Steppe im Sturm. Erlebnisse im Buschkrieg, von Artur Heye.
In dem ersten Kapitel aus seinen Kriegserinnerungen 'Steppe im Sturm. Erlebnisse im Buschkrieg' berichtet Artur Heye über folgende Episoden: Bergeinsamkeit - Das Leuchten der Welten - Zwei Boten kommen aus der Nacht - Ein bedeutungsvoller Brief - „Und was wird nun aus uns, Bwana ?" - Ein Abstieg aus eisiger Höhe - Die Bergurwälder - Das Land der Bananen - Ein Gewaltmarsch und ein trauriger Abend.
Am Abend des zehnten August 1914 lag ich, in zwei Decken gehüllt, in einem Liegestuhl vor der Türe der Petershütte und steckte mir bedachtsam eine dicke Havanna an, im Zweifel darüber, wie dieses Unterfangen wohl ausgehen würde. Die Petershütte steht auf einem Sattelplateau des Kilimandscharo; die Havanna stammte aus einem Kistchen, das mir der Distriktskommissar von Taveta als Abschiedsgeschenk zugesteckt hatte, als ich vor vierzehn Tagen seinen Posten verlassen hatte, um hier oben, in fünftausend Meter Höhe, eine hartnäckige Malaria auszukurieren. Es war damit wirklich rasch besser geworden. Seit zwei Tagen hatte ich keine Temperatur mehr, heute abend war ich mit einem wahren Kannibalenappetit über mein Nachtessen hergefallen und hatte darauf den kühnen Entschluß gefaßt, zu der Importe zu greifen. Jenseits der flachen, bronzefarbenen Lava-Einöde des Sattels stieg die Silberkuppe des Kibo-Gipfels mit schwungvoller Linie noch weitere tausend Meter empor ins tiefe Dunkelblau des Himmels. Wie ein ungeheurer Rubin funkelte die Spitze des Eispanzers unter den letzten Strahlen der Sonne; in den Furchen des Gletschers rann es herab wie lauter Blut. Zu meiner Linken ragten, schon in kobaltblaue Schatten eingehüllt, die wildzerrissenen schwarzen Felsenpfeiler des zweiten Kilimandscharo-Gipfels, des Mawensi, auf. Kein Laut unterbrach die tiefe Stille ringsum, selbst die zahllosen kleinen Gletscherbäche zwischen den vulkanischen Blöcken, die einzige Äußerung unbewußten Lebens in dieser eisigen Höhe - waren mit dem Aufhören der Sonnenbestrahlung im Nu erstarrt und verstummt. Entrückt und abgeschieden von der übrigen Welt, verglühte der höchste Gipfel des riesigen Gebirgsstocks im letzten Tageslicht. Unterhalb des steilen Sattelabfalls wallte ein geschlossenes Meer von weißen Wolken; ohne Spalt und Lücke erstreckte es sich bis zum dunkelnden Horizont hinaus. Darunter verborgen lagen die Einöden der Wildsteppen; Hunderte von Kilometer weit dehnten sie sich ringsum aus. Und dort, fern im Nordwesten, inmitten der großen Einsamkeit, war mein Standlager und meine Heimat - der See von Ol Matun. Von dort war ich gekommen, und dorthin gedachte ich - wenigstens in diesem Augenblick noch - bald zurückzukehren. Wie eine verwehende Flamme erlosch die glühende Eiskuppel des Kibo in jäh herabfallender, sternenbestickter Nacht. Eisige Kälte drang durch meine Decken. Ich stand auf und hob die Zigarre zum Munde, schleuderte sie dann aber, von plötzlichem Ekelgefühl übermannt, weg - sie hatte mir doch noch nicht so recht geschmeckt. In weitem Bogen flog sie über eine Lavaklippe hinaus; sinnend folgte mein Blick dem fallenden roten Funken - da blitzte unterhalb am Hange ein Lichtlein auf. War einer meiner Leute so spät noch Holz sammeln gegangen? Oder kamen da etwa noch Bergsteiger an? Das war unwahrscheinlich, denn der Kilimandscharo ist nicht gerade von Touristen überlaufen. „Simu!" rief ich zur Küche hinüber, die hier oben gleichzeitig als Quartier für die Träger diente. Der Koch, ein riesengroßer Ugandamann, kam mit einem fragenden „Bwana?" heraus. „Ist einer von unseren Trägern noch dort unten ?"„Nein, Bwana, sie sind alle da. - Ah, eine Laterne... !" „Schicke Kazimoto mit unserer Laterne her, ich will den Leuten entgegengehen. Und bereite auf alle Fälle einen Topf Tee für sie!" Als Kazimoto, sein Name „Harte Arbeit" war ihm wahrscheinlich aus Ironie verliehen worden, denn er gehörte zu den größten Faultieren, die mir je unter die Augen gekommen sind - endlich mit dem Licht angeschlurft kam, waren schon die Stimmen der Ankömmlinge zu hören. Es waren zwei Eingeborene: der eine hielt eine Laterne, der andere trug ein Stöckchen, an dessen Ende etwas Weißes leuchtete, steif vor sich her. Also ein Bote, der einen Brief auf die in Afrika übliche Weise beförderte. Ich blieb verblüfft stehen: wer in aller Welt konnte mir hier herauf schreiben? Außer Delafontaine, dem Distriktkommissar von Taveta, wußte nur Dr. Jäger in Moschi - bei ihm hatte ich auf dem Durchmarsch die Schlüssel zu den Unterkunftshütten geholt - von meinem Aufenthalt in der Petershütte. „Jambo, Bwana!" grüßten die beiden frostschnatternden Gestalten. „Wewe Bwana Haie?" fragte dann der eine, ein junger Bursche mit klugem Gesicht. [...]
Dies ist ein Auszug aus den Erinnerungen: Steppe im Sturm. Erlebnisse im Buschkrieg, von Arthur Heye.
Titel: Steppe im Sturm
Untertitel: Erlebnisse im Buschkrieg
Autor: Artur Heye
Genre: Reisebericht, Kriegserinnerungen
Reihe: Wilde Lebensfahrt, Band 5
Verlag: Albert Müller Verlag
3. Auflage. Zürich 1942
Original-Leinenband
Zürich, Müller Verlag, 1942
Original-Leineneinband, Original-Schutzumschlag, 21 x 14 cm, 159 Seiten
Heye, Artur im Namibiana-Buchangebot
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