Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart, von Henning Melber et al.
Aus dem Vorwort zu Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart, von Henning Melber et al.
Christoph Marx Jürgen Zimmerer Henning Melber Joachim Zeller Reinhart Kößler
[…] Vor über zehn Jahren (1994) formierte sich in Namibias Hauptstadt Windhoek innerhalb der deutschsprachigen Minderheit ein ob seiner politischen Vielfalt und Breite ungewöhnliches ad hoc Bündnis, das als »Reiterinitiative« bekannt und zum feststehenden Begriff wurde. Es setzte sich aus Personen des öffentlichen Lebens zusammen, die nahezu das gesamte institutionalisierte gesellschaftspolitische Spektrum innerhalb der deutschen Sprachgruppe im Lande (mit Ausnahme des »rechten Randes«) verkörperten. Zielsetzung der Initiative war die Ergänzung des Reiterdenkmals, das in ungebrochen verherrlichender Mythologisierung über den in einem Tal liegenden Innenstadtbereich wacht und an die Zeiten der kolonialen Unterwerfung der Bevölkerung durch die deutschen Schutztruppen erinnert. Das Monument ist auch heute noch ein markantes Geschichtssymbol und wesentliches visuelles Element zur Illustration des deutschen Erbes im Lande. Es ist beliebtes Ausflugsziel und Motiv insbesondere für die zahlreichen Touristen aus Übersee, die bei dessen Anblick nicht allzu selten in der irrigen, nostalgisch-verklärenden Erinnerung an »gute alte Zeiten« des deutschen Kaiserreichs schwelgen. Kaum jemand unter den Touristen wie Einheimischen weiß darum, dass dieser Reiter ein Novum in der deutschen Denkmalsgeschichte darstellt, insofern er erstmals einen gewöhnlichen Soldaten in dieser Positur darstellt (bis dahin war die Abbildung zu Pferde ausschließlich ein Herrscherprivileg) und somit nachgerade eine »demokratische Errungenschaft« dokumentiert. Viele unter denen, die sich vor diesem Standbild photographisch ablichten lassen, sind sich auch nicht darüber im klaren (oder wollen sich nicht eingestehen), dass der wackere Reitersmann vermeintlich zivilisatorische Leistungen würdigt, die den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts zum Ergebnis hatten und billigend in Kauf nahmen. Auch unter den Initiatoren der »Reiterinitiative« war die Meinung über die historischen Bezüge und deren Einordnung alles andere als einheitlich und die hier vertretene Auslegung wäre in ihrer Eindeutigkeit auf vehemente Gegenrede der meisten Beteiligten gestoßen. Einigkeit bestand unter den diversen Meinungsträgern aber in dem einen Punkt, dass der allzu offensichtliche Anachronismus des Standbildes mit der Aufgabe einer Neubestimmung und Standortsuche des lokalen »Deutschtums«, das dem Versöhnungsgedanken im nachkolonialen Namibia gerecht zu werden trachtet, kollidiert. Also einigten sich die Initiatoren auch namens der von ihnen vertretenen kulturpolitischen Organisationen darauf, die zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Veränderungen durch die Ergänzung des Denkmals aus heutiger Perspektive zu dokumentieren. Dies sollte durch die Platzierung eines naturbelassenen Felsens in die unmittelbare Nähe des Monuments geschehen. Eine darauf befestigte Schrifttafel sollte den folgenden Text (auch in englischer Übersetzung) den künftigen Besuchern des Reiterdenkmals als von den deutschsprachigen Landesbewohnern verfasste gemeinsame Grundposition dokumentieren: »Als Beteiligte und Erben von über hundert Jahren neuerer Landesgeschichte gedenken wir im Geiste der Versöhnung aller Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen von Beginn der Kolonisierung bis zur staatlichen Selbständigkeit. Als Bürger dieses Landes wissen wir uns verpflichtet, die friedliche Zukunft unserer Heimat Namibia in Gerechtigkeit und Freiheit gemeinsam zu gestalten.