Der weiße Ovambo, von Nils Ole Oermann

Der weiße Ovambo. Ein deutsch-afrikanisches Jahrhundertleben, von Nils Ole Oermann. Autor: Nils Ole Oermann; Verlag: Herder Freiburg, 2014. ISBN 9783451309205 / ISBN 978-3-451-30920-5

Der weiße Ovambo. Ein deutsch-afrikanisches Jahrhundertleben, von Nils Ole Oermann. Autor: Nils Ole Oermann; Verlag: Herder Freiburg, 2014. ISBN 9783451309205 / ISBN 978-3-451-30920-5

Prof. Dr. Dr. Nils Ole Oermann lernte den weißen Ovambo, Pater Peter Pauly, 1997 in Namibia kennen und schrieb dessen Lebensgeschichte.

Nils Ole Oermann  

Es war im Februar 1997 während der Regenzeit in Namibia. Im Cafe des Supermarkts mit dem wenig afrikanischen Namen »Woermann & Brock« war es drückend heiß. Ich war noch nicht lange in Windhoek, und nun saß ich einem alten Herrn in einer olivgrünen Steppweste gegenüber, wie sie Militärs tragen. Unter seinem dunkelblauen Barett mit einem Anstecker in Form eines silbernen Kreuzes quollen dichte weiße Haare hervor. Er nahm gerade sein »typisch namibisches« Frühstück ein, und ich wollte meinen Augen nicht trauen: Das Brötchen, auf der Speisekarte als »Brotchen« angekündigt, sah genau so aus wie eine typische Berliner Schrippe mit Hackepeter, Zwiebeln und Spreewaldgurke. Dazu gab es eine Tasse Kaffee der Marke »Jacobs Krönung« und die neueste Ausgabe der »Allgemeinen Zeitung«, der ältesten Zeitung Namibias. Der alte Herr zog sein Campingmesser aus der Tasche, klappte die kleinere der beiden Klingen auf und schnitt damit sein Brötchen auf. Dann maß er die Fänge der Klinge zwischen seinem Daumen und Zeigefinger auf circa fünf Zentimeter und grinste: »Auf den Farmen sagen wir immer: Bis dahin is Spaß!« Offensichtlich hatte er in seinem langen Leben auch einige Erfahrungen mit weit längeren Buschmesserklingen gemacht. Er lehnte sich in seinem Plastikstuhl zurück und nahm einen großen Schluck Kaffee: »Was genau führt dich nach Windhoek?« - »Ihr Archiv, oben in der Missionskirche, und das namibische Staatsarchiv«, gab ich zur Antwort und wollte zu einer längeren Erklärung ansetzen, doch mein Gegenüber unterbrach mich. »Ich heiße Peter«, sagte er, »man kennt mich hier als den »schwarzen Peter«, aber du kannst ruhig Peter zu mir sagen. Und wie heißt du?« - »Nils Ole«, sagte ich und ergriff seine feingliedrige und dennoch zähe, sonnengegerbte Hand mit dem festen Druck, die er mir über den Tisch hinweg reichte. »Ausgezeichnet«, gab Peter zurück. »Aber eh du mir erzählst, was du mit meinem Kirchenarchiv vorhast, bestellen wir erst einmal einen ordentlichen Kaffee für dich. Und ein anständiges Brötchen.« Und schon winkte er die Bedienung herbei. Während Peter mit ihr die Bestellung klarmachte, hatte ich Gelegenheit, mich in diesem seltsam kolonialen Koffieshop ein wenig umzusehen. Die ganze Atmosphäre erinnerte mich an ein deutsches Cafe der 1970er-Jahre: die getönten Lampen, Marke »Palast der Republik«, die weißen Plastikstühle. Auch die braunen Fliesen im WC, wie ich zuvor beim Händewaschen feststellen konnte. An den Wänden entdeckte ich zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos der Windhoeker Kaiserstraße und des »Thüringer Hofs«, damals eines der ersten Häuser am Platz. »Man könnte glauben«, dachte ich und mir wurde ein bisschen schwindelig dabei, »wir säßen irgendwo in der deutschen Provinz, und nicht mitten in Afrika.« Ich war aus Oxford für ein halbes Jahr nach Namibia gekommen, weil ich hoffte, hier Material für eine Doktorarbeit im Bereich Kolonialgeschichte zu finden. Und kaum gelandet, hatte ich von diesem bunten Hund, dem deutschen Pastor mit blauem Barett, erfahren, den ein unglaubliches Schicksal nach Namibia verschlagen hatte: Peter Pauly, genannt »der schwarze Peter«, geboren 1917 in Breslau. Sein Vater war ein preußischer Artillerieoffizier mit jüdischen Vorfahren, seine Mutter Melanie Schöneberg ein uneheliches Kind des Grafen Tassilo Saurma-Jeltsch und seiner Hausangestellten. Inzwischen war Peter als pensionierter Pastor Leiter des namibischen Kirchenarchivs und damit Herr über viele Regalmeter von Briefen, Gouvernementsakten und Missionarstagebüchern. Und genau diese Archive wollte ich mir gerne ansehen. »Kein Problem«, strahlte der »schwarze Peter«. »Sobald du dein Brotchen aufgegessen hast, zeig ich sie dir.« Wenige Stunden später war mir klar, dass Peters Archive eine wahre Fundgrube noch ungehobener Schätze darstellten. »Das heißt, du musst noch öfters kommen«, stellte Peter am diesem Abend fest, als ich erschöpft und glücklich das Archiv verließ und er hinter mir abschloss. »Wenn du willst«, schlug er vor, »kannst du so lange hier bei mir einziehen, bis du fertig bist.« Das erstaunliche Angebot nahm ich gerne an. Und so begann meine Freundschaft mit diesem alten Mann, der mein Großvater hätte sein können, in dessen Gegenwart aber Alter und Zeit keine Rolle zu spielen scheinen. Damals überraschte mich Peter jeden Tag aufs Neue, und das tut er bis heute.

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Der weiße Ovambo, von Nils Ole Oermann.

Titel: Der weiße Ovambo
Untertitel: Ein deutsch-afrikanisches Jahrhundertleben
Autor: Nils Ole Oermann
Verlag: Herder
Freiburg, 2014
ISBN 9783451309205 / ISBN 978-3-451-30920-5
Broschur, Schutzumschlag, 12x20 cm, 232 Seiten

Oermann, Nils Ole im Namibiana-Buchangebot

Der weiße Ovambo

Der weiße Ovambo

Die Beschreibung des deutsch-südwestafrikanischen Jahrhundertlebens des weißen Ovambo, Pater Peter Pauly.

Mission, State and State Relations in South West Africa under German Rule

Mission, State and State Relations in South West Africa under German Rule

Regarding the period of 1884-1915, mission, state and state relations in South West Africa are subject to this study.