Ludwig von Estorff. Preußisch, eigenwillig, geachtet, von Hans Hilpisch
Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel "Der Naukluft-Feldzug" aus "Ludwig von Estorff. Preußisch, eigenwillig, geachtet", einem biographischen Werk von Hans Hilpisch.
Der Naukluft-Feldzug 1894
Der Abmarsch von Swakopmund ins Landesinnere erfolgte in zwei Kompanien. Zuerst marschierte die 2. Kompanie unter Hauptmann von Sack ab, der sich Major Leutwein anschloss, tags darauf die 1. Kompanie unter von Estorff. Die Natur Südwestafrikas zeigte sich gleich zu Beginn von ihrer rauen Seite. „Unglücklicherweise setzte jetzt gerade der gefürchtete Ostwind ein. Er brachte eine erstickende Gluthitze und wehte mit solcher Heftigkeit, dass der feine Sand den er in großen Mengen mit sich führte, das Gesicht wie ein starker Hagel peitschte. [...] Gegen diesen Wind anmarschierte ich mit der Kompanie, wir stapften mit abgewendetem Gesicht vorwärts. Der Marsch ward zu einer schrecklichen Qual. Es waren nur 16 km bis zur Wasserstelle im Swakop die es zu erreichen galt, wir gebrauchten wohl 5 Stunden dazu, und nie hatte mich ein Marsch so erschöpft. " Um ein Beispiel zu geben, hatte von Estorff auf das Reiten verzichtet, obwohl ihm als Offizier ein Pferd zur Verfügung stand. Durch den Sturm hatte sich auch sein empfindliches rechtes Auge entzündet, außerdem hatte sich eine Trübung der Hornhaut eingestellt, die jedoch nach einigen Tagen wieder wich. Da auch die Ochsen bei diesen Bedingungen den Gehorsam verweigerten, machte die Truppe gleich zu Beginn die Erfahrung, dass man sich der Natur des Landes nicht in trotziger Weise entgegenstellen durfte. Vielmehr schien es geboten, sie kennenzulernen und das eigene Verhalten nach ihr auszurichten.(68) Als der Namib-Wüstengürtel einmal durchquert war, ging es in kühlen Nachtmärschen auf der sanft ansteigenden, felsigen Hochfläche leicht in Richtung Windhuk voran. Begeistert beschreibt von Estorff den Sternenhimmel, der in Südwestafrika von wundervoller Klarheit ist und den man nie mehr vergisst, wenn man ihn einmal gesehen hat. Nun trat nach seinen Worten auch in Erscheinung, was den größten Wert des afrikanischen Lebens ausmachte und solchen Reiz besaß, dass Anstrengungen und Entbehrungen darüber schnell vergessen wurden. Es war das Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit, das bis zum letzten Reiter, wie die einfachen Soldaten hier hießen, empfunden wurde. Landschaft und entbehrungsreiches Leben formten die neu ins Land gekommenen Schutztruppler auch auf andere Weise: Hier wurde nicht lange ausgerichtet, eingeteilt, Belehrungen abgehalten, man brauchte keine Rücksichten zu nehmen auf andere Truppen. Mehr und mehr zeigte sich: der beste Soldat war der, welcher sich selbständig mit jeder Lage abfand und in ihr seinen Mann stand. Die Disziplin stand hier auf höherer Warte: ein kurzer Befehl, der ansagte, worauf es ankam, musste genügen, das übrige hatten Überlegung und Tatkraft des Einzelnen und das rechte Zusammenwirken aller zu leisten. Genügten Führer und Truppe dieser Anforderung nicht, so waren alle verloren. "(69) Immer mehr oder weniger am Swakop-Rivier entlang marschierte Ludwig von Estorffs 1. Kompanie über Otjimbingwe nach Groß-Barmen, von dort aus nach Windhuk, das damals gerade mal etwa 20 Häuser zählte, und Rehoboth zur Naukluft. Die 2. Kompanie unter Hauptmann von Sack hatte den Swakop-Rivier bereits früher verlassen und war über Onanis und Hornkranz nach der Naukluft marschiert. Beide Kompanien erreichten ihr Ziel schließlich zwischen dem 14. und 17. August, also gute zwei Wochen nach dem Ablauf des Waffenstillstandes. Um gegen jede Überraschung gerüstet zu sein, hatte Theodor Leutwein zwischenzeitlich dem Distrikt-Chef von Otjimbingwe, Leutnant Kurd Schwabe, den Auftrag gegeben, sich bis spätestens zum 1. August mit 55 Reitern und zwei Geschützen nach Büllsport in der Nähe des Haupteingangs der Naukluft zu begeben. In Rehoboth hatten sich ihm 50 Baster unter Führung von Hans Diergaard angeschlossen. Leutwein selbst war am 4. August vor der Naukluft eingetroffen.(70) Am Tage darauf trafen unter der Führung von Leutnant Lampe auch die Pferde für die Verstärkungstruppen aus der Kap-Kolonie ein. Auch sie waren verspätet und konnten daher nicht mehr bis an die Küste gebracht werden, weshalb die beiden Kompanien den Weg nach der Naukluft marschieren mussten.(71) Von Estorff hatte seine Pferde zwar bereits in Windhuk empfangen, da sie aber von dem langen Marsch durch die Kalahari sehr geschwächt waren, legten seine Soldaten auch den Rest des Weges zur Naukluft zu Fuß zurück.(72) Auch Hendrik Witbooi hatte den Waffenstillstand dazu genutzt, sich zusätzliche Waffen, Munition, Pferde und Proviant zu verschaffen. Er selbst hatte sich zwischenzeitlich sogar für kurze Zeit in den Süden begeben, um weitere Bundesgenossen zu gewinnen, war dabei allerdings erfolglos geblieben. [...]
Dies ist ein Auszug aus: Ludwig von Estorff. Preußisch, eigenwillig, geachtet, von Hans Hilpisch.
Titel: Ludwig von Estorff
Untertitel: Preußisch – eigenwillig – geachtet
Autor: Hans Hilpisch
Verlag: Kuiseb-Verlag
Windhoek, Namibia 2019
ISBN 9789994576654 / ISBN 978-99945-76-65-4
Broschur, 15 x 21 cm, 416 Seiten, 18 Kartenskizzen
Hilpisch, Hans im Namibiana-Buchangebot
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