Ewige Wanderschaft: Von Indien über Ostafrika nach Brasilien, von Artur Heye
Oft genug in einem schmalen Korridor zwischen Leben und Tod, großen Plänen und Bankrott unterwegs, gewährt auch dieses Buch von Artur Heye tiefe Einblicke in das für die damaligen Verhältnisse sehr selbstbestimmte Leben des Autoren, der einem inneren Drang folgend, seinem Fernweh folgte und oft genug der harten Tour folgte. Sein Buch "Ewige Wanderschaft: Von Indien über Ostafrika nach Brasilien," deckt den Zeitraum von Juni 1917 bis 1930 ab, darunter ausführlich seine Gefangenschaft als Angehöriger der Kaiserlichen Schutztruppe in dem Kriegsgefangenlager Ahmednagar in Indien, die Rückkehr in die Heimat 1920, eine erneute Ostafrikareise von 1925 bis 1926, sein Leben in Deutschland und, von 1929 bis 1930, eine Reise durch Brasilien.
In der Abenddämmerung eines Junitages des Jahres 1917 glitt der englische Dampfer «Windsor Castle» langsam zum Hafen von Daressalam hinaus. An Bord befanden sich gegen vierhundert schwerverwundete Indersoldaten, die in ihre Heimat zurücktransportiert wurden und ungefähr achtzig kriegsgeiangene Soldaten der Kaiserlichen Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika. Darunter war auch ich. Aus übertriebener Angst vor der Macht unseres Einflusses auf die Eingeborenen der afrikanischen Kolonien schafften die Engländer damals alle gefangenen Deutschen aus Ostafrika weg. Das Ziel unserer Fahrt war das Gefangenenlager von Ahmadnagar in Britisch-Indien; eine Anzahl Kameraden hatte man schon vorher nach Malta und Ägypten verschickt. Wie sich später herausstellte, war ihnen dort ein weitaus schlechteres Los beschieden als uns im fernen Indien. Dürr und hager, geschwächt von Tropenkrankheiten und Strapazen, vergiftet durch jahrelangen Chiningenuss, erfüllt von einem Abschiedsschmerz, wie ich ihn in solcher Stärke noch nie empfunden hatte, sah ich den weißschimmernden Strand und die hohen, im Monsun schwingenden Kokospalmen der afrikanischen Küste allmählich in den Gluten des Sonnenuntergangs verschmelzen. Ich hatte keine eigentliche Heimat gekannt; doch jenes dunkle, wilde Land, das da hinter mir versank, war mir im Laufe von fast fünf Jahren zur Heimat geworden. Fünf Jahre hatte ich dort gelebt. Zwei davon, inmitten der unvergleichlichen afrikanischen Tierwelt verbracht, waren von tiefstem innerlichem Erleben, die letzten drei von den Schrecken eines verbissenen, gnadenlosen Buschkrieges erfüllt gewesen*. Meine Hände klammerten sich um die Reling, als müsste ich einen Halt suchen, das Herz aber liess sich nicht befehlen - es krampfte sich zusammen. Doch schon in dieser von hoffnungsloser Trauer beherrschten Stunde wurde der Entschluss geboren, alles daranzusetzen, um eines Tages zurückkehren zu können in dieses heissgeliebte Land, noch einmal im Frieden seines Tierparadieses zu versinken und unter den unschuldigen Bewohnern der Wildnis die blutigen Greuel zu vergessen, mit denen wir Menschen ihr heiliges Antlitz befleckt hatten. Diese Hoffnung war die einzige, die während der sich endlos lang hinschleppenden Jahre der Kriegsgefangenschaft nicht in mir erlosch, nachdem jede andere schon gestorben war. Als winziges Fünkchen glomm sie stetig fort und half mir, das immer wieder enttäuschte verzweiflungsvolle Warten auf Befreiung zu überstehen. Nach zehntägiger ruhiger Fahrt lief die «Windsor Castle» in den Hafen von Bombay ein. Eskortiert von der Tommy-Wache, die uns von Daressalam aus begleitet hatte, wurden wir Gefangene in der Frühe des nächsten Morgens zu einem Zuge gebracht, der uns in zwölfstündiger Fahrt aus dem üppigen Küstenland in die weiten, sonnverbrannten, von kahlen, braunen Hügelwellen durchzogenen Hochebenen der Provinz Dekhan führte. Knöcheltiefer Staub bedeckte die Strasse, auf der wir, jeder ein Bündel mit Habseligkeiten in der Hand, von der Station Ahmadnagar aus einige Kilometer weit durch den sinkenden Abend marschieren mussten. Mächtige, dunkelschattende Feigenbäume begleiteten den Strassenrand; mindestens unter jedem dritten hockte ein Händler hinter einem Korb, der ein paar Handvoll armselige verstaubte Waren enthielt; unter jedem einzelnen Feigenbaum aber sass ein dreiviertelnackter, skelettdürrer, wildsträhniger Bettler oder Büsser. Auf den Hängen der Hügel knabberten Ziegen und Schafe an trockenem, bleichem Gebüsch herum; von Buckelochsen gezogene, ungefüge Karren mit hölzernen, schrillquietschenden Rädern krochen im Schneckentempo die Strasse entlang und überschütteten uns mit Wolken von Staub. [...]
* Über diese fünf Jahre berichten die Bände 4 und 5 der Reihe «Wilde Lebensfahrt», erschienen unter dem Titel «Die Wildnis ruft» und «Steppe im Sturm»
Dies ist ein Auszug aus dem Reisebericht: Ewige Wanderschaft: Von Indien über Ostafrika nach Brasilien, von Artur Heye.
Titel: Ewige Wanderschaft
Untertitel: Von Indien über Ostafrika nach Brasilien
Autor: Artur Heye
Genre: Reisebericht, Kriegserinnerungen
Reihe: Wilde Lebensfahrt, Band 6
Verlag: Albert Müller Verlag
Rüschlikon-Zürich, 1942
Original-Leineneinband, Original-Schutzumschlag, 21 x 14 cm, 154 Seiten
Heye, Artur im Namibiana-Buchangebot
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