Die Oberhäuptlinge des Hererovolkes, von Wolfgang Reith
1976 lernte Wolfgang Reith den Hereroführer Clemens Kapuuo kennen und verfolgt steitdem die Entwicklung der namibischen Hererokultur. Aus seinem Buch "Die Oberhäuptlinge des Hererovolkes" beschreibt der folgende Auszug die Anfänge eines Häuptlingswesens bei den Herero des 19. Jahrhunderts.
Die Anfänge eines Häuptlingswesens
Der Herero-Aufstand des Jahres 1904 und der sich anschließende Krieg dieses Volkes gegen die deutsche Kolonialmacht haben die Geschichte und die Entwicklung Südwestafrikas/Namibias nachhaltig beeinflusst. Die entscheidenden Gefechte am Waterberg und die Flucht eines großen Teils der Herero durch die weitgehend wasserlose Omaheke ins damalige Betschuanaland markierten aber keineswegs das Ende der seinerzeitigen unheilvollen Ereignisse, vielmehr wirken diese bis heute nach und beeinträchtigen auch noch ein Jahrhundert später das politische Geschehen im Lande. Unabhängig von der wieder aufgeflammten Forderung der OvaHerero an die deutsche Regierung nach Reparationen für das während des Krieges 1904 und danach erlittene Schicksal schwelt beispielsweise schon seit vielen Jahren ein Streit zwischen der amtierenden Führung des Volkes und dem Häuptlingshaus Tjamuaha/Maharero (Nachfahren des im Exil verstorbenen Samuel Maharero) um die rechtmäßige Anwartschaft auf den „Thron". Zwar ist dies eine Folge der nach 1904 entstandenen unklaren Herrschaftsverhältnisse, gleichwohl wurden die Wurzeln dafür bereits in den Anfängen der deutschen Kolonialzeit gelegt, als sich die leitenden Verwaltungsbeamten nämlich darum bemühten, das nomadisierende und bis dahin zerstreut lebende Volk der Herero unter einer gemeinsamen Führung zusammenzufassen. Das aber bringt uns zwangsläufig zur Betrachtung der Entstehung einer solchen Oberhäuptlingschaft sowie zur Beschäftigung mit dem von den Deutschen favorisierten Häuptlingsgeschlecht, der „Dynastie" Tjamuaha/Maharero, die heute auch als Königshaus bezeichnet wird. Bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts bestand das Volk der Herero aus unzähligen kleinen Sippen unter jeweils einem - politisch autonomen - Oberhaupt. Zentrale politische Institutionen gab es nicht, ja nicht einmal „amtliche" Häuptlinge. Vielmehr wurde allein „der Anführer einer bestimmten Werft... nach der Anzahl seiner Anhänger, der Größe seiner Herden und der Anzahl seiner Viehposten als reich betrachtet und respektiert." Wer also „viele Rinder" hatte und „viele Leute um sich", der galt als „omuhona" („Häuptling"), doch von Geburt aus erwarb man sich eine solche Stellung nicht. Die OvaHerero gehörten demnach „zu jenen Völkern Afrikas, die keine Herrscher kennen und segmentär in verschiedene Familien (lineages) unterteilt sind. Ein vererbbares, anerkanntes, mit festen Rechten und Pflichten umgebenes Häuptlingstum gab es nicht." Das änderte sich erst, als die OvaHerero ihre Viehposten immer weiter nach Süden vorschoben und es deshalb zu Kämpfen mit den dort weidenden Nama kam. Deren Angriffen aber vermochten sie letztlich wegen fehlender Stammesstrukturen keinerlei organisierten Widerstand entgegenzusetzen. So begaben sich bald einige Familien-Oberhäupter freiwillig in die Abhängigkeit des Hauptfeindes, des mächtigen Nama-Kapitäns Jonker Afrikaner, was ihnen Schutz vor dessen Attacken bot, die dann eben andere Hererogruppen trafen. Die abhängig gewordenen Sippenverbände aber schauten nun die Herrschaftsverhältnisse ihrer Unterdrücker ab und kopierten sie, was letztendlich zur Entstehung eines ebensolchen Häuptlingstums bei den OvaHerero führte und das deshalb „in der Tat... eine relativ späte Erscheinung und erst von den Nama übernommen worden" ist.
2. Tjamuaha als Vasall der Nama
Zu den OvaHerero-Führern bzw. -Häuptlingen, die sich freiwillig den Nama unterwarfen, gehörte auch Tjamuaha (geboren um 1790). Sein Großvater, Mutjise (geboren um 1730), war ab etwa 1750 mit seiner Familie aus dem Kaokoland in die Gegend von Okahandja eingewandert. Sein Sohn, Tjirue (geboren um 1760), der Vater Tjamuahas, siedelte in Otjikune, rund 40 Kilometer östlich von Okahandja (auf der heutigen Farm Schenckswerder), wo sich auch sein Grab befindet. Im Jahre 1830 verließ Tjamuaha, der ebenfalls in Otjikune geboren wurde und dort als Nachfolger seines Vaters Pfleger des heiligen Ahnenfeuers war, mit Familie und Anhang seinen bisherigen Wohnplatz und zog nach Okahandja. Hier kam es drei Tahre später zu ersten Auseinandersetzungen mit den Nama, die in den folgenden Jahren weiter eskalierten, weil die OvaHerero ihre Viehposten immer mehr nach Süden vorgeschoben hatten. [...]
Dies ist ein Auszug aus: Die Oberhäuptlinge des Hererovolkes, von Wolfgang Reith.
Titel: Die Oberhäuptlinge des Hererovolkes
Untertitel: Von den Anfängen bis zum ungelösten Streit der Gegenwart
Autor: Wolfgang Reith
Verlag: Brevi Manu
Windhoek, Namibia 2017
ISBN 9789991689517 / ISBN 978-99916-895-1-7
Broschur, 15 x 21 cm, 102 Seiten, zahlreiche sw-Abbildungen
Reith, Wolfgang im Namibiana-Buchangebot
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