In Treue fest, Südwest!, von Henning Melber
In Treue fest, Südwest!, von Henning Melber. »Wir, die Deutschen, müssen uns unserer Geschichte stellen«. Einleitende Bemerkungen.
»Der Europäer kam als Eroberer, aber auch in gewissem Sinn als Wohltäter. Jedenfalls beeinflußte er die Lebensweise der Neger in einem Maße, daß man sein Erscheinen in Afrika geradezu als schicksalhaft bezeichnen kann. Die tausendjährige Stagnation fiel dahin. Indem die Weißen Krankheiten bekämpften, Seuchen zum Verschwinden brachten, die Kindersterblichkeit herabsetzten, die hygienischen Verhältnisse verbesserten, um nur einiges zu nennen, dienten sie, wenn sie auch nur ihren eigenen Vorteil dabei im Auge hatten, dennoch den in ihrem Urzustand vegetierenden Stämmen, die nun auch allmählich aufhörten, sich wegen jeder Kleinigkeit in blutiger Fehde zu zerfleischen.« Versuchen Sie doch einmal, den etwaigen Zeitpunkt dieses Eingangszitats zu lokalisieren, ohne vorher den Quellennachweis in der Anmerkung zu lesen. Zur Orientierungshilfe: Geschrieben wurde dies irgendwann zwischen 1884 und 1984. Es lassen sich wohl nur wenige Themenfelder finden, in denen sich Mythen, Apologien und Verfälschungen, Geschichtsklitterung und ähnlich deformierte Betrachtungsweisen ebenso hartnäckig und ungebrochen zu behaupten wußten, wie im Bereich deutscher Kolonialapologie. Und dies, obwohl es hinreichend historisches Quellenmaterial gibt, das eine andere Sprache spricht. So notierte der damalige Kolonial-Staatssekretär Dr. Wilhelm Solf, gewiß frei des Verdachts zu den »Ratten und Schmeißfliegen« seiner Zeit zu gehören, anläßlich eines Besuchs in der Kaiserlichen Kolonie Deutsch-Südwestafrika im Jahre 1912 über die dortigen Verhältnisse:
»Den meisten Weißen, insbesondere den Farmern ist der Eingeborene ein Tier. Die Eingeborenen hassen die Weißen, und die Weißen verachten die Eingeborenen. Andere Beziehungen zwischen diesen beiden Polen scheinen nicht vorhanden. Freundlichkeit gilt als Schwäche, Schimpfen und Schlagen als natürliche Verkehrsform.«
Sicher kein einsamer Rufer in der Wüste, der diese Beobachtung niederschrieb. Dessen ungeachtet, vermag noch 60 Jahre später das eingangs gewählte Zitat Eingang in seriöse wissenschaftliche Kreise zu finden. Eine Ausnahme? Gewiß nicht. Weitere zehn Jahre später, um ein zweites Beispiel zu bemühen, ist in der veröffentlichten Habilitationsschrift eines als renommiert geltenden Zeitgeschichtlers, erschienen in einem als ebenso renommiert geltenden Verlag wissenschaftlicher Publikationen, noch immer dieselbe Tendenz herauszulesen, wenn die koloniale Bildungspolitik deutscher Missionsgesellschaften mit dem anerkennenden Fazit bedacht wird:
»Gleichzeitig setzte sie die schwarzen Völker jedoch in den Stand, den Anschluß an die Weltzivilisation selbständig zu finden.«
Fürwahr, dieser analytische Scharfsinn ist beeindruckend, und leider doch symptomatisch für unser verdrängtes koloniales Verhältnis. Wenn auch inzwischen die »Selbstlosigkeit« der zivilisatorischen Mission deutscher Kolonialpioniere zumeist doch infrage gestellt wird, so schneidet der deutsche Eroberer und die treue Frau an seiner Seite nach wie vor in der Aufarbeitung dieses Themas, soweit von Aufarbeitung überhaupt gesprochen werden kann, vergleichsweise nicht schlecht ab. Wer glaubt, daß anläßlich des hundertsten Jahrestages deutscher Kolonialherrschaft anno 1984 die zu diesem Anlaß verfaßten und veröffentlichten Werke einen anderen Tenor haben, der wird bei der Lektüre eines Besseren (bzw. Schlechtem) belehrt. Noch immer dominiert die Selbstgerechtigkeit, lassen sich die kolonialen Barbareien als notwendige zeitgeschichtliche Erscheinungsformen wenn schon nicht rechtfertigen, so doch erklären und billigen. In jedem Falle, so meinen diese Autoren, waren die Deutschen in ihrem 30jährigen kolonialen Treiben keinesfalls schlimmer als die übrigen Kolonialnationen. Es ist müßig, über die Haltbarkeit eines solchen Vergleichs weiter zu spekulieren. Schließlich: Wird denn die systematische Vernichtung von Millionen Menschen, geboren aus dem arischen oder irgend einem anderen Größenwahn etwa dadurch relativiert, daß es auf unserer Erde immer »Minderheiten« gegeben hat, denen es nicht viel besser erging und ergeht? Dies mag moralisch klingen, aber auch Moral sollte uns wichtig sein, selbst wenn sie nicht mehr »in« ist. [...]
