26.12.2011

Ein unvergeßliches Weihnachtsfest aus dem Jahr 1907

Eine Weihnachtsgeschichte, erzählt von Wilhelm Vorberg.

Ich war Mitte 1907 nach Südwestafrika gekommen, um die seit 1904 verlassen liegende Farm Ongeama meines Bruders zu übernehmen, der im Januar 1904 von den Herero erschossen worden war, und um die Reichsentschädigung dafür zu bekommen. Zunächst hatte ich in Windhuk Verhandlungen mit dem Entschädigungskommissar Paul Rohrbach zu führen, die auch auf Grund einer genauen Bestandsaufnahme, die mein Bruder noch vorher hatte machen können, einigermaßen günstig verlaufen konnten. Es wurden noch etwa elf Siebzehntel, meiner Erinnerung nach, von der angemeldeten unanerkannten Schadenssumme ausgeschüttet - die Gelder waren im übrigen erschöpft. Dann ging es mit freundlichst vom Forstassessor Pogge zur Verfügung gestellten Pferden zunächst nach Neudamm, wo ich wenige Tage blieb, und von dort aus, begleitet von meinem etwas Deutsch sprechenden Bambusen, der vorher bei einem Truppenoffizier gedient hatte, im Fußmarsch nach der benachbarten Farm, allerdings nur bis auf die Randberge, von denen man in der Tiefe das Farmgehöft einsam liegen sehen konnte.

Dann nahm uns in den nächsten Tagen ein Frachtfahrer, der meine Vorräte mitgebracht hatte, mit nach Ongeama. Das Haus bestand aus zwei Zimmern mit einer Veranda davor und sah schlimm aus. Alle Fenster waren ausgeschlagen und in den Wellblechplatten des Daches waren Löcher, augenscheinlich von Schüssen. Das Küchengebäude sah besser aus, der Herd war brauchbar. Neben dem Wohnhaus befand sich ein niedriges, langgestrecktes Gebäude mit mehreren Abteilungen, die als Vorratsräume zu gebrauchen waren. Zwei Betten lagen auf dem Hofe. Wir richteten uns provisorisch ein, die Betten wurden hereingeholt und mit trockenem Gras und Decken versorgt. Vorratskisten ersetzten Tisch und Stühle. Der Bambuse hatte große Angst und verkroch sich in den ersten Tagen nachts unter meinem Bette. Nach und nach kam Ordnung in unser doch zunächst sehr einfaches Leben. Aus Windhuk wurden drei Hererofamilien überwiesen, auf einer Auktion dort konnte ich fünf Pferde, zehn Kühe, sechs Mulis und dreißig Ziegen erwerben.

Später kaufte ich auch noch Hühner, dazu kamen ein Wagen, eine Karre, Pflug und Egge und Gartengeräte. Das Rivier lief direkt am Hofe vorbei, wo es sogar eine immer offene Wasserstelle vor einer natürlichen steinernen Schwelle bildete. Auf dem Ufer gegenüber entdeckte ich dann den ehemaligen Garten mit zwei Brunnen. Dort wurde eine Diaphragmapumpe aufgestellt. Aus Dresden kam schließlich ein Windmotor, der das Wasser aus der offenen Wasserstelle in ein hochgelegenes Reservoir pumpte. Es war eine interessante Zeit mit viel Arbeit. Aber ich konnte bald Butter und Käse nach Windhuk liefern und es ließ sich sehr gut mit den Hereros arbeiten. Auf den beiden Schwemmsandufern wurden Kartoffeln gesetzt. So ging die Zeit bis Weihnachten im Fluge dahin. Natürlich erwartete ich nicht nur Briefe, sondern auch Pakete für das Fest aus Berlin, wo meine Mutter und Geschwister lebten. Ich hatte rechtzeitig erfahren, daß der Dampfer „Amold Amsing" mit der Weihnachtspost am 19. Dezember vor Swakopmund eingetroffen war. Der mußte auch meine Weihnachtssachen bringen, die nun aber aus Windhuk, 50 km weit, abgeholt werden mußten.

So sandte ich meinen ältesten Bambusen, Moses, am 21. Dezember mit einem Muli hinein mit dem Auftrage, alles zu holen und rechtzeitig am 23. mittags oder nachmittags wieder zurück zu sein. Aber der 23. verging und kein Moses erschien, auch bis zum 24. mittags war er noch nicht da. So ließ ich meinen Fuchswallach, den ich mir mit Mühe zugeritten hatte, satteln - er war vorher noch nie geritten worden und stammte aus dem Gestüt Nauchas - und ritt dem ersehnten Boten in Richtung Farm Hoffnung entgegen. Dorther mußte er kommen und ich hoffte, ihn zu treffen. Aber es wurde sechs Uhr und niemand kam. So entschloß ich mich abzusatteln, das Pferd zu fesseln und die Nacht an Ort und Stelle zu verbringen. Der Sattel wurde mein Kopfkissen, mit der Decke deckte ich mich zu.

Der Himmel ging aus seinem strahlenden Blau schnell in Tintenfarbe über und der überreiche südliche Sternenhimmel breitete sich über die Welt. Ringsum große, weite Stille! Meine Gedanken wanderten nach Norden, nach Hause, wo alles jetzt unter dem Weihnachtsbaum versammelt war. Die Mutter, die Geschwister - und mancher Gedanke würde auch von dort zu mir herfliegen. Hierher? In die Einsamkeit der Steppe, wo ich unter dem Kreuz des Südens an einem Dombusch neben dem Weg allein lag und das Rupfen des grasenden Pferdes hörte? Sonst war nichts zu vernehmen, auch kein Tierlaut. Daß ich noch nicht im Besitze der Weihnachtsgaben war, selbst der Ärger über den unpünktlichen Boten - das alles versank vor der Ruhe der Natur, verging mir und ward gleichgültig. Es würde dann eben morgen kommen.

Ich sah in beschaulichem Schweigen, wie sich das Sternenzelt da oben drehte, und bewunderte die Macht, die das seit Jahrtausenden gleicherweise trieb. Eine große Ruhe war in mir, so ruhig wie rings die Welt. Ich dachte an die Jugend mit den verschiedenen Christfesten, sie zogen an mir vorüber mit all den vielen Freuden und Erinnerungen, und ich fragte mich, ob dieser Tag heute auch für mich Weihnachten bedeute in dieser fremden, eigenartigen, nie geahnten Umgebung. Ja, ich wußte: Auch dies war Weihnachten!

Übrigens gab mir die Zukunft recht: Es ist das eindrucksvollste Weihnachten gewesen und geblieben über all die vielen Jahre hin, unvergessen und unvergeßlich! Und mit diesen Weihnachtsgedanken schlief ich dann, bis die helle Sonne mich weckte. Ja, es war wirklich Weihnachten, gleich, ob die Geschenke da waren oder nicht, gleich, ob ich an einem fremden, einsamen Weg schlief, gleich, ob ich einen Weihnachtsbaum hatte oder nicht, ob nur die leuchtenden Sterne über mir standen! Weihnachten ist an keinen Ort gebunden und kennt keine bestimmte Form! Weihnachten muß in uns sein! Ich sattelte meinen Gaul und trabte nach Hause. Mittags traf der Bote ein mit einer reichen Weihnachtssendung.

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