22.08.2014

Gefährliches Halbwissen: "Schlacht um Waterberg"

Kritik von H.R. Schneider-Waterberg: Gefährliches Halbwissen über "Schlacht um Waterberg"

Kritik von H.R. Schneider-Waterberg: Gefährliches Halbwissen über "Schlacht um Waterberg"

H. R. Schneider-Waterberg kritisiert die AZ-Beiträge „Waterberg - Wunder Punkt auch nach 110 Jahren“ und „Gondwana History: Kesselschlacht am Waterberg“ als gefährliches Halbwissen.

Hinrich R. Schneider-Waterberg
Okosongomingo, Namibia

Es ist schlimm genug, dass deutsche Afrikanisten, Historiker und Journalisten in der Regel ihre eigene Kolonialgeschichte entweder nicht exakt auf die Reihe bekommen, nicht kennen oder kennen wollen. Dass aber die AZ als älteste Tageszeitung Namibias deren historische stolpernde Gehversuche über ganze Seiten ausbreitet, ist schon nahezu unverantwortlich. Heute noch aktuell ist, was schon 1918 der General von Trotha selbst zu den schon damals propagandistischen Entstellungen der Geschichte des Hererokriegs schrieb: „Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum Lachen!“ Ohne ausführlich auf Inhalte der Artikel zu Waterberg eingehen zu wollen, nur ein Kommentar zu der bewundernswert mutigen Feststellung des Autors, nämlich: „Soweit die Fakten“. Die Historikerin und Archivarin Brigitte Lau war da etwas weiser, als sie die Geschichtsschreibung zum Hererokrieg „ungewisse Gewissheiten“ nannte, und vor einer Mythifizierung (vergeblich) warnte. Inzwischen haben sich aber eine ganze Reihe Ungewissheiten klären lassen, wenn das auch nicht überall realisiert wird. Wer sich darüber „vergewissern“ möchte, dem empfehle ich meine kleine Schrift Der Wahrheit eine Gasse, in der für neue Gewissheiten unverzichtbare Primärquellen angegeben sind. Aber nun zu den „Fakten“ in obigen Beiträgen: „Wie kommen 2500 deutsche Soldaten an den Waterberg? (Es waren 1000 weniger.) Welche Gruppe mit 30 Geschützen und 14 Maschinengewehren verirrte sich? (Die verirrte Abteilung Heyde hatte sieben Geschütze und keine Maschinengewehre.) Wo sind Herero, die nach dem Krieg in Angola, Okavango, Kaokofeld, Südafrika waren, berücksichtigt? Wurde die Proklamation von Trothas nun am 2., 3. oder 4. erlassen? (Es war Sonntag, der 2. Oktober 1904.) Wie zuverlässig sind die Zahlenangaben von Herero? (Es gibt keine zuverlässigen.) Hatte die Proklamation mit ihrer absichtlich abschreckenden Wortwahl einen Einfluss auf die Grausamkeit der Kriegsführung? (Konnte sie nicht, denn als sie erlassen wurde, waren die Kämpfe vorbei und die Herero längst fort; die Verfolgung war eingestellt, die Bekanntmachung war gänzlich unzulänglich, und bald danach wurde die Proklamation ohnehin widerrufen.) So könnte man fortfahren; aber wer will sich schon für seine „Storie“ zu sehr von den Fakten verwirren lassen? Zur aktuellen Einschätzung der Von Trothaschen Proklamation im Besonderen und des Kolonialkriegs im Allgemeinen sind jedoch offensichtlich wieder einmal einige klärende Worte überfällig. Einsicht in das bisher unveröffentlichte Tagebuch des Generals von Trotha und andere neu erschlossene Quellen ermöglichen folgende schlüssigen, teilweise Neuorientierungen der historischen Abläufe: Seit dem 11. August ab Waterberg, also nach fast zwei Monaten (!) der vergeblichen Verfolgung der Herero, war von Trothas Angriff - sein vermeintlich „letzter Schlag gegen Samuel“ - am Freitag, den 30. September, bei Ozombo zo