Raka: Kapitel V. Die Nacht, von N. P. van Wyk Louw

Kapitel V: Die Nacht - Aus dem Epos Raka von N. P. van Wyk Louw, ins Deutsche übersetzt von Wilhelm Kellner.

Kapitel V: Die Nacht - Aus dem Epos Raka von N. P. van Wyk Louw, ins Deutsche übersetzt von Wilhelm Kellner.

Kapitel V: Die Nacht - Aus dem Epos Raka von N. P. van Wyk Louw.

N. P. van Wyk Louw  Wilhelm Kellner  

Kapitel V: Die Nacht

In dieser Nacht blieben die Feuer in hohem Brand
und glühten durch die Pfähle, die der Wälder schwarze Wand
trennten von dem kleinen Kreis, wo die Flamme loht',
und niemand schlief aus Furcht vor der Macht, die ihnen droht'
gleich einem dunklen Damm, der auf sie niederbricht -
denn Raka war mit schrillen Schreien bis dicht
an den Kral gekommen, wo sie ihn in der Glut
durch die Spalten erkannten und braunes Blut
über Maul und Brust und dem breiten Bauche sahn,
und sein Schrei war wild von Rache und Wahn.
Doch schlich er still davon im Morgengraun,
und einzeln und steif krochen sie zu den Pfählen, zu schaun,
ob er fort war, und erblickten entsetzt
das gelbe Gras bis zur Umschanzung zerfetzt,
zerstampft und gebrochen und rot befeuchtet
an den Halmen ...

Erst als die Mittagswolke wieder leuchtet',
wie Schneegebirg' in halber Höhe in den Lüften schwebt',
zur Stunde, da des Menschen Angst am fernsten lebt
von allem Bösen, das sich nachts hervorgewagt,
verließen dreißig Krieger wie zur Jagd
den Kral mit Schild und Assagai, im Kruge Kohlenglut,
zu schrecken mit dem Rauch und mit der blinden Wut
der großen Steppenfeuer, und in dichtem Verband,
aneinandergedrängt, suchten sie Koki am Rand
des breiten Wassers. Und als sie die Dämmrung gespürt
und als die Furcht vor der Nacht wieder laut gerührt
am Menschenherzen im großen Wald,
ward er entdeckt
im zerfetzten Schilf, im Pfuhl, wo versteckt
er halb in den Schlamm getreten auf dem Schaft
seines zerbrochenen Spießes lag, und die Kraft
und den Zorn des schwarzen Tiers sahn sie sogleich
am Leichnam, an den Spuren, dem welken Gesträuch
und am Schild, der zerrissen, voll Wut
hineingestampft war in den Lehm . . . und Blut
war geflossen, das sie auf Pflanze und Blatt geronnen sahn
neben der Schleifspur, wo der Schwarze schwer die Bahn
durch den Morast sich gebrochen zum dichten Wald.
Und hastig hoben sie Koki, der steif war und kalt
wie ein Bock, auf die Schultern, und mit dem toten Gewicht
wandten sie sich zum Kral. Im späten Licht
gewahrten den Zug die Frauen am Tor
und weinten laut, und töricht Geschrei brach hervor,
und sie liefen zu den Hütten, als die Männer ihre Fracht
hereinbrachten und abluden.

Doch nur eine in dieser Nacht
- als man lärmend zum Totenfest an den Biertöpfen saß -
wacht' bei dem stillen Koki und reinigt' mit Büscheln von Gras
den Leib, wo er gebrochen, wo beschmutzt das Gesicht
von Raka, dem Bösen - und sie weinte nicht,
die älteste der Frauen, die viel gewußt
von des Stammes Erinnrung, von Schmerz und Verlust
und mit ihren Liedern die Kinder und jungen Männer gespeist
wie an einer Nabelschnur, in der das Blut sanft und klopfend kreist
im Abenddämmerlicht - und sie sang leis
vor sich hin von dem heiligen, leuchtenden Kreis
von Geburt und Tod, von Geburt und Tod,
von den Frauen in Hoffnung und von ihrer Not
und der Schönheit des tapferen Mannes im Streit.
Und sie sang von der längst vergangenen Zeit,
da Kokis Vater ein Mann voller Kraft war
und er selbst, noch Kind, von den kleinen Quasten ein Paar
an den Knien, die Scharen der Knaben durch das Ried
und die weiten Flächen im nahen Gebiet
der Graswildnis führte. Und pries darauf
die Schönheit seiner Schultern, den stürmischen Lauf
auf der Jagd und im Streit, seine Größe, seinen Rücken,
die prächtigen Glieder, seine Brust und das Aufzücken
im Flug seiner blanken Assagaie ...

Und lauter erklang
vom Gram der jungen, reifen Frauen ihr Klagegesang
und von den Kindern, die ihm niemals würden geboren.
Dann nannt' sie das schwarze Tier, das verloren
in der Nacht und in den Tümpeln liegt, und Kokis Mut,
das Spiel seiner Waffen, den stolzen Fuß, der nie ruht'
und stillbleiben konnte an den Pfosten am Tor:
wie er hinausgetanzt war, um im schwarzen Wald, im Rohr
zu streiten gegen das, was tierisch ist und von vernichtender Macht,
und wie er seine Hochzeit in der kalten Nacht
der großen Sümpfe gefeiert hat.

