Vitani. Kriegs- und Jagderlebnisse in Ostafrika 1914-1916, von Artur Heye
Vitani. Kriegs- und Jagderlebnisse in Ostafrika 1914-1916 erschienen als Memoiren von Artur Heye erstmals 1921, ein Jahr nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft.
[…] Über der Landschaft draußen lag idyllischer Friede und lachender Sonnenschein, die Neger zogen nach Mayussi zu Markte, meine Hühner gackerten und scharrten, der Brunnen rauschte, und die Schwalben schossen zwitschernd um den Turm wie alle Tage. Angesichts dieses Bildes war es schwer, sich die drohende, schwere Gefahr vorzustellen, die an der Küste, nur siebzig Kilometer von hier entfernt, lauerte. Und unsäglich bitter wurde es mir bei dem Gedanken, daß ich hier oben saß, weit vom Schuß, und in dem kommenden schweren Ringen nicht mittun sollte. Meine Aufgabe hier konnte auch ein Invalid oder ein intelligenter Schwarzer erfüllen; um auf eine alte Brücke aufzupassen, hatte ich mich wahrhaftig nicht Kriegsfreiwillig gemeldet und mit ehrlichem Eifer und Willen alles getan, um ein brauchbarer Soldat zu werden. Und mir war bewußt, daß dort unten das Schicksal der Kolonie entweder gleich und gänzlich, oder im günstigsten Falle auf lange Zeit hinaus entschieden wurde. Und dabei nicht mitmachen können! Der Gedanke machte mich ganz wild, und zur Erleichterung warf ich einen Kontorbock, dieses Sinnbild eines Bueaukratismus, der mich allein doch hier festhielt, gegen die Wand, daß er zerkrachte. Aber eins wollte ich tun: Nicht vom Telephon weggehen, immer wieder den Feldwebel bitten, mich fortzulassen! Und half gar nichts, dann eben ohne seine Einwilligung gehen, eine Art Fahnenflucht nach vorn machen. Den Kopf würden sie mir nicht abreißen deswegen. Und Gelegenheit mußte sich bieten, wenn Züge mit Truppen hinuntergingen. Dann saßen wir Stunden und Stunden am Telephon und hörten verstohlen die Gespräche zwischen Tanga und Moschi mit an. Lange Zeit geschah nichts. In Tanga lag als einzige Besatzung ein Zug der 17. Feldkompagnie. Die andern beiden Züge der Kompagnie wurden jeden Augenblick von Amboni her erwartet. Der Bataillonsführer, Hauptmann Baumstark, erbat dringend Verstärkungen von Moschi. Weiter war vorläufig nichts zu erfahren. Wir hatten unsere Leute über die drohende Gefahr instruiert, die Posten und Patrouillen verstärkt und die Dynamitkiste für alle Fälle an die Brücke schaffen lassen. Dann füllten wir die Zeit mit Streiten aus, wer mit nach Tanga gehen sollte. Kluge wollte auch bei der ersten Gelegenheit hinunter. Unseren Feldwebel konnte ich den ganzen Tag lang nicht mehr an der Strippe erwischen, die Leitung war dauernd besetzt. Gegen Mittag erhaschte ich die Meldung, daß die 17. Feldkompagnie nunmehr vollständig in Tanga versammelt war und den ganzen Strand vom Zoll- bis zum Möhnhaus, auch Kap Ras Kazone besetzt hatte. So war die Stadt von einer, allerdings sehr dünnen Linie von Gewehren geschützt. Nach drei Uhr hörten wir dann, daß alle Schiffe in ungefähr 1500 Meter Entfernung vor der Küste vor Anker gegangen waren. Sie machten Pinassen und Leichter klar, die Kriegsschiffe drehten bei und zeigten der Stadt die Breitseiten. Jetzt war kein Zweifel mehr, was sie wollten. Nun Deutscher hier draußen, nimm alle Kraft zur Abwehr zusammen, jetzt gilt's! Gegen Abend sagte mir der goanesische Stationsvorsteher, daß ein Zug mit Truppen von Moschi unterwegs war. Sofort lief ich wieder ans Telephon und machte eine Viertelstunde lang vergebliche Versuche, den Feldwebel zu sprechen; es war unmöglich. Also ging ich ohne Erlaubnis! Ich ließ meinem Boy alles Nötige, eine Decke, etwas Mundvorrat und Tee und sämtliche Patronen zurecht machen. Kluge, der sich dabei beruhigt hatte, auf dem Posten zu bleiben, gab mir seinen guten 98er Karabiner und ich ihm dankbaren Herzens meinen 71er. Ich fragte Fundi, ob er nicht hier bleiben wollte, in Tanga könnte man leicht totgeschossen werden. Er schüttelte den Kopf und sagte einfach: „Nakwenda kwako Bana, haizuru wapi." (Ich gehe mit dir, wohin ist egal.) Ungeduldig wartete ich dann aus den Zug, endlich ein fernes Rollen, die Lichter der Lokomotive blitzten aus, wurden schnell groß und leuchtend - jetzt mußte er bremsen! Aber nur ein langer, warnend heulender Pfiff, die Maschine donnerte funkensprühend vorüber, erleuchtete Fenster flogen wie ein Feuerstreif nach, die Schlußlichter glühten auf, der Zug polterte über die Brücke und verschwand mit rasender Geschwindigkeit in der Nacht. Damit hatte ich freilich nicht gerechnet! Trostlos setzte ich mich auf die Dynamit-Kiste an der Brücke und hätte sie vor Zorn am liebsten unter mir in die Luft gesprengt. Nach und nach waren einige benachbarte Pflanzer im Wachhause zusammengekommen, um Neuigkeiten zu erfahren; sie trösteten mich mit dem Hinweise, daß ja noch weitere Züge mit Truppen kommen mußten. Die Stimmung in dem kleinen Kreise war recht gedrückt. Sie rechneten aus, wieviele Truppen wohl an Bord der siebzehn Transporter sein konnten; stellte man sich dagegen die 200 Askari der Kompagnie und bestenfalls ein Dutzend freiwilliger Tangaer Bürger vor, so konnte einem allerdings das Herz in die Schuhe fallen. Und wenn auch unsere sämtlichen Truppen im Norden, die wir aus ungefähr 1000 Mann schätzten, rechtzeitig in Tanga zusammengezogen werden konnten, so war das Verhältnis gegen die wenigstens 10000 Mann starken Engländer immer noch in keiner Weise hoffnungsvoll, von den Geschützen und sonstigen Hilfsmitteln des Feindes gar nicht zu reden. So saßen wir stumm beieinander, rauchten und trommelten vor Nervosität mit den Fingern und immer wieder sprang einer auf, lief zum Telephon und kam ohne Neuigkeiten wieder. Da, wieder das ferne Rollen eines Zuges! […]
Dies ist ein Auszug aus den Erinnerungen: Vitani. Kriegs - und Jagderlebnisse in Ostafrika 1914-1916, von Artur Heye.
Titel: Vitani
Untertitel: Kriegs- und Jagderlebnisse in Ostafrika 1914-1916
Autor: Artur Heye
Verlag Grunow & Co
4. Auflage. Leipzig, 1926
Originalleinen, 14x20 cm, 309 Seiten, neun sw-Bildern
Heye, Artur im Namibiana-Buchangebot
Vitani. Kriegs- und Jagderlebnisse in Ostafrika 1914-1916
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