vollständige Substitution durch bislang Ungewohntes. Vorherrschend war vielmehr ein unklares, nicht synthetisches, sondern fast willkürlich erscheinendes Gemisch von alt und neu, gewohnt und ungewohnt, das chaosähnliche Züge trug. Zu den wichtigsten Trägern neuer Ideen und Vorstellungen gehörten jene, die nicht nur im Umfeld von europäisch-kolonialem Einfluß lebten oder arbeiteten, sondern die - freiwillig oder unfreiwillig - nach Europa selbst kamen oder gebracht wurden. Es dürften ein gutes Dutzend Melanesen aus Deutsch-Neuguinea gewesen sein, die sich für längere Zeit im kaiserlichen Deutschland aufgehalten haben. Über sie ist bislang nur wenig bekannt. Die Erforschung ihrer Geschichte und Lebensumstände ist ein auffälliges Desiderat der Forschung. Deshalb werden im Anhang zur vorliegenden Quelle auch zwei deutsche Berichte über den tragischen Fall des Bogadjimmannes Takari vorgelegt, der mit Johanna und Wilhelm Diehl nach Deutschland ging, aber seine Heimat nie mehr wiedersehen sollte. Daß man die Perspektive, aus der diese Berichte geschrieben wurden, bei einer historischen Aufarbeitung und Bewertung derselben berücksichtigen muß, versteht sich von selbst. Vorschläge zur Veröffentlichung in der Reihe werden jederzeit entgegengenommen. Interessenten wenden sich an: Prof. Dr. Hermann Hiery Lehrstuhl für Neueste Geschichte Universität Bayreuth 95440 Bayreuth Fax: 0921/55-8441 81 e-mail: Neueste.Geschichte@uni-bayreuth.de 2. Juli [1907], Dienstag Ein herrlicher Morgen, der Himmel ist so klar, die Luft weht einen schon recht heimatlich an. Schon gestern sahen wir in weiter Ferne Berge, doch es war sehr regnerisch, und deshalb lag auch Nebel in der Luft, nun haben wir recht deutlich welche vor uns liegen, und erfreuen uns an dem herrlichen Grün. Wie schön ist doch unser Heimatland, wir sind ganz entzückt davon. Wie grün auch das Wasser wieder ist, jedesmal, wenn wir dem Land näherkommen. Konnte gestern abend lange nicht einschlafen, denke immer an die Begegnung mit meinem lieben Wilhelm (1), eine eigene Sache, doch der Herr wird Gnade geben, ich habe ihn ja darum angefleht, daß er doch zwischen uns stehen möge und uns beide zubereiten und die rechte Harmonie schaffe. Wäre es doch schon morgen Abend, ich möchte unserm Schifflein gerne helfen, daß es schneller ans Ziel käme. Ich möchte erst ganz allein mit ihm sein. Mange (2) ist ein ganz häßlicher Mensch, mit jedem fängt er Ärger an, man sollte es nicht für möglich halten, was der nur in Neu-Guinea will. Wenn man Andern vom verkehrten Weg helfen will auf den rechten, muß man wirklich erst selbst darauf sein. Man kann nur für ihn beten. Ich schreibe auf dem Schoße, deshalb so pucklich. Gestern war es sehr kalt, habe meine Wollbluse anziehen müssen. Immer näher und näher kommen wir, schon sehe ich in der Feme Palmen auftauchen, wie kleine Striche. Wie mögen die lieben Geschwister (3) warten, und besonders mein Liebster wird auf die Probe gestellt, habe meine Sachen schon gepackt. Soeben Linsen und Lammsteaks gegessen. Mange führt so überschwengliche Reden am Tische, man muß staunen, wenn er es nur auch in seinem Handeln so äußerte. Es ist 3 Uhr und sehr warm, links sehen wir einen feuerspeienden Berg (4), es kommt gerade dicker Qualm heraus. Wie unsicher ist es, da zu wohnen auf Erden, wenn man keinen versöhnten Gott als Freund über sich weiß, wenn man sieht, wie aus den Grundfesten der Erde dieser Strom aufsteigt. Gerade sehen wir auf dem Wasser etwas Merkwürdiges, wie abgeteilt sieht es aus, das kommt vom Vesuv (5) her, erst war es hellgrün und nun ist es dunkelgrün, auch sieht man auf dem Wasser von dem Lavastrom. Hier ist das Meer vor Jahren gemessen und bei 9000 m noch kein Grund gefunden. Zu schnelle wurde es Nacht, und nur konnte man an das unruhige Pochen der Herzen denken, wollten uns garnicht zur Ruhe legen, doch es war nichts zu sehen, und man mußte sich eben darin finden, nichts von der schönen Einfahrt zu sehen. Ich legte mich auf mein Lager, aber nur um auszuruhen, nicht um zu schlafen. Wurde im Schlummer oft wach, und einmal regnete es sogar. 