Raka: Kapitel II. Koki, von N. P. van Wyk Louw

Kapitel II: Koki. Aus dem Epos Raka von N. P. van Wyk Louw.

Kapitel II: Koki. Aus dem Epos Raka von N. P. van Wyk Louw.

Kapitel II: Koki. Aus dem Epos Raka von N. P. van Wyk Louw.

N. P. van Wyk Louw  Wilhelm Kellner  

Kapitel II: Koki

Am silbernen Morgen, als die Welt noch windreich
und kühl war und nur der Kral schon ein Teich
voll warmer Sonne, verließ Koki das Tor.
Auf den Äckern ragten die Frauen hervor
wie Krähen aus dem Grün; dazwischen blinkten
die Wasser der Nacht. Doch wie sie auch winkten
und neckend riefen, er hatt' es nicht gewahrt,
auch nicht die Blicke der Männer, am Kraltor geschart.
Dort lagen sie faul in der Sonne, oder man schliff
an einer scharfen Waffe. Er aber griff
an Gesträuch und Gestrüpp und öffnet' die Hand,
verwundert, daß er in seinen Fingern blutig fand
den Büschel schwarzer Beeren oder die Saat.
So eilt' er durch das Gras über den feuchten Pfad,
kaum etwas beachtend, den Blick auf dem Boden
und quälte sich sehr, den zähen Knoten
seiner Gedanken zu lösen.

Die braunen Kinder des Krales fand
er am Schöpfplatz in warmem Lehm und Sand.
Ganz versunken im Spiel beugten sie sich zur Erde
über Getier und eine große Rinderherde
aus trocknem, gelbem Schlamm - Rinder mit dem weißen Dorn
der süßen Goldblüten-Mimose als Horn,
Rhinozeros und Elefant,
plump gerundet von kleiner Hand -
Dies alles sah er und blieb sinnend stehn.
Doch ehe sein Kummer ganz vergehn
konnte vor dem zarten Sehnen nach dem fernen Land
des eigenen Kindseins, hatt' er mit Schrecken erkannt,
daß das Spiel an diesem Morgen anders war.
als mit dünnen, zitternden Fingern einer der Schar
ein Bein geformt und gerundet, dann den Rumpf,
schwerer als sonst, darauf den Kopf stumpf
und lächerlich mit Augen in den Höhlen tief,
das Mundloch eingegraben und schief
voll weißer Dornenzähne - und schamlos groß
die Scham ...

Und in dem warmen Graben kam
eine Angst, so süß und bindend, über die Rücken, zur Erde
gebückt,
und dann, zusammengerückt,
drängten sie sich stumm heran
an die närrische Puppe, aber einer begann
zu flüstern: „Raka, der starke Mann . . ."
Und alle die Kleinen gerieten in den Bann
der Worte, und ein Nebel, ein Schleier legt'
sich über die braunen Augen, und sie murmelten erregt:
„Raka, der starke Mann, aus den großen Strömen und Seen!"
Und plötzlich sahn sie einen der Ihren stehn,
der aufgesprungen die Tiere zertrat.
Da jubelten sie über die fröhliche Tat
und flogen empor, und jeder sprang
tollend im Kreis, wo das törichte Liedchen erklang,
und sie tanzten auf dem Spielzeug, für das ihre Hand
Form und Gestalt und Ausdruck fand,
bis vor Rakas Füßen das lustige Leben
der Tiere zerstört war und zurückgegeben
dem Lehmgrund, aus dem es kam. Doch entsetzt
von dem trüben Spiel, das wie betört sie ergötzt',
schritt Koki im Zorn
und fühlt', daß Raka, Raka wie ein schwarzer Born
- aus tief verborgenen Quellen gespeist -
aufwallend seines Stammes gesetzten Geist
und den sauberen Sinn zu durchdringen begann.

So wandt' er sich um
- und die Kinder standen erschrocken und stumm
über den Zorn seiner Schultern, den steifen Gang -
und eilt' zurück den Pfad entlang,
und der klopfende Lockruf des Kokkewiets
verstummt' zwischen den Blütenfahnen des Rieds,
und das Rebhuhn, das still im Grase lag,
flog auf mit grauem, schnarrendem Schlag
der Flügel und streifte ihn fast am Bein.
Eine schlanke Säule, so ging er dahin. - O Blut so rein,
das aus der Erde nach Äonen quillt
durch dunkle, niedre Schichten und nun mild
und schön und leuchtend in der Sonne schreitet -
ein Wirbelwind, der leicht und jung vorübergleitet
auf den Wassern der See. Ein kühles Strahlen
lag um die edlen Schultern und die schmalen
Gelenke von Hüft' und Knie und Knöchel; es glänzt'
die braune Haut, scharf abgegrenzt
in Flächen von Schatten und Helligkeit;
der Rücken rund und schräg und breit,
von festem Maß und Gleichgewicht.

O du Schönheit des Leibes, die aus der Erde bricht,
wie vom Feuerstein das rote Glühn
des Funkens springt. Jung und kühn
ist noch die Schönheit des Leibes, die unbeschwert
aus dunklem Boden rankt. Sie kennt ihren Wert
erst halb und nicht die Blüte, zu der in fernen Tagen
sie wächst und zielt. Doch jeder von denen, die Schönheit tragen
und Hoheit als fernes Sehnen und eine Last,
ist unter den Menschen ein fremder Gast
und ausgeliefert vieler Gefahr.

