Die Entdeckung des schwarzen Afrikaners

Geschichte der europäisch-afrikanischen Beziehungen an der Guineaküste im 17./18. Jahrhundert
Bitterli, Urs
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Untertitel: Versuch einer Geistesgeschichte der europäisch-afrikanischen Beziehungen an der Guineaküste im 17. und 18. Jahrhundert
Autor: Urs Bitterli
Atlantis Verlag
2. Auflage, Zürich 1980
Kartoneinband mit Schutzumschlag, 247 Seiten


Vorstellung des Verlages:

Die Schnelligkeit, mit der sich die Kolonialgebiete Afrikas nach dem Zweiten Weltkrieg von Europa lösten, steht in auffallendem Gegensatz zum langsamen Prozeß der Entdeckung dieses Kontinents und seiner Bewohner. Die portugiesischen, holländischen, französischen und englischen Händler, die vom fünfzehnten zum siebzehnten Jahrhundert abwechselnd die Kontrolle über die afrikanische Küstenlinie ausübten, gaben sich vorerst geringe Rechenschaft über die Kräfte der Anziehung und Abstoßung, welche ihre Präsenz bei der schwarzen Bevölkerung auslöste. Die Rechtmäßigkeit des europäischen Besitzanspruchs stand nicht zur Diskussion; der Sklavenhandel erregte keinen Widerspruch; die Beziehungen zu den Eingeborenen gingen über das auf merkantilistischer Basis betriebene Handelsgeschäft nicht hinaus.

Erst zu Beginn der Aufklärung begann man sich von der Tragweite des Zusammentreffens zwischen zivilisierten und archaischen Kulturen Rechenschaft zu geben. Wißbegierige Reisende wagten zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts den Vorstoß ins afrikanische Hinterland und gaben von der natürlichen Güte der "Wilden" und vom freiheitlichen Geist ihrer Siedlungsgemeinschaften Schilderungen, die nicht selten einer Kritik der eigenen Kultur gleichkamen. Afrikaner, die man zur Ausbildung nach Europa holte, überraschten die Öffentlichkeit durch ihr Anpassungsvermögen und ihre unverkennbare Bildungsfähigkeit. Deutsche, französische und englische Anthropologen bemühten sich um die Anerkennung der biologischen Ebenbürtigkeit der schwarzen Rasse.

Die vorliegende Arbeit gibt eine Analyse und Darstellung dieser geistigen Auseinandersetzungen zum Thema der europäisch-überseeischen Beziehungen in einer kolonialgeschichtlich bedeutsamen Entwicklungsphase. Viele Fragen, die man damals aufwarf, stellen sich noch uns - auch wenn die Antworten komplizierter geworden sind.


Vorwort des Autors:

Die Geschichte der europäischen Beziehungen zu den überseeischen Gebieten ist von den Historikern unseres Jahrhunderts Interpretationen unterworfen worden, die von den verschiedensten Gesichtspunkten ausgegangen sind. Der Geschichtsschreibung des imperialistischen Zeitalters erschien die Kolonie als das gegebene Tätigkeitsfeld überbordender europäischer Aktivität; der Führungsauftrag des weißen Mannes in Übersee wurde selten in Frage gestellt, höchstens stritt man sich darüber, ob sich seine Superiorität immer auf angemessene und nützliche Weise Geltung verschafft habe.

Die Weltwirtschaftstheoretiker marxistischer oder benachbarter Tendenz traten dem Pathos des viktorianischen oder wilhelminischen Kolonialhistorikers mit Untersuchungen von inquisitorischer Sachlichkeit entgegen; für sie galt es, den Nachweis zu führen, daß jegliche Form des Kolonialismus den Versuch der europäischen Finanz- und Industriekapitalisten darstellte, sich durch die Ausweitung ökonomisch-politischer Ausbeutung auf Bereiche vorkapitalistischer Wirtschafts- und Sozialstruktur vor dem Bankrott zu retten. Während der Zwischenkriegszeit widmete man sich besonders eifrig den völkerrechtlichen Aspekten der geschichtlichen Entwicklung des europäisch-überseeischen Verhältnisses und nährte so die Illusion, daß sich die koloniale Frage vielleicht durch ein System von juristischen Absprachen und Übereinkünften dauerhaft regeln ließe.

Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Auflösung der Kolonialreiche zwar nicht unerwartet, aber doch überraschend schnell vollzog, zeigte sich die Vergangenheit einmal mehr in verändertem Licht, und der Kolonialhistoriker, zwischen die kontrapunktischen Themen der "Verzwergung Europas " (Barraclough) und des wachsenden Geltungsanspruchs der "Dritten Welt" gestellt, kam nicht umhin, seine Betrachtungsweise erneut zu überprüfen. Die Diskussion darüber, wie sich der europäische Historiker zur kolonialen Vergangenheit seines Kontinents verhalten solle, ist zurzeit noch in vollem Gang:

Politische Wissenschaftler, Soziologen, Ökonomen, Ethnologen, Psychologen und Kulturmorphologen haben sich, diesen bereichernd und verwirrend, dem Geschichtsschreiber an die Seite gestellt und von einer unermüdlichen Produktionskraft Zeugnis gegeben. Diese lebhafte Auseinandersetzung hat sich besonders auf das Studium des imperialistischen Zeitalters und des Dekolonisationsprozesses sehr befruchtend ausgewirkt, wenn es dem Historiker auch nicht immer leicht fallen mochte, den gefährlichen Versuchungen von Selbstanklage und Rechtfertigung zu entrinnen und zu einer gerechten Bewertung der Vorgänge zu gelangen.