Dies ist ein Auszug aus: In Treue fest, Südwest!, von Henning Melber.
Titel: In Treue fest, Südwest!
Untertitel: Eine ideologiekritische Dokumentation von der Eroberung Namibias über die deutsche Fremdherrschaft bis zur Kolonialapologie der Gegenwart
Herausgeber: Henning Melber
Reihe: Edition Südliches Afrika 19
Verlag: ISSA
Bonn, 1984
ISBN 3921614236 / ISBN 3-921614-23-6
Originalbroschur, 20 x 20 cm, 188 Seiten, zahlreiche sw-Abbildungen
Melber, Henning im Namibiana-Buchangebot
In Treue fest, Südwest!
In Treue fest, Südwest! Von der Eroberung Namibias über die deutsche Fremdherrschaft bis zur Kolonialapologie der Gegenwart.
Koloniale Vergangenheit – Postkoloniale Zukunft? Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken
Koloniale Vergangenheit – Postkoloniale Zukunft? Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken. Beiträge zur Komplexität von Erinnerungskultur, Verantwortungsübernahme und gesellschaftlichen Ungleichheiten.
Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte
Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte: ein 'postkolonialer' Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte.
Perspektiven 2018/2019: Namibias schwieriger Umgang mit seiner Kolonialgeschichte
Als Nachfolger des Afrikanischen Heimatkalenders bringt Perspektiven 2018-2019 als Doppeljahrgang aktuelle Beiträge zu Kirche, Gesellschaft und Zeitgeschehen in Namibia: Namibias schwieriger Umgang mit seiner Geschichte.
Here we stand. Reflecting on 500 years of Reformation in Namibia
Here we stand: Reflecting on 500 years of Reformation in Namibia includes articles by Namibian bishops, theologians, pastors, academics and lay members of the Lutheran community.
Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Vergangenheitsbewältigung
Ein kritischer Beitrag zum aktuellen Namibia-Thema: Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Vergangenheitsbewältigung.
Namibia: Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit
Kritische Analyse der Politik der SWAPO in Namibia als einer Befreiungsbewegung an der Macht und gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit Namibias.
Hauptsache Windhoek
Die Sammlung Hauptsache Windhoek enthält drei Dutzend Geschichten und Gedichte über die Hauptstadt Namibias.
Afrikanischer Heimatkalender 2008
Afrikanischer Heimatkalender 2008: Seit 1930 Botschafter christlicher Werte in Namibia, mit vielen interessanten landeskundlichen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Beiträgen.
Perspektiven 2013 / Afrikanischer Heimatkalender 2013
Dieser Jahrgang der Perspektiven 2013, dem ehemaligen Afrikanischen Heimatkalender, behandelt gesellschaftliche und politische Themen Namibias.
Katutura. Alltag im Ghetto
Versuch einer Alltagsbeschreibung der damaligen Neubausiedlung für schwarze Namibier, Katutura, für die in den 1980ern der Begriff 'Ghetto' gebraucht wird.
Afrikanischer Heimatkalender 2009
Afrikanischer Heimatkalender 2009: Seit 1930 Botschafter christlicher Werte, mit vielen interessanten landeskundlichen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Beiträgen um Namibia.
Ein Land, eine Zukunft. Namibia auf dem Weg in die Unabhängigkeit
'Ein Land, eine Zukunft. Namibia auf dem Weg in die Unabhängigkeit' will mit zahlreichen Beiträgen über Ideologie und Praxis des Kolonialsystems in Namibia sowie über politische und gesellschaftliche Utopien und Alternativen informieren.
Afrikanischer Heimatkalender 2007
Afrikanischer Heimatkalender 2007: Seit 1930 Botschafter christlicher Werte in Namibia, mit vielen interessanten landeskundlichen, geschichtlichen, politischen und kulturellen Beiträgen.
Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart
Genozid und Gedenken: Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart ist ein Beitrag zur aktuellen Standortsuche und -bestimmung der deutsch-namibischen Beziehungen im Schatten der Kolonialgeschichte.
It is no more a cry. Namibian Poetry Exile Essays Literature Resistance Nation Building
It is no more a cry introduces to Namibian Poetry in Exile and Henning Melber's Essays on Literature in Namibian Resistance and Nation Building.
Völkermord in Deutsch-Südwestafrika
Die Beitragssammlung Völkermord in Deutsch-Südwestafrika stellt die Ansichten verschiedener Autoren zum Herero- und Namaaufstand in dar.
Namibia. Grenzen nachkolonialer Emanzipation
Kritische Betrachtung der Grenzen der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie der nachkolonialen Emanzipation in Namibia 1900-2003.
Vom Schutzgebiet bis Namibia 2000
Mit 62 Beiträgen zur älteren und jüngsten Geschichte bis 2000 des ehemaligen Schutzgebiets und des heutigen Namibia.