Und schließlich wurde Koki in seiner Brust gewahr,
daß er an einer Grenze stand, beschränkt
von etwas Starkem, Düsterm, das nicht denkt. . .
An diesem Morgen wählt' er nicht den Pfad
nach den gezackten Kalksteinhügeln, wo sein Bad,
ein blanker Teich, in dem er jeden Tag
geschwommen, mit wenig Binsen offen in der Sonne lag,
ein Brunnen, der so weit hinabreicht in des Berges schwarzen Grund,
daß seine Tiefe keinem jemals wurde kund,
der bis zum Uferrand beständig voll
von einer Flut, die ohne Zulauf aus der Tiefe quoll,
kühl, schattenlos, gezackt umgeben
von steilen, trügerischen Klippen, wo kein Leben
sich regt'. Nur Wanderer, vom Wege abgekommen,
vernahmen hin und wieder dort, beklommen,
aufquellendes und böses Brodeln in der Flut.
Doch taglang unter warmen Lüften ruht'
das Wasser ungestört und still
und unberührt von gift'gem Aal und Krokodil.
Ein heiliger Teich, von dem sich scheu sein Stamm
fernhielt und wegschlich zu dem warmen Schlamm
und duftenden Gesträuch an den Gestaden
des Stroms und zu der Wälder feucht-vertrauten Pfaden.
Doch er, verwegen und wie stets allein,
hatt' dort die heiße Mittagszeit jahraus, jahrein
verbracht und war hinausgeschwommen in die schwarze Flut,
wo er zuweilen rücklings treibend ruht',
das kühle Plätschern wie von Katarakten stundenlang im Ohr,
wo er mit Augen, die geblendet, sich verlor
in schimmernde Höhen von Wolke und Luft.
Zuweilen taucht' er lautlos in die dunkle Gruft,
hinab, hinab, an scharfer Klippenbank entlang,
durch kältre Schattenreiche und war bang,
doch zitternd auch vor Glück zurückgekehrt aus dieser Nacht,
die einer weichen, schwarzen Blume gleich in dunklem Schacht
nach hellem Tag und reiner Sonne seltsam rankt. -
Jedoch an diesem Tag verlangt
ihn, braun und schlank, nach Pfaden, weniger bekannt:
Das Ried durchschritt er, und vorbei am Rand
des feuchten Uferwalds, der dunkel ist und neblig tagelang
und wo die nassen Blätter tropfen, richtet' er den Gang,
bis später, dünn an Baumbestand
und blau von scharfem, üpp'gem Büffelgras, weit ausgespannt,
das Flachland sich vor seinen Blicken breitet'.
Doch rastlos und mit langen Schritten schreitet
er weiter in der nackten Sonne, deren Brand
von Horizont zu Horizont das Land
mit weißer Glut erfüllt', und hatte kaum gewahrt,
wie, aufgescheucht, das Wild umher jagt' und sich schart'
in Rudeln, und wie klein Getier von seinen Füßen weg,
mit Augen voller Angst, die spitzen, schwarzen Schnauzen von
dem Schreck gekraust, in wilder Flucht von dannen lief,
sich überstürzend in dem Gras, das zäh und tief. . .
bis sechzig Schritt vor Koki, schwarz und lang, sich die Gestalt
von Raka zeigt'. In stummem Halt
verharrten beide einen Augenblick, bevor sich einer rührt'.
Dem Schwarzen waren Brust und Maul mit Blut beschmiert,
ein Zebra vor sich auf zertretnem Grunde
- das schöne Wild der weißen Morgenstunde,
das schnellste, scheuste Tier.

Doch als er Koki nun erkannt,
tollt' er und überschlug sich, affengleich, im Sand,
die schwarzen Beine in der Luft, und dann
auf Seit' und Rücken rutschte er heran
- wie eine Hündin untertänig - und lud ein,
mit Tatz' und Maul bei seiner Beute Gast zu sein.
Und Koki sah die Freundlichkeit sich still und kühl
mit an und spürt' ein fremd Gefühl
des Schauderns, und von des Untiers tollem Bild
kehrt' er sich ab, denn ohne Assagai und Schild
lief er ins Feld. - Doch wütend Schnaufen
vernahm er hinter sich und schneller Füße Laufen,
als er davonging, und rasch wandt' er sich um:
In seinen Spuren stand das große Wesen, dumm
grinsend und trat dann voll Wut zurück,
doch ängstlich und mit halb verdutztem Blick
vor dem, das sein Begreifen so sehr übersteigt
im dumpfen Hirn, und die entblößten weißen Zähne zeigt'
der hochgezogne schwarze Lippenrand.
Und so verließ, nun rückwärtsschreitend, Koki jenes Land,
wo schwarze Tierheit drohend herrscht.

Dies ist das zweite Kapitel aus dem Epos Raka, von N. P. van Wyk Louw.

Buchtitel: Raka
Autor: N. P. van Wyk Louw
Übersetzung aus dem Afrikaansen: W. A. Kellner
Verlag: Nasionale Boekhandel
Erste deutsche Ausgabe, Kapstadt; Johannesburg; Bloemfontein; Port Elizabeth, Südafrika 1970
Original-Kartonband, 14x22 cm, 36 Seiten

van Wyk Louw, N. P. und Kellner, Wilhelm im Namibiana-Buchangebot

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