Im Schülerheim zu Windhuk, von Bernhard Voigt.

Im Schülerheim zu Windhuk, von Bernhard Voigt.

Im Schülerheim zu Windhuk, von Bernhard Voigt.

In seinem Jugendbuch Im Schülerheim zu Windhuk erzählt Bernhard Voigt Farm- und Jagderlebnisse sowie von Ereignissen aus der Zeit des Herero-Aufstandes. Der folgende Auszug ist vom Kapitel "Der Menschenfresser".

Bernhard Voigt  

Der Bezirk Outjo gehört noch heute zu den wildesten und unbekanntesten Gegenden von Südwestafrika. Raubtiere, auch Löwen/gibt es dort in Menge; sogar Elefanten statten meiner Farm zuweilen Besuche ab, und mehrmals sind die riesigen Dickhäuter schon in meinen Garten eingebrochen und haben darin übel gehaust. Als ich mich vor zehn Jahren dort oben niederließ, war es noch schlimmer. Ich hatte zwar meine Bedenken, als ich die Farm zum erstenmal besichtigte; aber mein bester Freund, der Farmer Nagel, der nur dreißig Kilometer entfernt wohnte, versprach mir Hilfe und gute Nachbarschaft, und außerdem war auf diesem Platz eine besonders reiche Wasserstelle vorhanden, von der aus man einen großen Garten bewässern konnte. Das lockte mich; auch liebte ich die freie, unberührte Natur, und die Gegend, die mir der Freund ausgesucht hatte, war wirklich reizend. Dabei aber fast unzugänglieh; kein Weg führte in die Wildnis, nur wenige Lichtungen fanden sich in dem schier endlosen Dickicht aus meist dornenlosen Büschen. Ganze Wälder standen auf den Ebenen an den Flußlaufen, und riesige Bäume ragten aus dem Gebüsch gen Himmel. In der Nähe des Riviers bildete das hohe Rohr eine undurchdringliehe Wirrnis. Wollte man das Gebiet durchqueren, so mußte man die uralten Elefantenpfade benutzen, die auch heute noch von den riesigen Dickhäutern betreten werden. Als ich in Outjo den Farmkauf abgeschlossen hatte, fragte ich den Bezirksamtmann, wo sich in dieser Gegend Hererowerften befänden; denn ich wollte mir dort Arbeiter anwerben. Aber der Beamte schüttelte den Kopf und sagte: »Die Gegend ist ganz verlassen. Ein Menschenfresser brach fast jede Nacht in die Ansiedlung ein und holte sich ein Opfer. Ich schickte eine Polizeipatrouille hin; aber sie konnte den Mörder nicht kriegen. Da zogen es die Hereros vor, nach dem Osten auszuwandern.«

»Ein Menschenfresser?« fragte ich lachend. »Was sind das für Märchen?« Aber der Bezirksamtmann erklärte mir ernsthaft, daß man einen alten Löwen so nenne, dessen Zähne schon abgenutzt und stumpf und dessen Knochen zu steif seien, um noch Wild zu schlagen. Habe solch ein alter Kerl erst einmal einen Menschen angegriffen und überwältigt, dann halte er sich für immer an Menschenfleisch, da es kein lebendes Wesen gebe, das für ihn leichter zu erjagen sei. Er riet mir auch, sehr auf der Hut zu sein; denn sicher würde auch ich bald mit dem Menschenfresser zusammentreffen. Ich warb also in Outjo drei Hereros an; auch half mir in der ersten Zeit mein Freund mit seinen Leuten. Nach wenigen Wochen hatten wir eine einfache Fahrstraße angelegt und ein Häuschen für mich aufgebaut. Die Pontoks der eingeborenen Arbeiter sicherte ich durch breite, starke Dornenkrale, und ebensolche Krale wurden für die paar Stück Vieh errichtet, die ich damals besaß. Dabei dachten wir nicht einmal an den Menschenfresser; wir mußten diese Vorsicht schon deshalb üben, weil die Gegend geradezu von wilden Tieren wimmelte. Als ich später Fallen stellte, fing ich eine Menge Leoparden, Hyänen, wilde Hunde und Schakale, und doch konnte ich nicht feststellen, daß diese Tiere abnahmen. Aber damals besaß ich noch keine Fallen.

