Märchen aus Namibia. Volkserzählungen der Nama und Dama, von Sigrid Schmidt

Märchen aus Namibia. Volkserzählungen der Nama und Dama, von Sigrid Schmidt. Reihe: Märchen der Weltliteratur. Eugen Diederichs Verlag. Düsseldorf, Köln 1980. Ansicht der Halbleinen-Ausgabe.

Märchen aus Namibia. Volkserzählungen der Nama und Dama, von Sigrid Schmidt. Reihe: Märchen der Weltliteratur. Eugen Diederichs Verlag. Düsseldorf, Köln 1980. Ansicht der Halbleinen-Ausgabe.

Märchen aus Namibia. Volkserzählungen der Nama und Dama, von Sigrid Schmidt. Aus dem Kapitel 'Die verlorene Unsterblichkeit'.

Sigrid Schmidt  

Die verlorene Unsterblichkeit

In den alten Zeiten, als die Menschen über das Sterben ihrer Freunde trauerten, sandte Tsukoab, der gute Mann, einen Hasen zu ihnen. Der sollte ihnen verkündigen, daß sie mit dem Trauern aufhören müßten. Denn wenn die Menschen zunächst auch stürben, so würden sie doch nach einiger Zeit wieder aufleben so wie der Neumond. Der Hase versprach, diese Botschaft zu überbringen. Doch stattdessen lief er zur Buschlaus und bat sie, an seiner Stelle die Botschaft auszurichten. Er sagte sie ihr auch ganz verkehrt. Aber die Buschlaus wollte nicht, sie weigerte sich zu gehen. »Nein«, sagte sie, »es ist noch viel zu früh, und ich bin noch nicht fertig angezogen, ich habe meinen Vorkaross noch nicht an. Und du, Hase, kannst viel schneller laufen als ich. Lauf nur selbst!« Da mußte der Hase selbst gehen und die Botschaft überbringen. Als er zu den Menschen kam, log er, daß er ihnen bestellen sollte: »Wer tot ist, soll tot bleiben und soll nicht wieder aufleben wie der neue Mond.« Wegen dieser Lüge hassen die Nama den Hasen. Sie haben die größte Abneigung, Hasenfleisch zu essen. Selbst dem, der bei starkem Hunger davon ißt, hält man das sein Leben lang vor. Er zählt nicht mehr als Mann und darf bei keinen öffentlichen Anlässen mehr mitsprechen. Und wenn sie Gelegenheit haben, einen Hasen zu töten, dann sollen sie ihm keinesfalls das Leben schenken. [...]

Über die Märchen aus Namibia

[...] Dama sind im allgemeinen konservativer als Nama. Darum finden wir heute unter ihnen noch wesentlich mehr vom alten Geistesleben als unter den Nama. Die große Frage, die noch zu klären ist und zu der diese Märchensammlung beitragen möchte, lautet: Was ist denn nun ursprünglich Nama und was Dama? Märchen lassen sich kaum national abgrenzen, sondern wandern über Landes- und Rassengrenzen hinaus, weil allgemeinmenschliche Fragen ihren Kern bilden. Wir haben als eines der wenigen Unterscheidungsmittel das Thema »Viehzucht«, das ja wesentlich für die Nama, aber nicht für die Dama war. Wenn es in den Märchen in Schlüsselfunktionen erscheint, etwa in dem von der Kuh mit dem sechsstrichigen Euter (Nr. 101) oder dem Geizigen, der das Vieh kastriert, aber nie schlachtet (Nr. 7), dann werden wir es wohl als ursprüngliches Nama-Märchen ansehen müssen, wenn es auch von Dama erzählt wurde und, wie Nr. 7, jetzt nur noch bei den Dama bekannt ist. Heute bilden Nama- und Dama-Märchen eine Einheit. Zum Verständnis der Märchen wollen wir kurz die Natur des Landes schildern, weil sie darin ein wesentliches Element ist. Je weiter man vom Norden nach dem Süden geht, desto weniger Regenfall gibt es, desto spärlicher wird der Bewuchs. Während im Norden des Landes gebietsweise dichter Mopane-Busch besteht, werden südlich von Rehoboth Bäume immer seltener. Meist sind es die mächtigen Kameldornbäume entlang der Flußbetten, die sich halten können. Denn wenn auch solch ein Flußbett nur wenige Tage im Jahr, manchmal viele Jahre hintereinander, gar kein Wasser führt, so können sich die Bäume von der Feuchtigkeit im Sande ernähren. Im Süden gibt es manchmal so wenig Regen, daß jahrelang kein Gras nachwachsen kann. Diese unendlich weite Landschaft mit den einzelstehenden Grasbüscheln, den nackten Felsen und den verstreuten Dornbüschen und darüber dem fast immer blauen Himmel heißt offiziell »semi-aride Steppe«, aber allgemein »Veld«. Noch heute kommt im Süden des Landes auf 1 km² kaum 1 Einwohner (in der Bundesrepublik Deutschland sind es 241). Denn das dürre Land bietet wenig Nahrung, und darum ist es auch das immer wiederkehrende Motiv vom Märchen bis zum Tierschwank: Man läuft im Veld umher und sucht etwas zu essen. Darum ist das Erlangen von fettem Fleisch, auf das jeder, der von Veldkost lebt, einen Heißhunger bekommt, von solcher Bedeutung. [...]

Dies ist ein Auszug aus: Märchen aus Namibia. Volkserzählungen der Nama und Dama, von Sigrid Schmidt.

Titel: Märchen aus Namibia
Untertitel: Volkserzählungen der Nama und Dama
Autorin: Sigrid Schmidt
Reihe: Märchen der Weltliteratur
Verlag: Eugen Diederichs Verlag
Erste Auflage. Düsseldorf, Köln 1980
ISBN 3424006835 / ISBN 3-424-00683-5
Original-Halbleinenand, 12 x 19 cm, 285 Seiten

Schmidt, Sigrid im Namibiana-Buchangebot

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Märchen aus Namibia. Volkserzählungen der Nama und Dama als bibliophile Ausgabe des Eugen Diederichs Verlags.

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