Heimat gestern und heute, von Edoardo Costadura und Klaus Ries

Heimat gestern und heute. Interdisziplinäre Perspektiven, von Edoardo Costadura und Klaus Ries. transcript Verlag. Bielefeld, 2016. ISBN 9783837635249 / ISBN 978-3-8376-3524-9

Heimat gestern und heute. Interdisziplinäre Perspektiven, von Edoardo Costadura und Klaus Ries. transcript Verlag. Bielefeld, 2016. ISBN 9783837635249 / ISBN 978-3-8376-3524-9

Heimat, ein Problemaufriss: Einstieg in das Buch Heimat gestern und heute, von Edoardo Costadura und Klaus Ries.

Kaum ein Thema findet derzeit mehr öffentliche Resonanz als die Frage nach Heimat. Schon vor der Flüchtlingsproblematik stand „Heimat" angesichts der allgemeinen Globalisierungstendenzen und der Folgen des politisch-sozialen Umbruchs von 1989/90 auf der medialen Tagesordnung. Die Flüchtlingsströme aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten und die je unterschiedlichen politischen Reaktionsweisen heizten dann jedoch die Debatte um Heimat, Heimatverlust und Heimatlosigkeit erst richtig an. Gibt es ein Recht auf Heimat - oder gar ein „Grundrecht auf ein besseres Leben", wie der ungarische Ministerpräsident Victor Orban zugespitzt und zugleich verneinend fragte. „Was ist eigentlich Heimat", so der jüngste Buchtitel der Journalistin Renate Zöller, die mit Flüchtlingen, Exilanten und Auswanderern gesprochen hat und „die Annäherung an ein Gefühl" verspricht. War nicht sogar „am Anfang [...] Heimat", wie der in Buenos Aires geborene und in Deutschland lebende Feuilletonredakteur Eberhard Rathgeb sein neuestes Buch titelte, in dem er den individuellen, aber dennoch generalisierbaren „Verschlingungen eines komplizierten Gefühls" nachgeht. Auch in Architektur und Städtebau hat das Thema seinen Niederschlag gefunden: Auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig wird der deutsche Beitrag von Oliver Elser und Peter Cachola Schmal mit dem visionären Ausstellungskonzept antreten: „Making Heimat - Germany, Arrival Country". Dabei geht es vor allem um Frage: „Wie gibt man Hunderttausenden, die größtenteils dableiben werden, nicht nur ein vorläufiges Dach über dem Kopf, sondern auch Räume, die sie in ihrer neuen Heimat tatsächlich ankommen lassen?" Und um noch ein letztes aktuelles Beispiel zu nennen: Die neueste Jahrestagung der „Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft" (Mai 2016) steht unter dem Motto: „heimatlos/Verlust und Traumatisierung - Sehnsucht und Hoffnung". Ausgehend von der Frage Jean Amerys „Wieviel Heimat braucht der Mensch?" und von den spezifisch deutschen historischen Erfahrungen nach 1945 widmet sich die Tagung dem komplexen Problem von Heimatverlust, wobei es nicht nur um „Verlust einer ,äußeren Heimat" gehen soll, „sondern um die Entwicklung eines Sicherheitsgefühls, die Regulierung des seelischen Gleichgewichts, die Folgen schwerer Traumatisierungen und Defizite und um ihren Niederschlag in den menschlichen Beziehungen". Dieser regelrechte „Hype um Heimat", der beinahe täglich neue Ideen und neue Artikel hervorbringt, hat uns bewogen, das Thema wissenschaftlich und interdisziplinär zu beleuchten.

HEIMAT HISTORISCH

Am Anfang steht die Frage nach dem Begriff von Heimat, einer deutschen Bezeichnung, die sich schon früh etwa im germanischen „haima" findet. Überhaupt scheint „Heimat" auf den ersten Blick ein spezifisch deutsches Problem zu sein, wie die oben genannten aktuellen Beispiele zeigen, die sich allesamt auf Deutschland beziehen. Es gibt keine begriffliche Entsprechung im romanischen Sprachraum. Im Italienischen bezeichnen „patria" bzw. „paese" nicht exakt das gleiche und auch das französische „le pays" oder „le bercail" stehen nicht allein für den Begriff und die Bedeutung von Heimat. Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1877 wird das Wort definiert erstens als „patria, domicilium", d.h. „das land oder auch nur der landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden aufenthalt hat"; zweitens als „der geburtsort oder ständige wohnort" und an dritter Stelle wird noch hinzugefügt: „Selbst das elterliche haus und besitzthum heiszt so, in Baiern."9 Heimat bezeichnet ursprünglich also eine klar definierte und begrenzte Lebensumwelt. Walter Jens hat daran erinnert, dass „Heimat" ursprünglich alles andere als idyllisch war: es war ein „nüchternes Wort", es war „raue Wirklichkeit" - die raue Wirklichkeit eines Bauernlebens im Ancien Regime. Dies ändert sich im 19. Jahrhundert grundlegend. Ausgehend vom Ende des 18. Jahrhunderts, als erste Auswanderungswellen Deutschland in Richtung Amerika verließen, und von der Romantik, als das Wort eine ungeahnte pathetische und mitunter pathologische Aufladung und Erweiterung erfuhr, umspannt die Geschichte des Begriffes Heimat die neuere deutsche Geschichte mit all ihren Höhen und Abgründen. Eine bislang noch unerledigte Aufgabe der deutschen geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung bestünde in der umfassenden Aufarbeitung dieser Geschichte. [...]

Dies ist ein Auszug aus: Heimat gestern und heute, von Edoardo Costadura und Klaus Ries.

Titel: Heimat gestern und heute
Untertitel: Interdisziplinäre Perspektiven
Herausgeber: Edoardo Costadura; Klaus Ries
Reihe: Histoire, Band 91
Verlag: transcript Verlag
Bielefeld, 2016
ISBN 9783837635249 / ISBN 978-3-8376-3524-9
Broschur, 15 x 22 cm, 254 Seiten

Costadura, Edoardo und Ries, Klaus im Namibiana-Buchangebot

Heimat gestern und heute

Heimat gestern und heute

Heimat gestern und heute: Interdisziplinäre Perspektiven.