Der vorliegende "Versuch einer Geistesgeschichte der europäisch-afrikanischen Beziehungen" befaßt sich mit entfernteren Zeiträumen und unternimmt es, einen Weg zu gehen, der etwas abseits der methodologischen Erörterungen zeitgenössischer Wissenschaftstheoretiker liegen mag. Ich auferlegte mir eine dreifache Beschränkung räumlicher, zeitlicher und sachlicher Art: Ein bestimmter Teil Westafrikas wurde während eines begrenzten Zeitraums ins Auge gefaßt, und ich beschränkte mich gezwungenermaßen auf schriftlich überlieferte Dokumente, was bedeutet, daß lediglich eine kleine Elite von schreibkundigen und wißbegierigen Europäern zu Wort kommt, während das Zeugnis des schwarzen Afrikaners nicht mehr faßbar ist und höchstens aus gewissen Rückschlüssen noch erahnt werden kann. Bei diesen Quellen handelt es sich vornehmlich um die Berichte niederländischer, französischer und englischer Afrikareisender und um wissenschaftliche Abhandlungen und Kompilationen, deutsches Quellenmaterial ist spärlich und vergleichsweise wenig ergiebig.

Die von mir beigezogenen Dokumente sind bisher fast ausschließlich den Afrika-Spezialisten vertraut gewesen: In den maßgebenden Arbeiten von Cultru, Delcourt, Jore, Fyfe, Kup, Gailey u. a. dienen sie als Hauptquellen zur Rekonstruktion geschichtlicher Tatbestände; auch vereinzelte Ethnologen (Gamble, MacCulloch) haben sich dieses Materials bedient, um Ermittlungen über afrikanische Völker, deren Kultur heute durch den Einfluß technisierter Zivilisationen verwischt ist, anzustellen.

Im Gegensatz zu den Nachforschungen der genannten Historiker richtet sich meine Bemühung nicht auf die Abklärung gewisser Fakten der Kolonialgeschichte. Ich frage nicht danach, wie sich die Plünderung Freetowns durch die Franzosen im Einzelnen abgespielt habe oder welches die Verdienste eines bestimmten Generalgouverneurs in der Verwaltung des Senegal gewesen seien. Ich begreife den Quellentext als das Zeugnis einer persönlichen Stellungnahme, dem die Individualität des Verfassers und die Einmaligkeit der geschichtlichen Situation eine dauernde Bedeutung zu geben imstande sind. Nicht jene historische Realität von Zuständen und Vorgängen, auf die sich ein bestimmter Quellentext beziehen mag, ist Hauptgegenstand meiner Darstellung; was mich anspricht, ist die Realität des geistigen Verhaltens, wie sie sich in den Reiseberichten und wissenschaftlichen Abhandlungen jener Zeit manifestiert hat.

Ich frage danach, wie der Europäer sich zur Begegnung mit dem schwarzen Afrikaner gestellt hat, wie er diesen beurteilte, von welchen Voraussetzungen dieses Urteil ausging und welche Einflüsse es mitbestimmten. Ich versuche, diese Stellungnahme von Fall zu Fall nachzuvollziehen und ihre Bedeutung an den geistigen Möglichkeiten der damaligen Zeit zu werten. Und ich frage mich schließlich, ob in den mir vorliegenden Verlautbarungen Veränderungen und Wandel sichtbar werden, ob eine Entwicklung sich andeutet und in welcher Richtung diese verlaufen könnte.

Eine Arbeit von der zeitlichen Spannweite der vorliegenden wird sich an mancher Stelle auf bisherige Forschungsergebnisse stützen müssen. Das gilt besonders vom ersten einführenden Kapitel, das sich lediglich bemüht, den Stand des Wissens zu resümieren. Ähnliches ließe sich vom Abschnitt über den Sklavenhandel sagen: Ich habe zwar versucht, dieses Thema unter dem spezifischen Blickwinkel meiner Gesamtkonzeption zu sehen, habe indessen in sachlicher Hinsicht wenig Neues beitragen können. Manche Fakten mußten erwähnt werden, die für den englischen Historiker längst gesicherte Selbstverständlichkeiten sind; es gilt hier zu bedenken, daß diese Arbeit in der Sprache eines Kulturbereichs geschrieben ist, in dem zur Erforschung der überseeischen Beziehungen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert noch vieles zu tun bleibt.

Nicht selten berühre ich mich auch mit Überlegungen, die Philipp D. Curtin in seinem Buch "The Image of Africa" angestellt hat, so vor allem in meinem Kapitel "Des Afrikaners Platz in der Schöpfung", das sich einer Überschrift bedient, die ich mir bei Curtin ausgeliehen habe, was freilich nicht als Plagiat, sondern als "Hommage" an den hervorragenden amerikanischen Kolonialhistoriker gewertet werden soll. [...]