Schicksalsfrage Namibia, Teil 1, von Fritz Sitte

Schicksalsfrage Namibia, von Fritz Sitte

Schicksalsfrage Namibia, von Fritz Sitte

Fritz Sitte beschreibt in seiner Reportage Schicksalsfrage Namibia, den Alltag im Norden Namibias: Die Dimensionen Südwestafrikas - oder wie es heute heißt: SWA/Namibias - müssen uns erst durch Vergleiche deutlich gemacht werden.

Fritz Sitte  

In der Fläche etwa 3,5mal so groß wie die BRD, besitzt es nur eine Einwohnerzahl von zirka einer Million Menschen, die sich allerdings aus elf ethnischen Minderheiten (Völkern) zusammensetzt; ein Konglomerat von grundverschiedenen Rassen innerhalb eines Landes, das - würde man es im gleichen Maßstab auf Europa projizieren - von Amsterdam im Norden bis Rom im Süden reicht. Allein die »feindliche« Nordgrenze gegenüber der marxistischen Volksrepublik Angola, mit einer kleinen Strecke entlang der Sambia-Grenze, entspricht einer Länge, die der Distanz von London nach Rom gleichkommt. Der Boden besteht zu einem Drittel aus gnadenloser Wüste, einem zweiten Drittel aus wüstenähnlichen Gebieten und dem letzten Drittel aus landwirtschaftlich zum Teil nutzbarem Weideboden. Die Hälfte der SWA/Namibia-Bevölkerung kommt aus den Ovambostämmen im Norden des Landes, das gleichzeitig mit ausreichend Wasser auch das fruchtbarste Gebiet darstellt.

Die SWAPO (South West African People's Organization), die Befreiungsbewegung für SWA/Namibia, setzt sich zum überwiegenden Teil aus Ovambos zusammen. Sie hat ihre Operationsbasen in Südwestangola und sickert über die Grenze in das nördliche SWA/Namibia ein, wo sie ihre Anschläge und Guerilla-Aktionen verübt. Etwa 20.000 südafrikanische Soldaten mit der modernsten Kriegsausrüstung sind zusammen mit einigen SWA/Namibia-Bataillonen in diesem nördlichen Grenzstreifen zum Schutz der Bevölkerung stationiert. Diese zirka 200 Kilometer tiefe Grenzzone wird als »Operationsgebiet« oder auch »Kriegszone« bezeichnet, in der außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden und faktisch ein Ausnahmezustand herrscht. Dieser »Isolierstreifen« kann aber nicht hermetisch dichtgemacht werden, und selbst 100.000 Soldaten könnten in diesem endlos weiten afrikanischen Gelände keine absolute Sicherheit bringen.

Bittere Ereignisse mit oftmals tödlicher Konsequenz kennzeichnen in einer schier endlosen Reihenfolge den Alltag im Norden SWA/Namibias. Werden willkürlich einige herausgegriffen, sieht das dann so aus: In der Nähe von Ohopoho, im Kaokoland, wurden nachts zwei Dorfhäuptlinge (»Kapitäne«) von SWAPO-Guerillas vor den Augen ihrer Angehörigen umgebracht, indem man den beiden alten Männern die Kehle durchschnitt. An die vor Entsetzen schreienden und kreischenden Frauen und Kinder wurden anschließend SWAPO-Propagandaschriften verteilt.

Das Ovamboland liegt geographisch am günstigsten für SWAPO-Anschläge. Während eines wolkenbruchartigen Ungewitters überfiel eine schwerbewaffnete SWAPO-Gruppe die kleine Schule in einem Dorf, das kaum 20 Kilometer von der Angola-Grenze entfernt liegt. Dem alten Lehrer schnitt man die Zunge heraus, während 22 Schüler - Buben und Mädchen - mit all ihren Heften, Schulbüchern und Schreibutensilien über die Grenze nach Südangola getrieben wurden. Von dieser Schulklasse blieb nur ein zehnjähriger Junge verschont, der sich gerade in der Toilette befand und sich dort in panischer Angst hinter der Tür versteckt hielt. Die sintflutartigen Regengüsse deckten alle Spuren zu. Zwei Wochen später lag vor der Schule ein Stück Papier mit dem Inhalt: »Eure Söhne und Töchter werden eines Tages als echte Revolutionäre in ihre Heimat zurückkehren, um die Verräter vor Gericht zu stellen. Die Erziehung eurer Kinder haben die Schulen der SWAPO übernommen.«

Vier Soldaten des Ovambobataillons wurden während des Besuches bei den Eltern in ihrem Heimatdorf erschossen. Anschließend verschleppte man auch die Angehörigen der Toten (in der Nähe von Nkurenkuru), sie wurden nie mehr gesehen. Die SWAPO praktiziert meist eine Art Sippenhaftung, weil dies - wie einer ihrer Funktionäre ganz offenherzig erklärte - abschreckend wirkt.

