Richard Kandt
Richard Kandt (1867-1918) war ein deutscher Mediziner, Afrikaforscher und kaiserlicher Resident von Ruanda.
Als Sproß einer jüdischen Kaufmanns- und Gelehrtenfamilie polnischer Abstammung, wurde Richard Kantorowicz, so lautete sein ursprünglicher Name, am 17.12.1867 im preußischen Posen geboren. Als sein Vater im Jahr darauf starb, oblag seine Erziehung seiner protestantischen Mutter, die ihn auf das evangelische Gymnasium seiner Heimatstadt und, ab 1885, auf das Gymnasium von Kolberg schickte, wo er bei der Familie seines Freundes Magnus Hirschfeld lebte. Nach dem Abitur im Jahr 1887 versuchte er sich im Studium der Kunstgeschichte und Sprachen in Leipzig, entschloß sich dann aber zu einem Medizinstudium in München, wo er sich 1888 der Burschenschaft Rhenania anschloß, der er sein Leben lang die Treue halten sollte. Am 12.07.1893 konvertierte er zum Protestantismus und nahm im Jahr darauf den Namen Kandt an. Bereits während seiner Studienzeit, vom Herbst 1890 bis ins Frühjahr 1891 leistete der Mediziner seinen Militärdienst in der bayrisch königlichen Armee bei der 3. Kompanie des 1. Infanterieregiments zum Teil ab. Nach dem Staatsexamen war Richard Kandt 1894 für einige Monate als Hilfsarzt in der Bayreuther Psychiatrie tätig und setzte dann seinen Militärdienst als Unterarzt fort. 1896 kehrte Richard Kandt an seinen alten Arbeitsplatz in der Bayreuther Psychiatrie zurück, um bald danach, der Arzttätigkeit, der Gesellschaft und seiner Perspektivlosigkeit überdrüssig, seinem Leben eine Wende zu geben. Inspiriert von einer Italienreise, die er mit seinem Freund, dem Schriftsteller Richard Voss (1851-1918) unternommen hatte und dem Aufkommen des nationalen Prestiges in der Afrikaforschung, entschloß er sich dieser zu widmen. Richard Kandt zog 1896 nach Berlin und studierte bei Felix von Luschan (1854-1929) ein vereinfachtes Verfahren für ethnographische Beobachtungen und Kisuaheli. Nach anfänglichen Schwierigkeiten einen Auftrag für ein Forschungsprojekt in Afrika zu erhalten, gelang ihm dies 1897, unterstützt durch Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg, und reiste per Schiff nach Deutsch-Ostafrika, wo er in der Küstenstadt Bagamoyo eine weitgehend privat finanzierte Expedition von etwa 150 Trägern und einigen Askari ausrüstete, die er nach Ruanda führte, das er im Juni 1898 erreichte und eine Audienz des dortigen Königs erhielt, die in der Praxis von einem Doppelgänger abgehalten wurde. Im August entdeckte Richard Kandt im östlichen Randgebiet des heutigen Foret de Nyungwe die Quellen des Weißen Nils und ließ sich im März 1899 an der Südspitze des Kivu-Sees nieder, nahe dem Militärposten Ischangi nieder, wo er seine Station Bergfrieden als Basis für weitere Forschungszüge aufbaute. Nach der Umrundung des Kivu-Sees fertigte er die erste Karte des mächtigen Binnengewässers an. Im Oktober 1900 wurde Richard Kandt, als Bewohner Ruandas inzwischen bekannt und geschätzt, als erster Europäer vom König persönlich empfangen. Bis zu seiner Rückkehr ins Deutsche Reich im Sommer des Jahres 1902, sammelte, forschte und berichtete Kandt in erheblichen Maß und Umfang, betrieb darüber hinaus intensive Sprachstudien und wurde als Privatforscher und -gelehrter für Ruanda bekannt und geachtet. Er erlitt einige herbe Rückschläge durch den Verlust von gesammeltem Material und Aufzeichnungen und erschöpfte sich zunehmend unter der selbst auferlegten Arbeitslast. Kaiser Wilhelm II. verlieh ihm bei seiner Rückkehr den Hohen Orden des Roten