Autor: Marcel Luwel Reihe: Beiträge zur deutschen Kolonialgeschichte, Band 7 Verlag: Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen Greifenstein, 1993 Broschur, 15x21 cm, 42 Seiten, 1 sw-Abbildung
Vor 140 Jahren, am 4. September 1853, wurde Hermann Wissmann geboren (seit 1890 in den Adelsstand erhoben). Ein Anlaß für unseren Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen, der Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete, des Mannes zu gedenken, der schon bald nach seinem Tod (1905) „Deutschlands größter Afrikaner" genannt wurde. In unserer heutigen Zeit besteht vielfach Unverständnis darüber, wie es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu zahlreichen Kolonial-Gründungen kam, hinter denen auch das Deutsche Reich 1884 und 1885 Anteil hatte. Wissmanns Lebensweg und -werk zeigt beispielhaft die schrittweise Entwicklung auf: - Das Innere Afrikas war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend unbekannt. Der Forschungsdrang der Europäer, das Stre ben, die „weißen Flecken" auf den Landkarten farbig zu füllen, waren Triebfeder für Forschungsreisen. So durchquerte Wissmann im Auftrag der Deutschen Afrikanischen Gesellschaft 1880-82 Afrika von West nach Ost. Die Nationalität der Forscher und der Auftraggeber spielte keine Rolle; - 1884-85 erforschte der deutsche Offizier, nun im Dienste Belgiens, einen großen Nebenfluß des Kongo - wovon dieser Band handelt - und durchquerte 1886-87 ein zweites Mal Afrika; - Als deutschem Reichskommissar wurde ihm 1889-91 der Kampf gegen Sklavenjagd und -handel und die Niederwerfung des Araber-Aufstan des in Ostafrika übertragen; - Als selbständiger Reichskommissar überführte er 1892-93 im Zusammenwirken mit der Ausführungs-Kommission der privaten deutschen Antisklaverei-Lotterie und dem privaten Deutschen Antisklaverei-Komitee einen zerlegten Dampfer zum Nyassa-See, z.T. über Land; - 1895 -96 war Wissmann Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. Dr. Marcel Luwel aus Brüssel hatte u. a. die Zeit untersucht, in der Wissmann im Auftrage des belgischen Königs Leopold II. in Afrika forschte. Er berichtete darüber in einem vielbeachteten Vortrag anläßlich der Jahrestagung 1988 unseres Verbandes in Bad Lauterberg. Vorliegende Schrift entstand aus dem Text jenes Vertrages. Der Traditionsverband dankt seinem belgischen Freund Dr. Luwel für die objektive Darstellung. Dr. Luwel ist seit 1949 Mitarbeiter des Königlichen Museums von Äquatorialafrika in Tervuren/Brabant. Er ist Autor von mehreren Büchern und wissenschaftlichen Aufsätzen zur belgischen, britischen und deutschen Kolonialgeschichte.
