Aspekte deutsch-britischer Expansion

Die Überseeinteressen der deutschen Migranten in Großbritannien in der Mitte des 19. Jahrhundert
Kirchberger, Ulrike
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Untertitel: Die Überseeinteressen der deutschen Migranten in Großbritannien in der Mitte des 19. Jahrhundert
Autorin: Ulrike Kirchberger
Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, Band 73
Franz Steiner Verlag
Stuttgart, 1999
Broschur, 508 Seiten, 17x24


Verlagsankündigung:

Die Arbeit wirft ein neues Licht auf die deutsche und britische Ausdehnung in Übersee während des 19. Jahrhunderts. Durch die Analyse der Überseeinteressen der Deutschen in Großbritannien kann eine ungewöhnliche und facettenreiche deutsch-britische Zusammenarbeit im Bereich der Übersee-Expansion festgestellt werden, die nur den deutschen Migranten in Großbritannien möglich war.

Ferner läßt sich eine bislang unbeachtete Kontinuität in der deutschen Übersee-Expansion des 19. Jahrhunderts nachweisen. Obwohl im Deutschland der 50er und 60er Jahre das politische und öffentliche Interesse an einer Entfaltung in der außereuropäischen Welt gering war, gab es eine lebhafte deutsche Übersee-Expansion, weil deutsche Belange in Übersee von Großbritannien aus realisiert wurden.


Aus der Einleitung der Autorin:

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, durch die Verbindung von Migrations- und Kolonialgeschichte ein neues Licht auf den deutschen Kolonialismus während der Mitte des 19. Jahrhunderts zu werfen. Die Analyse der Überseeinteressen und des kolonialen Denkens der deutschen Migranten in Großbritannien soll Entwicklungen in der Kolonialgeschichte des 19. Jahrhunderts aufzeigen, die bisher unbeachtet geblieben sind. Es wird dargestellt werden, daß es um die Jahrhundertmitte eine deutsch-britische Zusammenarbeit im Bereich der Überseeausdehnung gab, die in der Forschung vernachlässigt wurde, weil man sich erstens auf die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker hervortretenden deutsch-britischen kolonialen Rivalitäten konzentrierte, und weil zweitens die deutschen Migranten in Großbritannien noch nie in einen direkten Zusammenhang mit der europäischen Übersee-Expansion gestellt wurden, Was bestimmte Interessengruppen unter den deutschen Migranten in Großbritannien anbelangt, so hob sich die Trennung zwischen deutscher und britischer Kolonialexpansion auf. Es kam zu einer Vermischung deutscher und britischer Belange und zu einer engen Kooperation bei der Realisierung überseeischer Angelegenheiten.

Wenn man die deutschen Migranten, die sich um die Jahrhundertmitte in Großbritannien aufhielten, in ihrer Gesamtheit betrachtet, so war ein hervorragendes Merkmal ihre heterogene soziale Struktur. Die Deutschen in Großbritannien waren verschiedenster sozialer und geographischer Herkunft. Sie kamen aus vielfältigen Gründen nach Großbritannien und hatten untereinander nur sehr wenig Kontakt. Viele der Deutschen, die sich in Großbritannien aufhielten, befanden sich auf dem Weg nach Übersee. Sie waren nicht mit der Absicht nach Großbritannien gereist, sich permanent dort niederzulassen, sondern es handelte sich um Überseeauswanderer, die die Vorteile der britischen Verkehrsverbindungen in die außereuropäische Welt nutzen wollten. Eine zahlenmäßig große Gruppe machten die Handwerker und Arbeiter im Londoner East End aus. Das östliche London nahm den Hauptteil der deutschen Migranten auf und wird deshalb in der Literatur auch als "Little Germany" bezeichnet. Das deutsche Bürgertum war in seiner ganzen Vielfalt vertreten. Eine einflußreiche Kaufmannsschicht, Wissenschaftler, Künstler, Ärzte, Diplomaten, protestantische Pastoren, Deutschlehrer, das militärische Personal der "King's German Legion" und alle anderen denkbaren Berufe waren in Großbritannien repräsentiert.

Eine besondere Untergruppe bildeten die Deutschen, die im Gefolge von Prinz Albert nach London gekommen und am Königshof beschäftigt waren. Die deutschen Migranten, die um die Jahrhundertmitte am meisten Aufsehen erregten, waren die politischen Flüchtlinge, die im Zuge der Revolution von 1848/49 Deutschland verlassen mußten. Von Marx bis Metternich war in London eine lange Reihe von Emigranten unterschiedlicher politischer Couleur damit beschäftigt, aus dem Exil auf den politischen Kurs in Deutschland einzuwirken. Daneben gab es spezielle Migrantengruppen wie Forschungsreisende, Geographen, Missionare und Orientalisten, die aus beruflichen Gründen an der gut ausgebauten kolonialen Infrastruktur Großbritanniens interessiert waren.