« Dieses Bekenntnis sollte als kleinster gemeinsamer Nenner der Initiativgruppe daran erinnern, dass Namibias neuere Geschichte alles andere als ein friedliches Idyll war. Trotz der relativ vagen (und damit zugleich auch relativ weit gehenden) Bezugnahme auf Gewalt und die Distanzierung von dieser als Form der Auseinandersetzung, gab es in der deutschsprachigen Minderheit wenige aber lautstarke reaktionäre Stimmen, die das als Verhöhnung der Pionierleistungen ihrer Vorväter und -mütter empfanden und sich dem Ansinnen widersetzten, diese Initiative als Geste der Versöhnung zu unterstützen. Dessen ungeachtet führte die spontane und überwältigende Zustimmung der Mehrheit dieser Bevölkerungsgruppe dazu, dass eine entsprechende Spendenkampagne bereits innerhalb weniger Wochen die keinesfalls unerheblichen Gelder zur Finanzierung des Vorhabens aufbrachte. Der Verwirklichung der - trotz Widerständen und hitzigen Diskussionen sowie z.T. massiver Kritik von politisch unterschiedlichen Seiten - unerwartet erfolgreichen Initiative stand nunmehr nur noch die offizielle Zustimmung des nationalen Denkmalrates im Wege. […]
Dies ist ein Auszug aus: Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart. von Henning Melber et al.
Titel: Genozid und Gedenken
Untertitel: Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart
Herausgeber: Henning Melber
Verlag: Brandes & Apsel
Frankfurt am Main, 2005
ISBN 3860998226 / 3-86-099822-6
ISBN 9783860998229 / ISBN 978-3-86-099822-9
Broschur, 15 x 21 cm, 208 Seiten
Melber, Henning und Zimmerer, Jürgen und Kößler, Reinhart und Gewald, Jan-Bart und Böhlke-ltzen, Janntje und Jaguttis, Malte und Marx, Christoph und Zeller, Joachim im Namibiana-Buchangebot
Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart
Genozid und Gedenken: Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart ist ein Beitrag zur aktuellen Standortsuche und -bestimmung der deutsch-namibischen Beziehungen im Schatten der Kolonialgeschichte.
Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche
Kolonialmetropole Berlin: Eine Spurensuche veranschaulicht wie stark die Geschichte der deutschen Hauptstadt zwischen 1884 und dem Zweiten Weltkrieg von Kolonialismus und Kolonialrevisionismus geprägt wurde.
Kolonialdenkmäler und Geschichtsbewußtsein
Kolonialdenkmäler und Geschichtsbewußtsein ist eine Untersuchung der ambivalenten kolonialdeutschen Erinnerungskultur.
Im Zeichen des Ochsenwagens
Im Zeichen des Ochsenwagens ist eine Studie über den radikalen Afrikaaner-Nationalismus in Südafrika und die Geschichte der Ossewabrandwag.
Völker ohne Schrift und Geschichte
Die Studie Völker ohne Schrift und Geschichte untersucht das Bild des vorkolonialen Schwarzafrika in der deutschen Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
We thought we would be free. Socio-Cultural Aspects of Herero History in Namibia 1915-1940
We thought we would be free contains the socio-cultural aspects of Herero history in Namibia 1915-1940.
Namibia and Germany: Negotiating the Past
Negotiating the past between Namibia and Germany conidering history, community, commemoration and performance, apology, restitution and reparation.
In search of survival and dignity
Two traditional communities in southern Namibia under South African rule
Altlasten. Namibias langer Weg in die Unabhängigkeit
Die 300. Ausgabe mit einem hochinteressanten Namibia-Themenschwerpunkt über die politischen Altlasten und Namibias Weg in die Unabhängigkeit.
Geschichtskultur durch Restitution?
Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit über den Umgang mit Sammlungsobjekten aus kolonialen Kontexten.
Deutsche Herrschaft über Afrikaner
Deutsche Herrschaft über Afrikaner: Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia.
Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust
Von Windhuk nach Auschwitz? fragt nach dem Verhältnis von Kolonialismus und Nationalsozialismus und nimmt Genozid, Rassenstaat und Zwangsarbeitsregime als Ausgangspunkt einer vergleichenden Betrachtung.