Windimba abermals fehlgeschlagen. Die sich dort befindlichen Hereronachzügler waren mit Vieh kampflos in mehrere Richtungen abgezogen. Dass Samuel und seine Gruppe in Wirklichkeit (wahrscheinlich seit Anfang September) im Britischen Betchuanaland (heute Botswana) waren, konnten sich damals und können sich bis heute offenbar nur Wenige vorstellen. Aber anzunehmen, dass die seit zwei Monaten unauffindbaren Herero mit ihrem Vieh ganze zwei Monate lang in der Omaheke ohne Tränk- und Trinkwasser auf die Deutschen zu einem Gegenangriff oder „Zurückfluten“ gewartet haben sollen, ist schlicht alberne Arroganz der Historiker. An jenem Freitagabend des 30. September notierte der General: „Wenn sie also hier bleiben wollen, so können sie es. Verfolgen tue ich nicht mehr. Basta.“ Am nächsten Tag, Sonnabend, den 1. Oktober, notierte er: „Vormittags versucht, einige Vögel zu schießen. (Der General sammelte für Museen in Deutschland.) Nachmittags Proklamation an die Herero fabriziert mit Hilfe von Kean und Phillipus. Nichts Besonderes.“ Am Sonntag: „Einige Vögel geschossen. Um 5 Uhr Feldgottesdienst und Abschied vom 1. Feldregiment.“ Am nächsten Morgen in aller Frühe ritten der General und sein Stab nach Windhoek ab. Die Truppen wurden bis zur Regenzeit auf ihre Basen beschränkt. Die oft zitierte „Besetzung aller Wasserstellen“ ist schon rein logistisch eine Unmöglichkeit. Das zweite Feldregiment unter Berthold von Deimling, also in etwa die halbe Truppe, wurde in den Süden in den gerade ausbrechenden Nama-Aufstand abgezogen. Der Hererokrieg ist in Wirklichkeit damit zu Ende. Die abschreckende Proklamation ist ein vorsorglicher, aber überflüssiger Schlag ins knappe Wasser. Zwei Monate später wurde die aus innenpolitischen Gründen lästige Proklamation aufgehoben, und in einer „Schicksalswende“ (Drechsler nennt sie eine Peripetie) abgewandelt, indem von Trotha am 9. Dezember 1904 befohlen wird, mit Hilfe der Mission, zur „einstweiligen Versorgung und Unterbringung der Reste des Hererovolkes“, Sammellager einzurichten. Berlin gebraucht dafür den damals noch wertneutralen Begriff „Konzentrationslager“, an dem sich heute Historiker zusammenhanglos abarbeiten. Von Vernichtungslagern kann nicht die Rede sein, von landesweiten Skorbut- und Typhus-Epidemien wohl. Von Trotha stellte sofort seinen Posten zur Verfügung, was der Kaiser ablehnte. Er wurde nicht abberufen, sondern bekam einen Orden. Die Proklamation wurde erst Monate nach ihrer Rücknahme bekannt, da der amtliche Vorgang einer Pressesperre unterlag. Es gab weder in Deutschland noch im Ausland Empörung, die zu ihrer Rücknahme führte. Als im September 1905 der Kolonialkrieg ein Kleinkrieg wurde, legte von Trotha Berlin nahe, das Oberkommando rangmäßig herabzustufen. Der Kaiser ließ ihn im November heimkehren, nach der Verleihung des pour le merite, des höchsten deutschen Ordens. Eine Neueinschätzung der historischen Bedeutung des Kriegs und in dessen Rahmen der Von Trothaschen Proklamation erscheint an der Zeit, zumal eine ereignisgeschichtliche Verbindung des Tatbestands des Genozids / Völkermords mit Ereignissen der Kriegsabläufe sich nicht ohne Weiteres ergibt.

Mit freundlicher Genehmigung der Allgemeinen Zeitung in Windhoek (Namibia), veröffentlicht das Namibiana Buchdepot die Pressemeldung: Gefährliches Halbwissen Schlacht um Waterberg.

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