Und sie sang
- nun mit ruhiger Stimme und dunklem Klang -
von der verlorenen Menschlichkeit, von dem kleinen Kral,
der zwischen den schwarzen Bäumen liegt, und dem Strahl
seiner Feuer bei Nacht. Wer soll nun ihn retten - klagt'
ihre Stimme - vor dem großen Tier, das wartet? Wer wagt
es, zu hindern, daß er hereinkommt und herrscht?

Und ruhiger und sacht:
Daß doch der Schönste gestorben ist, daß der Edelste, der gewacht,
kalt an seinem Feuer ruht und sein Stamm offen liegt
wie ein alter Kral, wo sich die Schar der Schakale schmiegt
durch die Binsen bei Tag. –

Um die braunen Biertöpfe geschart,
feierten sie das Totenfest auf andre und laute Art,
die Männer, die mit Koki die Leidenschaft
der Jagd und des Streits gekannt, das Geheimnis und die Kraft
des heiligen Krals - denn Raka war draußen still,
und die, welche gingen und lauschten, hörten nur schrill
und ungestört die Grillen im Grase schrein.
Doch nacheinander in den Schein
des Feuers traten sie aus düsterm Ring,
und bei dem Schlag der hohlen Trommel fing
ein Tanzen an vom Tod, vom Tod und schwarzen Schreck,
der einen starken Mann bedrückt,
ein Tanzen straff und blind und maskenhaft:
ein Beben, das in Stoßen klopft
durch den Stahldraht des Rückens, der gekrümmt
und rückwärts in des Wahnsinns Krampf
sich wie ein zäher Bogen spannt,
ein Zittern, das aus den Knöcheln rinnt,
ein Tanzen sonder Regung fast,
das innen im starren Leib verharrt
wie eine Flamme, die alles verzehrt,
doch nie sich lodernd nach außen kehrt.
Und kein Lied bei diesem Tanz erklang,
mit der früheren reinen Trauer kein Gesang
vom edlen Helden und seinem Ende -
nur auf der Trommel das Klopfen der Hände
und die stille Gewalt der glänzenden Füße in Feuersglut.

Doch da schlug ein anderes Fieber in das wilde Blut
der Männer, und einer, der sich aufgerafft,
schrie von Kokis, des Fahlen Löwen, Kraft,
und der wilde Haufen sprang über den Schein
der Feuer in den engen Kreis hinein,
den Kreis des heiligen Tanzes, und wüster erhob
sich Gewühl und Wort und schrill, doch leer, das Lob
von Kokis Gewandtheit und seiner Muskeln Pracht -
und da wurde das trunkne Wort hinausgelacht,
hoch über das Fest und ihr wildes Spiel:
„Aber Raka war stärker, sein Fuß war viel
schneller, wie ein Vogel, ein über die Flächen jagendes Wild.
Der Schwächre mußte sich beugen!" Und über dem schwarzen
Gewühl
der Tänzer schwebend laut erklang
von der Kraft und dem großen Tier der neue Gesang
in trunkner und blinder Vergessenheit. . .
Doch da sprang Raka mit seinem Affensatz
plötzlich, groß, mitten auf den Feuerplatz!
Die Riemen am Tor waren locker gebunden,
wo der Schwarze bereits den Eingang gefunden
zu Frau und Kind und der Männer Gesang -
und sein Schmerz und die Wut waren ein schmaler Gang
durch die Furcht vor dem Feuer, durch die Pfosten, das Tor
mit den zähen Riemen bis zum Licht, bis vor
die, die er haßt. Und der Tanz schwang
noch in den Füßen, und das schwarze Lied erklang
gellend mit den ersten Schreien - Blut floß darauf
durch die dampfende Asche aus dem warmen Hauf
der Stärksten, die da lagen.

Aber mit langen Schrein
flohen die Frauen in die Hütten hinein
in die fernsten Winkel. Und die ganze Nacht
war Rakas Rache und Rakas düstre Wacht
im Kral zu vernehmen - sein Schnaufen, seine Jagd
und der Schrei einer Frau, plötzlich, geplagt,
und das Gebell eines Hundes, das bang verhallt ...
und dort, wo Kokis Leichnam kalt
und still im Grase lag, voll neuer Wut und wild
das stärkere Brüllen, das die Hütten füllt',
und das Brechen und Zerreißen.

Als der Morgen erglüht',
lag er am Tor, verschlagen und müd,
doch wachsam, und erhob sich später, um aus den Töpfen,
als es warm geworden, Wasser zu schöpfen
und zu trinken, und wieder hielt er am Tor die Wacht.
Doch nach des Tages Hitze und der langen Nacht
und dem Schrecken zwangen Hunger und Durst, diese zwei,
die Sklaventreiber, sie, die unfrei
und schüchtern waren, nach Wasser und Nahrung sich umzusehn,
und Raka, das schlaue Tier, stand auf, ließ sie gehn
und hat selbst in der Nähe gejagt.
Aber niemand hat je wieder gewagt
mit einem Schlag das schmale Tor vor ihm zu verschließen.

(Ende)

Dies ist das fünfte und letzte Kapitel aus dem Epos Raka, von N. P. van Wyk Louw.

Buchtitel: Raka
Autor: N. P. van Wyk Louw
Übersetzung aus dem Afrikaansen: W. A. Kellner
Verlag: Nasionale Boekhandel
Erste deutsche Ausgabe, Kapstadt; Johannesburg; Bloemfontein; Port Elizabeth, Südafrika 1970

van Wyk Louw, N. P. und Kellner, Wilhelm im Namibiana-Buchangebot

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