3. Juli [1907], Mittwoch Und mit ihm brach ein denkwürdiger Tag an. Um 4 Uhr stand ich schnelle auf, es war tief finstere Nacht, aber wir lagen an der Landungsbrücke von Friedrich-Wilhelmshafen. Ein fürchtbarer Schuß kündigte und meldete es an. Flog schnelle in meine Kleider und ging auf Deck, wo mir auch meine lieben Reisegefährten begegneten, in gespanntester Erwartung ausschauend in die dunkle Nacht. Wie so ganz anders war dieser Hafen gegenüber den anderen. Nur einige Bretterhäuser waren zu sehen und auch eine ganze Reihe unserer lieben Papuas sahen uns erstaunt an. Hatten alle rote Lendentücher um und Kappen auf, es waren dies Soldaten, sie lärmten und spektakelten so bei ihrer Arbeit, sie mußten helfen, unser Schiff befestigen. Nun wurde auch unsere Schiffstreppe herabgelassen. Es war ein entzückender Anblick, als die erste Morgendämmerung das Dunkel der Nacht brach und der Horizont alle möglichen Farben annahm und man langsam die unzähligen Palmen erkennen konnte. Auch sah man hier und da ein Lichtlein anzünden, ziemlich schnelle brach sich der denkwürdigste Tag durch und unsere Blicke spähten besonders nach der Richtung von Ragetta (6) hin, ob sich nicht bald ein Zeichen sehen ließ, daß man uns erwartete, aber nein, es dauerte geraume Zeit, bis endlich ein und noch mehrere Boote sichtbar wurden. Aber die Spannung [stieg], ob sie die mit großer Sehnsucht Erwarteten in sich bargen. Das erste [Boot] nein, das zweite, o, wir winken, die haben eine deutsche Fahne, doch es war nicht für uns, es war ein Boot von der Neuguinea-Kompagnie, und hieß es noch ein wenig warten. Doch nicht lange, nun kam eins, wo einige Weißgekleidete drin saßen, wir winken und auch sie nun tüchtig, schnelle kam es näher, und wer schnelle in seine Cabine flog, war ich. Konnte keinen erkennen. Nun auch wirklich. Ich harrte der Dinge, die da kommen sollten, in meinem engen Raum.Und nun klopfte es, ängstlich tat ich den Vorhang beiseite, und Schwester Weber (7) und Bruder Becker (8) standen vor mir. Fiel Schwester W.[eber] in die Arme und sie flüsterte mir zu, gleich kommt er. Bruder Becker kannte ich kaum wieder, so korpulent war er geworden, sah aber sehr wohl aus. Dann ging ich in meine Kabine, nach einigen Minuten klopfte es abermals, ich war ganz blaß geworden, ich merkte es, aber es war noch ein Vorbote, es war der liebe Bruder Weber, der mich herzlich willkommen hieß in meiner neuen Heimat. Er machte mir Mut, ach, den lieben Bruder Diehl können sie direkt liebhaben. Ich flehte den Herrn im Stillen an, stehe dazwischen, und nun klopfte es noch einmal ... und herein trat Wilhelm, und wir durften uns in die Augen schauen. Wie war mir, nach dieser langen Fahrt, endlich der langersehnte Augenblick, und wie hatte der Herr mein Flehen zu Herzen genommen. Ach, wie wunderbar, mein Herz war so unruhig und gleich war alle Sorge usw. verschwunden, als ich ihm gegenüber stand. Doch mein Herz hatte das Gefühl: Herr, ich bin's nicht wert, was Du an mir tust. 15 Minuten hielten wir uns auf in unserer Kabine und dann gingen wir, draußen von manchem prüfenden Blick erwartet, auf Deck, wo unsere Reisegefährten vorgestellt wurden. Eine Reihe Papuas, die mit vergnügten Mienen die Sachen in die Boote trugen, schauten auf mich. Auch einige von Bogadjim (9) waren dabei, gab ihnen allen die Hand. Hatten sich so mit Grün geschmückt und mit Perlen behangen. Die lieben Geschwister W.[eber] nahmen mich nun in ihr Boot. Nicht zu vergessen, ein anderes Boot kam noch und brachte die lieben Geschwister Helmich (10), Schwester H.[elmich] überreichte mir ein Bouquett Rosen, der Geruch erquickte uns alle sehr. Bruder Panzer und Ruppert (11) fuhren auch mit nach Siar (12). Es war ganz herrlich, auf dem Boot zwischen den grünen Inseln vorbeizufahren. Schon konnte man das liebe Siar schimmern sehen und das einfache nette Kirchlein. [...] 1: Missionar Wilhelm Diehl, ihr Verlobter 2: Missionslandwirt Gerhard Mange wurde zusammen mit Johanna Bleidom nach Neuguinea ausgesandt 3: Als Geschwister wurden lutherische Missionsehepaare bezeichnet, ein Missionar analog als Bruder sowie seine Frau als Schwester 4: Die Vulkaninsel Manam (Hansamsel) 5: „Vesuv" hier identisch mit „Vulkan" 6 Insel in der Hafeneinfahrt mit einer Station der Rheinischen Mission 7: Maria Weber, Ehefrau des Missionars Ernst Weber, der seit 1903 auf der Insel Siar in unmittelbarer Nachbarschaft von Ragetta stationiert war. 8: Missionar Karl ecker von der Missionsstation Bongu in der Astrolabebucht 9: Ort in der Astrolabebucht ca. 40 Kilometer südlich von Friedrich-Wilhelmshafen. Hier lag die Missionsstation von Wilhelm Diehl 10: Missionar Heinrich Helmich (gründete 1901 die Missionsstation auf Ragetta) und seine Frau Ida 11: Die Neuendettelsauer Missionare Karl Panzer und Robert Ruppert wurden mit demselben Transport nach Neuguinea gesandt. Sie reisten anschließend weiter in ihr Missionsgebiet nach Finschhafen am Huongolf 12: Die Insel Siar vor Friedrich-Wilhelmshafen war Sitz der Hauptstation der Rheinischen Mission in Neuguinea |