Zwei Krankenschwestern, die im Krankenhaus von Oshakati arbeiteten, wurden nachts in ihren Dörfern von einer SWAPO-Kommandogruppe aufgegriffen, vor den entsetzten Augen ihrer Angehörigen mißhandelt und anschließend über die Grenze nach Südangola verschleppt. Zwei Männer aus diesen Familien, die es verhindern wollten, wurden am Dorfrand erschossen.

Die SWAPO-Guerillas tragen meist keine Uniform, verbergen ihre Waffen bis zum eigentlichen Einsatz und fallen daher kaum auf. Sie haben ihre Vertrauensleute und Informanten, sie bewegen sich im »Operationsgebiet« buchstäblich nach Maos Lehre: wie der »Fisch im Wasser«. Allein im Kavangogebiet sind innerhalb der letzten drei Jahre 225 Ovambos von den SWAPO-Leuten entweder an Ort und Stelle umgebracht oder verschleppt worden. Die Guerillataktik ist nach bewährten Methoden ausgerichtet, um in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten und die Menschen so von der Zusammenarbeit mit den Behörden abzuhalten. Das Land ist zu weit, und die Grenze gegenüber Angola ist zu lang, um die Bevölkerung wirkungsvoll beschützen zu können.

So fahren, marschieren, reiten oder fliegen die Südafrikaner und SWA/Namibia-Soldaten bei Tag vorsichtig und mißtrauisch umher, aber im Schutz der Dunkelheit tauchen da oder dort immer wieder bewaffnete SWAPO-Gruppen auf, machen ihre Überfälle und legen unzählige sowjetische Landminen. »Wenn der Hund sich noch so kratzt, der Floh ist längst anderswo im dichten Fell unterweg.«, verglich achselzuckend ein südafrikanischer Offizier die militärische Lage im Norden SWA/Namibias sarkastisch, aber treffend. So terrorisieren die SWAPO-Ovambos die Ovambos aller Stämme. Sie erwecken damit sicherlich bei der Zivilbevölkerung keine Sympathien, aber sie zwingen viele Ovambos durch die Angst in ihre Reihen oder machen sie zu nützlichen Handlangern.

Die Bevölkerung zittert aber vor beiden Seiten, denn auch die südafrikanischen Militärdienststellen oder die namibische Polizei gehen ihrerseits scharf gegen die Zivilbevölkerung in diesen Grenzgebieten vor, sobald durchsickert, daß Dörfer oder Einzelpersonen der SWAPO direkt oder indirekt geholfen haben. Es gibt regelrechte »Terroristenjäger« bei Schwarzen und Weißen, die sich auf das Aufspüren und Fangen oder Unschädlichmachen von SWAPO-Guerillas spezialisiert haben. Die SWAPO drangsaliert, verstümmelt, verschleppt und tötet aber nicht nur ihre eigenen Landsleute, sondern sie versucht den Terror auch auf die weiße Zivilbevölkerung auszudehnen.

In der Nähe von Tsumeb wurden nacheinander drei Farmhäuser in der Nacht überfallen, zwei Weiße und vier Schwarze wurden dabei getötet und drei kleine Kinder schwer verletzt. Mit geradezu generalstabsmäßiger Vorbereitung und Planung verlegten die SWAPO-Männer noch zwölf Landminen auf der unasphaltierten Zufahrtsstraße zu den Farmen, so daß nach dem zu spät erfolgten Funkhilferuf ein Polizeiwagen auf eine Mine auffuhr; es gab weitere Verletzte. Die SWAPO beschränkt sich bei ihren Angriffen und Überfällen aber oft nicht nur auf das Töten an sich, sondern sie entfaltet dabei einen abgrundtiefen Haß. So ist bekannt, daß bei Grootfontein vor drei Jahren ein Überfall auf eine größere abgelegene Farm gemacht wurde und dabei den überrumpelten Farmbewohnern - Schwarzen und Weißen - die Bäuche aufgeschlitzt oder Zungen, Nasen und Ohren abgeschnitten wurden. Eine hastig herbeigefunkte Polizeipatrouille fand einen baumlangen, vor Schmerzen brüllenden Ovambo-Farmarbeiter, der mit beiden Händen die aus seinem aufgeschnittenen Unterleib austretenden Gedärme zu halten versuchte. Ein Priester, der unmittelbar nach diesem Überfall Augenzeuge war, meinte erschüttert: »Das sind ja Tiere ... das sind ja Bestien ... kein Tier tut so etwas mit seinen Artgenossen, wie der Mensch ...«

Zum Teil 2 des Auszuges:

Dies ist ein Auszug aus der Reportage: Schicksalsfrage Namibia, von Fritz Sitte

Buchtitel: Schicksalsfrage Namibia
Autor: Fritz Sitte
Verlag Styria
Graz; Wien; Köln 1983
ISBN 3-222-11462-5
Original-Leinenband, Original-Schutzumschlag, 14x21 cm, 235 Seiten , 14 sw-Fotos

Sitte, Fritz im Namibiana-Buchangebot

Schicksalsfrage Namibia

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Die Schicksalsfrage Namibia war in den frühen 80er Jahren, unter dem Eindruck von Terror und Zukunftstangst, keine leere Phrase sondern eine alltägliche Sorge.

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