Solange der Freund bei mir auf dem Platz war und sich die ersten Arbeiten überstürzten, hatte ich keine Bange. Tagsüber arbeiteten wir, und abends sanken wir wie tot auf unsre Lagerstatten. Nach ein paar Wochen jedoch verließ mich Nagel, der schon vorher seine Eingeborenen zurückgeschickt hatte, weil er sie bei seinen Farmarbeiten nicht länger entbehren konnte. Er ritt zuerst nach Outjo und nahm zwei meiner Leute mit; denn er wollte in der Bezirkshauptstadt für mich einen Ochsenwagen kaufen und mit all den Gütern beladen, die für die Einrichtung meiner Farm notwendig waren. Die beiden Hereros sollten die Wagenochsen treiben, und mein Freund wollte sogar zu Pferde diese Fahrt selbst begleiten, da er meinen neuen Leuten und unerprobten Zugtieren nicht traute. So blieb ich mit nur einem Eingeborenen auf der Farm zurück. Den Tag über arbeiteten wir; am Abend saß ich allein auf der Stufe der Haustür, rauchte meine Pfeife und fühlte mich sehr verlassen. Es war ganz still, unheimlieh still. Der Kaffer war in seinen Pontok gegangen und schnarchte sicher schon unter seinen Decken. So ging auch ich zur Ruhe und schloß sorgfältig die Tür; die Fenster aber ließ ich offen; denn in den kleinen Stuben herrschte eine unerträgliche Hitze.

Schlaflos wälzte ich mich im Bett. Die Frösche unten im Rivier machten einen Riesenlärm; Tausende trillerten in den höchsten Tönen, und dazwischen erscholl das dumpfe Brüllen der Ochsenfrösche. Aber bei diesen andauernden eintönigen Lauten wäre ich wohl schließlich eingeschlafen. Da drang durch den Wald ein Ton, als ob fünfzig Posaunen auf einmal geblasen würden. Ein alter, einsamer Elefant, dem zu nahen sicher nicht ratsam war, meldete seine Ankunft und warnte gleichzeitig davor, ihn auf seinem Gang nach der Tränke zu stören. Aber noch andere Tiere schienen sich im Dickicht herumzutreiben; denn häufig wurden die auf den Bäumen nächtigenden Papageien, Tauben, Perlund Sandhühner aufgestört und suchten sich dann mit lautem Geschrei ein ruhigeres Plätzchen. Nichts jedoch verdroß mich so sehr wie das die ganze Nacht anhaltende Winseln, Bellen und Heulen der Schakale. Ihr habt sicher diese Laute schon gehört und könnt begreifen, wie es einem müden Menschen zumute ist, der sich diese Störenfriede nicht vom Halse schaffen kann. Ich wälzte mich auf der Matratze hin und her. War ich wirklich einmal in einen Halbschlummer gefallen, so schreckte ich wieder auf, weil beinahe dicht unter meinen Fenstern ein Geschrei angestimmt wurde, als ob eine Schar kleiner Kinder von wilden Hunden angefallen würde und sich nicht zu retten vermöchte. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch:  Im Schülerheim zu Windhuk, von Bernhard Voigt.

Buchtitel: Im Schülerheim zu Windhuk. Abenteuer in Busch und Steppe
Autor: Bernhard Voigt
Verlag: Gebrüder Weiss
Berlin-Schöneberg, o. J. (um 1957)
Original-Leinenband, Original-Schutzumschlag, 14x21 cm, 159 Seiten, Federzeichnungen im Text

Voigt, Bernhard im Namibiana-Buchangebot

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