Koloniale Vergangenheit – Postkoloniale Zukunft? Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken
Koloniale Vergangenheit – Postkoloniale Zukunft? Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken. Beiträge zur Komplexität von Erinnerungskultur, Verantwortungsübernahme und gesellschaftlichen Ungleichheiten.
Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte
Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte: ein 'postkolonialer' Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte.
Perspektiven 2018/2019: Namibias schwieriger Umgang mit seiner Kolonialgeschichte
Als Nachfolger des Afrikanischen Heimatkalenders bringt Perspektiven 2018-2019 als Doppeljahrgang aktuelle Beiträge zu Kirche, Gesellschaft und Zeitgeschehen in Namibia: Namibias schwieriger Umgang mit seiner Geschichte.
Here we stand. Reflecting on 500 years of Reformation in Namibia
Here we stand: Reflecting on 500 years of Reformation in Namibia includes articles by Namibian bishops, theologians, pastors, academics and lay members of the Lutheran community.
Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Vergangenheitsbewältigung
Ein kritischer Beitrag zum aktuellen Namibia-Thema: Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Vergangenheitsbewältigung.
Namibia: Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit
Kritische Analyse der Politik der SWAPO in Namibia als einer Befreiungsbewegung an der Macht und gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit Namibias.
Hauptsache Windhoek
Die Sammlung Hauptsache Windhoek enthält drei Dutzend Geschichten und Gedichte über die Hauptstadt Namibias.
Afrikanischer Heimatkalender 2008
Afrikanischer Heimatkalender 2008: Seit 1930 Botschafter christlicher Werte in Namibia, mit vielen interessanten landeskundlichen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Beiträgen.
Perspektiven 2013 / Afrikanischer Heimatkalender 2013
Dieser Jahrgang der Perspektiven 2013, dem ehemaligen Afrikanischen Heimatkalender, behandelt gesellschaftliche und politische Themen Namibias.
Katutura. Alltag im Ghetto
Versuch einer Alltagsbeschreibung der damaligen Neubausiedlung für schwarze Namibier, Katutura, für die in den 1980ern der Begriff 'Ghetto' gebraucht wird.
Afrikanischer Heimatkalender 2009
Afrikanischer Heimatkalender 2009: Seit 1930 Botschafter christlicher Werte, mit vielen interessanten landeskundlichen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Beiträgen um Namibia.
Ein Land, eine Zukunft. Namibia auf dem Weg in die Unabhängigkeit
'Ein Land, eine Zukunft. Namibia auf dem Weg in die Unabhängigkeit' will mit zahlreichen Beiträgen über Ideologie und Praxis des Kolonialsystems in Namibia sowie über politische und gesellschaftliche Utopien und Alternativen informieren.
Afrikanischer Heimatkalender 2007
Afrikanischer Heimatkalender 2007: Seit 1930 Botschafter christlicher Werte in Namibia, mit vielen interessanten landeskundlichen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Beiträgen.
It is no more a cry. Namibian Poetry Exile Essays Literature Resistance Nation Building
It is no more a cry introduces to Namibian Poetry in Exile and Henning Melber's Essays on Literature in Namibian Resistance and Nation Building.
Völkermord in Deutsch-Südwestafrika
Die Beitragssammlung Völkermord in Deutsch-Südwestafrika stellt die Ansichten verschiedener Autoren zum Herero- und Namaaufstand in dar.
Namibia. Grenzen nachkolonialer Emanzipation
Kritische Betrachtung der Grenzen der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie der nachkolonialen Emanzipation in Namibia 1900-2003.
In Treue fest, Südwest!
In Treue fest, Südwest! Von der Eroberung Namibias über die deutsche Fremdherrschaft bis zur Kolonialapologie der Gegenwart.
Vom Schutzgebiet bis Namibia 2000
Mit 62 Beiträgen zur älteren und jüngsten Geschichte bis 2000 des ehemaligen Schutzgebiets und des heutigen Namibia.