Die deutschen Migranten bildeten keine in sich geschlossene Einheit, die auf ihren eigenen, deutschen Institutionen basierte. Es handelte sich vielmehr um einen sehr unzusammenhängenden Personenkreis. Zwischen den Deutschen in Großbritannien gab es nur wenige Berührungspunkte. Eine feste Gemeindestruktur konnte sich schon aufgrund der hohen Fluktuation und der schnellen Assimilation in die britische Gesellschaft nicht entwickeln. Deutsche Institutionen wurden nur von einem kleinen Teil genutzt. Zumeist waren es Transmigranten und Neuankömmlinge, die auf die deutschen Kirchengemeinden und Wohltätigkeitsvereine angewiesen waren, weil sie kein Englisch sprachen oder sich in einer akuten wirtschaftlichen Notlage befanden. Sobald sie sich jedoch etabliert hatten, kehrten sie den deutschen Einrichtungen den Rücken zu und assimilierten sich. Oft gingen sie auch nach Deutschland zurück oder setzten ihren Weg in die außereuropäische Welt fort.

Was den zeitlichen Rahmen der Untersuchung anbelangt, so werden diejenigen deutschen Migranten umfaßt werden, die während der großen Auswanderungswelle in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus den Staaten des Deutschen Bundes nach Großbritannien zogen. Die europäische Überseeauswanderung im 19. Jahrhundert verlief in mehreren großen Schüben. Bis Mitte der vierziger Jahre stieg sie langsam an. Dann kam es zu einer drastischen Zunahme, die ihren absoluten Höhepunkt in den Jahren von 1851 bis 1854 erreichte. Danach sanken die Zahlen wieder ab. Der Tiefpunkt stellte sich zu Beginn der sechziger Jahre ein. Später gab es Mitte der sechziger Jahre (1864 bis 1866) und zu Beginn der achtziger Jahre (1881, 1882) zwei weitere relative Höhepunkte. Dazwischen lag wiederum ein Tiefpunkt in den Jahren 1877 und 1878.

Die Wellen der Überseeauswanderung spiegelten sich in der deutschen Migration nach den Britischen Inseln wider. Für die frühen fünfziger Jahre läßt sich in Großbritannien ein Höhepunkt deutscher Präsenz feststellen. Es handelte sich um eine Bewegung, die ähnlich verlief wie die Überseeauswanderung derselben Zeit, nur in kleinerem Maßstab. Sie wuchs während der dreißiger und vierziger Jahre ihrem Höhepunkt zu Beginn der fünfziger Jahre entgegen und sank danach wieder ab. Wie bei der Überseeauswanderung gab es nach dem Einbruch in den frühen sechziger Jahren eine erneute Steigerung, deren genauer Verlauf aufgrund des Mangels an statistischen Angaben schwer zu bestimmen ist. Die Migranten, die während der Auswanderungswelle um die Jahrhundertmitte nach Großbritannien kamen, stehen im Mittelpunkt der Arbeit. Es werden die Jahre zwischen 1830 und 1860 behandelt werden.

Der zweite Aspekt, der den Untersuchungszeitraum chronologisch eingrenzt, hängt mit der Entwicklung der deutschen Kolonialgeschichte zusammen. Es werden diejenigen Personengruppen beobachtet werden, die schon vor dem Beginn der klassischen Phase des Imperialismus überseeische Interessen in verschiedenen Formen hegten. Der Beginn des Zeitalters des deutschen Imperialismus wird Ende der siebziger bis Mitte der achtziger Jahren angesetzt, je nachdem wie die einzelnen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren gewichtet werden, auf denen sich die Epoche begründete. Das Ende wird durch den Verlust der Kolonien nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg markiert. In der Ära des Imperialismus bemühte sich Deutschland ebenso wie die anderen europäischen Großmächte, seine Machtinteressen durch den Erwerb außereuropäischer Territorien zu sichern. Direkte staatliche Kontrolle in Übersee wurde zum zentralen Inhalt der Politik.

Die Regierenden unternahmen große Anstrengungen, wenn es darum ging, Macht und Einfluß außerhalb Europas zu demonstrieren. Gesellschaftliche Gruppen, die dazu auf wirtschaftliche oder wissenschaftliche Weise beitrugen, wurden nach Kräften gefördert. In den Jahrzehnten vor dieser Phase stellte sich die Situation in Deutschland anders dar. Die Politiker der Einzelstaaten standen einer Entfaltung in der außereuropäischen Welt nicht sehr aufgeschlossen gegenüber. Überseeauswanderer und Interessenverbände, die sich in Übersee engagierten, wurden kaum unterstützt und hatten Schwierigkeiten, ihre Ziele und Projekte zu realisieren. Es soll aufgezeigt werden, wie jene deutschen Interessengruppen in der Zeit vor dem Einsetzen des klassischen Imperialismus, also in den Dekaden vor den siebziger Jahren, ihre überseeischen Angelegenheiten verwirklichten. [...]