Die Brüsseler Geographenkonferenz vom September 1876 stellte, historisch gesehen, einen wichtigen Einschnitt dar. Sie war keine statische Zusammenkunft, die sich nur mit der interessanten Vergangenheit Afrikas beschäftigte, sondern eine Weichenstellung, die die Richtung für neue Resultate weisen wollte. Die jüngste Geschichtswissenschaft hat die Bedeutung König Leopolds II. dafür nachdrücklich bejaht, ist aber jetzt noch uneinig darüber, ob er einen der Hauptakteure oder nur einen Mitspieler in dem „scramble for Africa", dem Kampf um Afrika, darstellt. Niemand zweifelt daran, daß die vom König der Belgier gewählte Methode der Internationalisierung des Zentralafrikaproblems vieles vorangebracht hat. Die verschiedenen Konstruktionen und Organisationen, die der Errichtung des Kongofreistaates vorangingen, appellierten an eine ganze Reihe von Vertretern europäischer Völker und schufen so eine spezielle Situation in Mittelafrika. Es zeigte sich dann, daß Leopolds königliche Führung viele Schwierigkeiten beseitigte. Finanzielle Möglichkeiten waren vorhanden, aber das verkleinert die Rolle Leopold II. nicht. Als sehr aktiver Politiker war er immer mit seinem „Grand Dessein"! „Kongo und kein Ende" beschäftigt, wie einer seiner Berichterstatter ironisch schrieb. Um diesen großen Plan zu verwirklichen, brauchte er vorzügliche Mitarbeiter, und dafür nutzte er die politischen und administrativen Möglichkeiten, die sein Land ihm bot. Für den Aufbau seines Kongostaates schien dem König Hermann von Wissmann von hohem Wert zu sein. Dessen erste Durchquerung Mittelafrikas von West nach Ost, von Luanda nach Sansibar, hatte ihm großen Ruhm eingebracht. Mit ihm verfügte die deutsche Mittelafrikaforschung über einen Vertreter ersten Ranges. Eins war gewiß: Die Persönlichkeit Wissmans blieb niemandem verborgen und durfte im Rahmen der leopoldinischen Interessen nicht ungenutzt bleiben. Übrigens gab es bereits etliche andere Deutsche in der „Association Internationale du Congo" (Internationaler Kongoverein). Einer von ihnen, der Berliner Ingenieur Otto Lindneria, bekam den außergewöhnlichen Auftrag, die Arbeiten Stanleys voranzubringen. Eine ganze Reihe von In-struktionen an Lindner sind uns erhalten geblieben. Sie bilden eine Fundgrube zum Beleg für die Politik des Königs, für den die europäische Konkurrenz in Mittelafrika ein ständiger Ansporn war. Leopold wollte so schnell wie möglich einen Zusammenschluß (Föderation) einheimischer Häuptlinge. H. M. Stanley, der den königlichen Auftrag durchführen sollte, wurde an Ort und Stelle mit den alltäglichen afrikanischen Problemen konfrontiert: Mangel an Personal, unzureichende finanzielle Mittel für das kostspielige Unternehmen und das riesige Ausmaß der durchzuführenden Aufgabe.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im April 1883 war Wissmann frei von seiner vertraglichen Verpflichtung gegenüber der „Afrikanischen Gesellschaft" in Berlin, seinem bisherigen Auftraggeber. Das war eine Chance für Leopold II. und seine „Association Internationale du Congo". Am 15. Juli 1883 kündigte der König dem Präsidenten der Association, Colonel Maximilien Strauch, die Ankunft Wissmanns in Brüssel an. Er sprach dabei seine feste Hoffnung aus, diesen für eine neue Afrikareise, diesmal im Dienste der „belgischen" Gesellschaft gewinnen zu können. Es kam darauf an, Stanley als Leiter für das ganze Kongounternehmen zu ersetzen und auch eine führende Persönlichkeit für die Leitung der sehr wichtigen Transportstrecke Vivi (Matadi) - Leopoldville auszusuchen. Das vorbereitende Gespräch zwischen Strauch und Wissmann führte indes zu keinem positiven Ergebnis: Wissmann wollte nicht mehr nach Afrika zurück. Das aber wäre für alle Beteiligten tragisch gewesen, für die Geschichtsschreiber, für Deutschland, für Belgien und zumal für Wissmann selbst. Und der aktive König der Belgier? Er spielte unbeirrt mit dem verlockenden Gedanken, den berühmten Forschungsreisenden Stanley durch den berühmten Forschungsreisenden Wissmann ablösen zu können; und letzten Endes hatte der König Erfolg, wenigstens teilweise. Wissmann wollte keine untergeordnete Dauerstellung, eine Sondermission sagte ihm mehr zu. Da es sich um eine äußerst wichtige, störungsan fällige Angelegenheit handelte, warnte der König Oberst Strauch vor allem vor den in Angola benachbarten Portugiesen mit den Worten: „Es kommt alles darauf an, daß Wissmann meinen Auftrag vor den Portugiesen geheimhält". Die Diskretion, die bei der Planung des Königs oftmals zu glücklichen Ergebnissen führte, war hier besonders notwendig. [...] |