Von Jagenden und Gejagten, von Tanja Theißen
In der Einleitung zum Werk 'Von Jagenden und Gejagten' beschreibt Autorin Dr. Tanja Theißen die Situierung der Ethnografie.
»Im Namen der Tierliebe?«, fragt die Stoiberger Zeitung (Gego 2019:3) Anfang März des Jahres 2019. Was dieser Überschrift folgt, ist ein Artikel über die Sachbeschädigung an Hochsitzen und anderen jagdlichen Einrichtungen, welche sich in den letzten Monaten nicht nur in der Nordeifel, sondern auch in den umliegenden Gegenden des Aachener Landes gehäuft hatten. Ich beginne die Einleitung in diese Ethnografie über die Jagd mit diesem Beispiel, weil es exemplarisch verdeutlicht, wie umstritten die Jagd im gegenwärtigen Deutschland ist. Wieder einmal ist die Jagd Thema in der regionalen Presse, in der seit Monaten immer wieder eine Debatte über das Jagdgesetz in Nordrhein-Westfalen (NRW) entflammte. Ein Gesetz, welches formal regelt, wie, wo und wann gejagt werden darf. Ein Gesetz also, welches nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung zu betreffen scheint. Tatsächlich sind nur etwa 89.000 Menschen von den etwa 18 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern dieses Bundeslandes im Besitz eines Jagdscheins.1 Wie die folgenden Zitate aus Briefen von Leserinnen und Lesern an die Regionalpresse zeigen, fühlen sich emotional jedoch weit mehr Menschen angesprochen, wenn es um die Jagd geht: »Tiere töten ist kein Hobby [...]. Es ist abartig, Freude an der Jagd zu haben« (Schaffarczky 2019:19). »Zutiefst verstörend, andererseits aber auch für die Jagd-Lobby typisch empfand ich die Aussage, dass Jagd >Spaß< bereite. [...] Solche und ähnliche Äußerungen liest und hört man immer wieder von den Freunden des Tötens« (Rocker 2019:19). Jägerinnen und Jägern wird von ihren Kritikerinnen und Kritikern ein »brauchtumsorientierte[s], verkrustete[s] Schwarz-Weiß-Denken« (Ahaus 2019: 25) unterstellt, »ohne die Natur als schützenswertes Ganzes zu betrachten« (ebd.), weshalb sie »sich daher an die eigene Nase fassen [sollten], wenn sie die Buhmänner der Nation sind« (Gluth 2019: 25). Dagegen, dass sie als »blutrünstige [...] Liefestyle-Jäger [...] keinerlei Respekt für die Geschöpfe des Waldes« (Schulz 2019:25) hätten, wehren sich ihrerseits die Jägerinnen und Jäger. Sie fühlen sich »persönlich beleidigt und diskriminiert« (Casteel 2018: 27) durch »selbsternannte vermeintliche Tier- und Umweltschützer« (Amian 2018: 27), die »sinnvernebelt und mit reichlich Schaum vorm Maul [...] die Novellierung des Jagdgesetzes [nutzen], um gegen Jagd und Jäger auszukeilen« (Spindler 2018: 27). [...] Von einigen Ausnahmen einmal abgesehen (vgl. Howes 1981; Dahles 1990, 1993; Goveroff 1993; Dizard 1994; Franklin 1996, 2001; Marvin 2005; Heinzer 2015; Gieser 2017, 2019), gibt es wenig ethnografisches Material über die dort gegenwärtig ausgeübten Jagdpraktiken. Desweiteren zählen auch die Werke von Stahl (1979), Lindner (1937, 1940, 1985), Hiller (2002), Rösener (2004), Theilemann (2004) und Maylein (2010) zu den nennenswerten, kulturwissenschaftlich relevanten Studien zur Jagd spezifisch für den deutschsprachigen Raum. Jedoch wird die Jagd in diesen Arbeiten tendenziell auf ihre Historie oder auf ihre gesellschaftliche Funktion hin untersucht. So mangelt es weiterhin an einer ethno-grafischen Darstellung dieser Praxis, die auf der tatsächlichen Partizipation daran aufbaut und dieses leibliche Engagement nutzt, um neue analytische Schlüsse daraus zu generieren. Vorschläge dazu kommen jüngst auch von Gieser (2017, 2019). Auch die Volkskunde bietet auf diesem Gebiet wenig Material. Da die Jagd nicht genuin in der »Alltagskultur der kleinen Leute« (Hiller 2002:19) beheimatet ist, schien diese Praxis bisher für die Volkskunde kein relevantes Forschungsfeld gewesen zu sein (vgl. ebd.). Insofern trägt meine Ethnografie dazu bei, eine bisher wenig bearbeitete Forschungslücke zu schließen und folgt zudem Kurt Lindners Aufruf nach »mehr Wissenschaft vom Jäger und weniger vom Wild« (Lindner 1968: 7). Das Wild bleibt in dieser Ethnografie dabei keineswegs unberücksichtigt. Jedoch sind für mich nicht wildtierbiologische Erkenntnisse wesentlich, sondern mich interessiert, in welcher Beziehung Jagende und Gejagte zueinanderstehen. [...]
Dies ist ein Auszug aus: Von Jagenden und Gejagten, von Tanja Theißen.
Titel: Von Jagenden und Gejagten
Untertitel: Die Jagd als humanimalische Praxis in Deutschland
Autorin: Tanja Theißen
Reihe: Kultur und soziale Praxis
Verlag: transcript Verlag
Bielefeld, 2021
ISBN 9783837654127 / ISBN 978-3-8376-5412-7
Broschur, 15 x 22 cm, 338 Seiten, einige sw-Abbildungen
Theißen, Tanja im Namibiana-Buchangebot
Von Jagenden und Gejagten
Von Jagenden und Gejagten: Die Jagd als humanimalische Praxis in Deutschland.