Schattenjäger, von Giselher W. Hoffmann
Der Roman Schattenjäger beschreibt kriminelle Machenschaften, politische Fehden und zwei wunderschöne Liebesgeschichten. Einer der schönsten Erzählungen von Giselher W. Hoffmann.
Als es Abend wurde, bog Kondjoura vom Elefantenpfad in den angrenzenden Mopanewald ab. Er schlängelte sich an den knorrigen, im Schatten ruhenden Stämmen vorüber und stieß hinter dem schmalen Laubgürtel auf den Kunene. Frische Rinderfährten und die Spuren von Hirten führten zum Ufer hinunter, und in der Mitte des Grenzflusses zwischen Namibia und Angola strömte das Wasser gurgelnd über eine Felsenbank. Der Kunene war an dieser Stelle nicht mehr als siebzig Schritte breit. Kondjoura legte den Hirtenstab fort, löste den Knoten in seinem Leibriemen, ließ ihn samt den beiden schwarzen, kalbsledernen Lendenschurzen und dem Tragebeutel auf den Boden fallen und schleuderte die Sandalen aus Giraffenleder von seinen Füßen. Dann näherte er sich dem Fluß. Das Ufer war mit rundgeschliffenen Steinen übersät, so daß er sich an dem mannshohen Schilf festhalten mußte. Kaum hatte er einen Schritt in das milchiggrüne Wasser getan, begann der Strom an seinen Beinen zu zerren. Er hockte sich zwischen zwei Felsen und schloß die Augen. Der Fluß belebte ihn, so wie er auch seine Urahnen belebt hatte, als die Herero zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der angolanischen Provinz Mocamedes gen Süden gezogen, den Kunene überquert und ihn auf ihrer Wanderung in das nordwestliche Grenzgebiet des heutigen Namibias zu ihrer Rechten - okunene - gelassen hatten. Ein großer Teil der Herero war weiter ins Landesinnere vorgedrungen, während eine kleine Volksgruppe im Kaokoland, dem Platz der Stille, zurückgeblieben war. Das Volk nannte sich Himba - Die Singenden. Kondjoura öffnete die Augen und neigte sich vor, um aus der hohlen Hand zu trinken. In dem Moment gewahrte er eine Bewegung. Er sprang auf, im Glauben, ein Krokodil sei am gegenüberliegenden Ufer ins Wasser geglitten, doch als er mit rudernden Armen das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, sah er ein Himbamädchen im Schilf knien. Kondjoura atmete auf. "Ist es für dich Abend geworden?", rief er über den Fluß. "Ja", erwiderte das Mädchen, ohne den Blick von ihm abzuwenden. "Ist es für dich Abend geworden?" - "Ja, es ist für mich ein guter Abend geworden", beendete er die Begrüßung. Das Mädchen starrte ihn noch stets unverwandt an. Er war ein hochgewachsener, junger Mann mit breiten Schultern, schmalen Hüften und langen, sehnigen Beinen. Als er die Hände vor seinem nackten Schoß faltete, senkte das Mädchen den Kopf, und das schulterlange, zu fingerdicken Schnüren geflochtene Haar fiel wie ein Perlenvorhang über sein Gesicht. Grinsend nahm Kondjoura wieder zwischen den Felsen Platz und betrachtete das Mädchen: Es trug eine wulstige Halskette aus Straußeneierplättchen, an den Handgelenken Kupferringe, und eine mit einer Muschel verzierte Eisenperlenkette baumelte zwischen seinen Brüsten herab. Es hatte große Brüste; sie berührten die Ellbogen, jetzt, da das Mädchen sich nach vorn neigte und einen ausgehöhlten Flaschenkürbis in das Wasser tauchte. Obwohl das Mädchen so tat, als beachte es ihn nicht, ahnte er, daß es ihn verstohlen beobachtete. Er drehte den Kopf zur Seite, damit es seine beiden Zöpfe sah und wußte, daß er beschnitten und durchaus berechtigt war, eine Frau an sein Feuer zu holen. "Ich bin Kondjoura, der in der Sturmnacht Geborene!", rief er. "Ich habe sechs Monde im Kral meines Onkels zugebracht, um mir die Rinder anzusehen, die ich eines Tages erben werde. Die Rinder sind fett und so zahlreich wie die Sterne." Er hatte bewußt angegeben, doch die Aufmerksamkeit des Mädchens galt allein den Luftblasen, die blubbernd aus dem Flaschenhals der Kalebasse aufstiegen. "Wer bist du?" - "Tjizire!" Kondjoura nickte. "Die Welt verändert sich ständig", pflichtete er ihr bei. "Eben noch hat dein Anblick mich erschreckt, jetzt erfreut er meine Augen." Er lächelte. "Welchem Matriclan gehörst du an?" - "Dem Clan der Schwiegertochter des Regens." Tjizire hatte eine helle, klare Stimme, die mühelos den gurgelnden Fluß übertönte. Nun hob sie die Kalebasse aus dem Wasser und stand auf. Ein mit Münzen verzierter Riemen umspannte ihre Taille, und an ihrem vorderen Lendenschurz waren Kupferstangen befestigt. Die Schmuckstücke funkelten im Abendlicht, und ihre mit Ocker und Butter beschmierte Haut glänzte wie das seidige Fell eines roten Rindes. [...]
Dies ist ein Auszug aus dem Roman: Schattenjäger,von Giselher W. Hoffmann.
Titel: Schattenjäger
Autor: Giselher W. Hoffmann
Genre: Namibia-Roman
Verlag: Hoffmann Twins
Erstauflage. Swakopmund, Namibia 1998
ISBN 9991670416 / ISBN 99916-704-1-6
Originalbroschur, 14x21 cm, 409 Seiten
Hoffmann, Giselher W. im Namibiana-Buchangebot
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Schattenjäger ist ein zauberhafter Roman aus Namibia, der, über zwei Liebesbeziehungen, überraschende Begegnungen von Himba mit Weißen beschreibt.
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