Adlers zweiter Klasse. Bis zu seiner erneuten Ausreise nach Ruanda, schrieb Richard Kandt seinen berühmt gewordenen Reisebericht Caput Nili: Eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils, die bis 1925 sechs Auflagen erleben und zu einem Klassiker der deutschen Afrikaliteratur werden sollte. Im April 1905 kehrte Kandt über Dar-es-Salaam, mit organisatorischer Rückendeckung der kolonialen Abteilung des Auswärtigen Amts und des Gouvernements von Deutsch-Ostafrika, an seine frühere Wirkungsstätte zurück und ließ sich in Gakira nieder. Ruanda wurde in den folgenden Jahren mit Stationen, Residenturen, katholischen und evangelischen Missionen stärker erschlossen, politische Beziehungen zum Königshaus gepflegt und im November die Verwaltung der Residentur Ruanda auf Richard Kandt übertragen, er selbst zum kaiserlichen Residenten für Ruanda ernannt. Seine Aufgabe lag in der Schaffung von Voraussetzungen, die die Etablierung einer deutschen Verwaltung und die Aufnahme geordneter Handelsbeziehungen ermöglichen sollten. Dies setzte der Landeskenner, unter Berücksichtigung der sozialen Strukturen, landestypischer und kultureller Besonderheiten, tatkräftig und maßvoll um. Daneben betrieb er seine Forschungen und die Arbeite an einer Ruanda-Monographie, die nie vollendet und gedruckt werden sollte. Im Dezember 1913 verließ Richard Kandt Ruanda um einen längeren Heimat- und Erholungsurlaub in Deutschland zu verbringen, wo er vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht und an einer Rückkehr nach Ostafrika gehindert wurde. Der Reserveoffizier meldete sich im August 1914 zur bayrischen Armee und wurde an den Fronten West- und Osteuropas, Syriens und Palästinas als Stabsarzt eingesetzt. Am 02.07.1917 erlitt er bei einem feindlichen Gasangriff an der galizischen Front Atemwegsverätzungen, die in der Folge zu Tuberkulose und einem gesundheitlichen Zusammenbruch im November desselben Jahres führten. Richard Kandt verstarb am 29.04.1918 in einem Lazarett in Nürnberg, wo er seit Weihnachten 1917 auf Genesung hoffte. Zahlreiche Nachrufe aus politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kreisen aller Art kündeten von dem guten Ruf den der Verstorbene als Forscher, Mediziner, Soldat, Freund und Mitmensch genossen hatte. Seine Urne wurde im Mai 1918 auf dem Nürnberger Westfriedhof beigesetzt, das Grab geriet allmählich in Vergessenheit und wurde im Jahr 1962, als Ruanda unabhängig wurde und man sich Kandts durch private Initiative erinnerte, mit der offiziellen Umbettung in einen Steinsarkophag auf dem heutigen Johannisfriedhof zu neuen Ehren gebracht. Im öffentlichen Bewußtsein Ruandas ist die Person und das Wirken Richard Kandts bis heute präsent. Sein ehemaliges Residenz-Gebäude in Kigali beherbergt heute, Richard Kandt House genannt, ein naturkundliches Museum sowie eine Dauerausstellung über ihn und seine Bedeutung in der Geschichte des Landes. Eine der ausführlichsten Biographien über den Mediziner, Afrikaforscher und kaiserlicher Residenten hat Dr. Reinhart Bindseil unter dem Titel Ruanda und Deutschland seit den Tagen Richard Kandts geschrieben.
Literatur von Richard Kandt:
- Caput Nili. Eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils (1921 ff.)
- Meine Seele klingt (1918)
Kandt, Richard im Namibiana-Buchangebot
Caput Nili. Eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils
Caput Nili - Eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils ist eine der schönsten historischen Reisebeschreibungen in deutscher Sprache.