Südwestafrika. Land zwischen den Extremen, von Hans Jenny
In seinem Buch Südwestafrika. Land zwischen den Extremen beschrieb der Journalist Hans Jenny seine Eindrücke von den gesellschaftlichen Zuständen und Plänen im Südafrika und Südwestafrika der 1960er Jahre.
Hosea Kutakos Katalog der Beschwerden
Unter den bunt zusammengewürfelten Blechhütten der alten Werft fällt ein Bau durch seine etwas größeren Dimensionen auf. Der Zugang ist Unbefugten durch einen über zwei Meter hohen engmaschigen Drahtzaun verwehrt. Hier befindet sich die 'Stadtresidenz' des Oberhäuptlings Hosea Kutako. Seinen 'Landsitz' und seine Rinder hat der Herero-Chef im Aminuis-Reservat. Hosea Kutako wird von einem großen Teil der Herero-Stämme als ihr Oberhaupt anerkannt. Auch die Ovahimba und Ovatschimba im Kaokoveld betrachten ihn als ihren obersten Chef, nicht aber die Mbanderu im Osten des Landes. Seine Stellung entspricht nicht ganz jener Mahareros. Ich besuchte den Oberhäuptling nach getroffener Vereinbarung mit seinem Sekretär an einem Vormittag in Begleitung von zwei otjiherero sprechenden Südwestern. Der alte Mann saß in einem geflochtenen Rohrstuhl, den Filzhut tief ins Gesicht gedrückt, vor seinem Hause. Hosea Kutako kann weder schreiben noch lesen, spricht außer otjiherero keine andere Sprache, kennt seinen Geburtstag nicht, schätzt sich aber selbst auf 96 Jahre. Sein Stellvertreter und designierter Nachfolger ist Clemens Kapuuo, von Beruf Volksschullehrer. Sein wichtigster Berater in diplomatischen Fragen ist Herero-Reverend Bartho-lomew G. Karueira von der AME-Kirche. Der versammelte Chefrat bestand aus etwa zwei Dutzend Herero. Clemens Kapuuo übersetzte meine in Englisch gestellten Fragen. Unter den Ratsmännern entspann sich ein Palaver, das der Alte jeweils durch einige Worte abschloß, worauf Kapuuo die Antwort in Englisch wiedergab. Diese Prozedur war etwas umständlich, hatte aber den Vorteil, daß meine beiden Begleiter das Palaver zwischen dem Häuptling und seinem Chef rat verfolgen konnten, um mich hinterher in die nicht übersetzten Gespräche einzuweihen. Hier saßen nun also die Leute, die seit Jahren Petition um Petition an die UNO schicken. Hier war die Kernzelle der Opposition gegen das Mandatssystem. Die in den Petitionen vorgebrachten Klagen sind schwerwiegender Art: Ausrottung der nichtweißen Bevölkerung, Militarisierung des Landes, Bedrohung des Weltfriedens! Da solche Behauptungen jedem Besucher ganz unglaubhaft erscheinen, war ich auf die Erläuterungen des Herero-Chefs gespannt. Seine Antworten waren aber in dieser Beziehung eher ausweichend. Welche konkreten Beschwerden hat nun aber der Oberhäuptling gegen die heutige Ordnung vorzubringen? Er beklagte sich zunächst einmal über die viel zu niederen Löhne der Stammesangehörigen, deren ungenügende Ernährung und die Arbeitslosigkeit. Im Land herrsche Hunger; auf diese indirekte Weise würde die Bevölkerung ausgerottet. Ich gestattete mir die Bemerkung, daß ich nirgends in Afrika besser genährte und besser gekleidete Menschen aller Rassen angetroffen hätte als gerade in Südwestafrika. Die Hungersnot im Ovamboland war schon vor einigen Jahren überwunden worden; in Windhuk hatte niemand ernstlich zu leiden gehabt. Es wäre unhöflich gewesen, noch weiter zu gehen, etwa mit der Bemerkung, daß die um den Herero-Chef versammelten Ratsmänner einen besonders wohlbestallten Eindruck machten. In ihren gut sitzenden europäischen Anzügen, sauberen Hemden und gewichsten Schuhen wirkten sie alle wie vornehme schwarze Gentlemen. Das Gespräch drehte sich jetzt um die Erziehung. Hosea Kutako bemerkte, es sei die Politik der Administration, die Stammesangehörigen auf einem möglichst tiefen Bildungsniveau zu halten. Das Schulsystem sei völlig ungenügend, sowohl in bezug auf die Ausbildung wie in bezug auf die Lehrkräfte. Ich erkundigte mich, ob denn nicht das Paulinum und das Augustineum, beides gute Mittelschulen, die Universitäts-Vorbereitung ermöglichten. Hosea Kutako entgegnete, in diese von Weißen geführten Institute hätten die Herero kein Vertrauen. Eine weitere Serie von Beschwerden richtete sich gegen den Mangel an Freizügigkeit. Es sei ihm, Hosea Kutako, zum Beispiel nicht erlaubt, ins Ovamboland zu reisen, um mit den dortigen Häuptlingen zu sprechen. Herero und andere Stammesangehörige würden ohne Grund aus Windhuk in ihre Reservate deportiert. Ich erkundigte mich nach der Zahl der politischen Gefangenen. Das Palaver dauerte länger. Wer öffentlich agitiere, werde von der Polizei ausgefragt; wer Petitionen nach New York schicke, laufe Gefahr, verhört zu werden; wer Pamphlete verteile, müsse Hausdurchsuchungen erdulden. Ich präzisierte meine Frage. Der Herero-Chef bestätigte schließlich, daß zur Zeit niemand aus politischen Gründen in Südwestafrika um seine Bewegungsfreiheit gebracht werde, betonte aber, daß die andauernde 'Beschattung' beinahe so schlimm sei wie Gefangenschaft. [...]
Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Südwestafrika. Land zwischen den Extremen, von Hans Jenny.
Buchtitel: Südwestafrika. Land zwischen den Extremen
Autor: Hans Jenny
W. Kohlhammer Verlag
Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1966
Original-Leineneinband mit Schutzumschlag, 14x21 cm, 301 Seiten, sw-Fotos, Abbildungen, Karte
Jenny, Hans im Namibiana-Buchangebot
Südwestafrika. Land zwischen den Extremen
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