Namibiana, Nr. 12 (1993), von Wolfgang Reith et al.
Der bezaubernde Beitrag von Kuno F. R. Budack über seine Freundschaft zu Dagmar von Budewitz in Lüderitzbucht und Swakopmund erschien in der Reihe Namibiana, Ausgabe Nr. 12 aus dem Jahr 1993. Neben seinem, finden sich weitere Beiträge von Wolfgang Reith, Antje Otto-Reiner, Gustav Wackwitz, Amy Schoeman, Herbert Halenke und Werner Andreas Wienecke.
Kuno F. R. Budack Amy Schoeman Wolfgang Reith Herbert Halenke Antje Otto-Reiner
Dagmar von Budewitz (K.F.R. Budack, Windhoek)
Zwischen Namib und Südatlantik liegt eine kleine Stadt wie ein tröstliches Lächeln inmitten der Verlassenheit. Als ich sie zum erstenmal sah, vor dem Hintergrund des silberglänzenden Ozeans, erleuchtet von der sinkenden Sonne, begann ein Traum, der nie verweht. Ich konnte nicht anhalten, sondern fuhr immer weiter durch die alten Straßen, hinab zum Hafen, auf die Haifischinsel und wieder steile Gassen hinauf, vorbei an Jugendstilhäusern mit hohen Giebeln, ornamentierten Fassaden, Erkern und Loggien und weissen Straßennamen auf preußisch-blauem Email. Dazwischen blitzten Durchblicke auf die Buchten, die Inseln und das weite Meer. Wieviel zauberhafte Eindrücke mir das Land auch geschenkt hatte: dies erschien mir so unwirklich, als sei es nicht mehr Afrika, sondern ein anderer Stern. So unwirklich wie diese Stadt war auch die erste menschliche Begegnung. Durch die Lindequiststraße schritt, leicht vornüber gebeugt und auf einen Stock gestützt, eine alte, weißhaarige Dame mit einer Umhängetasche den Berg hinan. Da hielt ich zum erstenmal, um ihr mit der schweren Last eine Fahrgelegenheit anzubieten. Aber sie wohnte ganz in der Nähe und lud mich freundlich zum Tee ein. An diesem Spätnachmittag 1966 entstand eine Freundschaft, die über ihren Tod im Alter von 90 Jahren hinaus andauert. Frau Dagmar von Budewitz, geb. Freiin von Vietinghoff, deren deutsch-baltische Familie aus Estland stammte und den Hochmeister Hermann von Salza zu ihren Vorfahren zählte, wurde am 21. März 1893 in Ostrów im Gouvernement Witebsk (Weißrußland) geboren und war die Witwe eines kaiserlich-russischen Gardeoffiziers. Später saßen wir noch oft im Gespräch zusammen, in ihrer bescheidenen Wohnung in Herrn Mroczkowskis verfallenem Hinterhof, im Hause ihrer klugen und künstlerisch begabten Tochter Tatjana oder auf der Terrasse von Freunden hoch über der Stadt und den Buchten. Unvergeßlich bleibt mir ein seltener, windstiller Nachmittag, als wir dort oben saßen und über das großartige Panorama von bunten Häusern, hellgrauen Landzungen und Inseln auf das unendliche Blau des Meeres blickten. Nur weit draußen schwamm ein weißes Segel vor dem Dunsthorizont und zog das von der Endlosigkeit ermüdete Auge seltsam an. In diesem Augenblick hörte ich ihre klare russische Stimme Verse von Michail Jurjewitsch Lermontow (1814-1841) sprechen:
Белеет парус одинокой
В тумане моря голубом!..
Что ищет он в стране далекой?
Что кинул он в краю родном?
Weiß blinkt ein einsam Segel
In des Meeres blauem Dunst ...
Was sucht es am fernen Strande?
Was verließ es im Heimatlande?
Und diese wunderbaren Worte, die der Stimmung des Augenblicks so vollkommen entsprachen, legten sich wie ein Zauber über die Szene. Eines Tages zeigte sie mir ein vergilbtes Photo der „Kursanten" eines Lehrgangs der „Kaiserlichen Nikolai-Kavallerieschule" in Krásnoje Sseló bei St. Petersburg aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. In der Mitte der ersten Reihe sitzt der Zar Nikolai II Alexandrowitsch in einer schlichten Feldbluse, neben sich den Kriegsminister, General Suchomlinow. Oben links, in der dritten Reihe, steht im schwarzen Dolman des II. Pawlograder Leibhusarenregiments mit silbernen Schnüren und dem Doppeladler an der Papácha (hohen Pelzmütze) der Rittmeister Lew Julianowitsch von Budjewitsch (wie seine russischen Kameraden den Namen aussprachen. Sein Geschlecht stammte aus Budweis oder Budejovice in Böhmen). Sein junges, glattes Gesicht blickt gelassen; er ahnt noch nichts vom nahe bevorstehenden Unheil: Lungendurchschuß in den Kämpfen der I. russischen Armee bei Tannenberg, Revolution, winterliche Flucht und früher Tod in der Fremde. Auch die Liebe zu Dagmar von Vietinghoff liegt noch in der Zukunft: er wird sie erst 1915 im Feldlazarett des 512. Sibirischen Regiments als freiwillige Krankenschwester kennenlernen. Ihr gemeinsames Leben sollte nur vier Jahre dauern, denn schon 1919 starb der mit dem Annenorden und dem Georgskreuz ausgezeichnete Rittmeister von Budewitz in Polen an den Folgen seiner schweren Verwundung. Seine junge Frau und sein einjähriges Töchterchen Tatjana mußte er unter fremden Menschen zurücklassen. Er hatte ihr den Namen der hübschen, intelligenten und bescheidenen Großfürstin Tatjana Nikolájewna gegeben, die als Ehrenoberst Inhaberin seines Regiments gewesen war und im Geburtsjahr seiner Tochter mit der kaiserlichen Familie in Jekaterinburg von den Bolschewisten ermordet wurde. [...]
Dies ist ein Auszug aus der Ausgabe Namibiana, Nr. 12 (1993), von Wolfgang Reith et al.
Titel: Namibiana
Reihe: Namibiana, Nr. 12
Autoren: siehe Inhaltsverzeichnis
Verlag: Namibia Wissenschaftliche Gesellschaft
Windhoek, Namibia 1993
Auflage: 750 Exemplare
ISSN 0259-2010
Originalbroschur, 15 x 21 cm, 173 Seiten, zahlreiche sw-Fotos und Abbildungen
Budack, Kuno F. R. und Halenke, Herbert und Otto-Reiner, Antje und Reith, Wolfgang und Schoeman, Amy und Wackwitz, Gustav und Wienecke, Werner Andreas im Namibiana-Buchangebot
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Namibiana Nr. 12 (1993)
Dies ist Nr. 12 der Reihe Namibiana aus 1993, einer Zeitschrift der Ethnologisch-Historischen Arbeitsgruppe der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft.