Das Herz des kleinen Jägers (Henssel-Verlag), von Laurens van der Post

Das Herz des kleinen Jägers (Henssel-Verlag), von Laurens van der Post. Karl H. Henssel-Verlag, Berlin 1961.

Das Herz des kleinen Jägers (Henssel-Verlag), von Laurens van der Post. Karl H. Henssel-Verlag, Berlin 1961.

In den Erzählungen der Buschmänner, ihren Sagen und Legenden findet Laurens van der Post die uralten Schöpfungsmythen wieder und weiß diese in seinem Buch Das Herz des kleinen Jägers, das 1961 erstmals in Deutsch im Henssel-Verlag erschien, behutsam zu deuten.

Laurens van der Post  

[...] Um die Mittagsstunde suchten wir alle nach einem Ort, wo wir unseren Fahrzeugen Ruhe gönnen und uns selber ausruhen konnten. Als eine grüne Fahne mit silbernen Sternen und Streifen auftauchte, war ich darauf gefaßt, daß sie ein neues Trugbild des Tages sei, steuerte aber trotzdem auf sie zu. Langsam wurden Sterne und Streifen kleiner, das Grün machte sich breiter, und schließlich stand da wie ein Wunder vor Ungläubigen eine Anzahl von belaubten Kameldorn-Bäumen. Es waren Riesen ihrer Art, spaßig anzusehen und sehr alt, und das Erstaunen, sie hier anzutreffen, wurde noch durch die Kenntnis vermehrt, daß sie hier in einem Teil der Wüste wuchsen, der keineswegs eine typische Kameldorn-Landschaft war. Für gewöhnlich wachsen sie in großen Mengen viel weiter südlich auf einem Sand, den sie besonders lieben, und verleihen ausgedehnten Wüstengebieten ein erstaunlich parkähnliches Aussehen. Dies hier war wohl nur ein einsamer Vorposten, vielleicht Uberlebende einer großen Kolonie aus einer Zeit, als die Wüste sich den Bäumen gegenüber noch gütiger verhielt als heutzutage. Wir machten dicht neben ihnen halt. Jemand sprang aus einem Wagen und warf eine Handvoll gelben Staub in die Luft. Ohne auseinanderzufallen, fiel der Staub schwer wie Blei herab. Da wußten wir, daß es nicht windig war. Trotzdem wendeten wir unsere Land-Rover in der Richtung, aus der der Wind kommen mußte, wenn er überhaupt jemals wieder wehen sollte, und fuhren sie unter die Bäume. Wir öffneten die Kühlerhauben und schraubten die Verschlußdeckel ab. Beinahe ohne ein Wort miteinander gesprochen zu haben, warfen wir uns in den seit Tagen entbehrten ersten Schatten nieder. Meine Gefährten waren sogleich eingeschlafen, und wie beneidete ich sie! Ich war zu nichts anderem fähig, als nur meinen Körper ausruhen zu lassen. Meine Augen wollten nicht geschlossen bleiben; sie öffneten sich immer wieder und forschten an dem Himmel jenseits dieser unwahrscheinlichen Blätter nach einer Wolke. Es war keine zu sehen, nur eine leichte weiße Feder schwebte über das Blau hinab wie ein Sinnbild des zurückweichenden Sturms vom Abend zuvor. Regen schien weiter entfernt denn je. So lag ich ungefähr eine halbe Stunde da. Der Mittag der Kalahari zischte wie eine Schlange in meinem Ohr. Dann erreichte mich plötzlich ein eindringliches Wispern: „Moren! Master! Bist du wach?" Es war Dabe, unser alter Buschmann-Dolmetscher, der mir sehr ans Herz gewachsen war. Er war so lautlos, wie nur ein Buschmann es vermag, von dem Baum heruntergeklettert, wo er auf die für ihn charakteristische Weise allein geruht hatte. Kein einziger meiner Gefährten, die neben ihren Wagen ausgestreckt lagen und schwer atmeten, war wachgeworden, als Dabe auf Händen und Knien zu mir kroch. Dicht neben mir schob sich sein faltenreiches, gerunzeltes Gesicht vor die blendende Helle. Seine Augen waren kaum sichtbar, aber das wenige, was ich von ihnen sehen konnte, war strahlend und wachsam. „Menschen! Da draußen, sie kommen hierher!" Sich auf den Knien aufrichtend und mit einer Hand nach Osten weisend, sprach er, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich stand sofort auf und ging mit ihm von unseren schlafenden Gefährten hinweg ins Freie hinaus. Wir standen beide in der Sonne, hielten Ausschau und lauschten schweigend. Ich hörte keinen Ton, nur das Brausen des Tages dröhnte in meinen Ohren wie ein Schmelzofen. Ich beobachtete einen Wirbelwind, der sich steil aufrichtete und wie eine Feuersäule des Alten Testaments kreiselte und flackerte, bis seine Flammen eine weite Fläche des Himmels verfärbten. Hoch im Blau darüber stieg ein Geier in einem Strudel klarer Luft empor und zog anmutige Kreise, während das Sonnenlicht seine dunklen Flügelspitzen säumte. Aber mehr sah ich nicht. Ich hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet. Ich konnte nicht glauben, daß Menschen, die nicht wie wir besonders ausgerüstet waren, sich zu dieser Zeit in diesem Teil der Wüste aufhalten konnten. Aber ich wußte aus Erfahrung, daß man Dabes Wahrnehmungen niemals bezweifeln durfte. „Bist du sicher, daß Menschen hierher kommen?" fragte ich. „O ja! Ich spüre, daß sie kommen!" [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Das Herz des kleinen Jägers (Henssel-Verlag), von Laurens van der Post.

Titel: Das Herz des kleinen Jägers
Autor: Laurens van der Post
Übersetzung: Leonharda Gescher
Verlag: Karl H. Henssel-Verlag
1. Auflage. Berlin, 1961
Original-Leineneinband, Original-Schutzumschlag, 13x20 cm, 337 Seiten

van der Post, Laurens im Namibiana-Buchangebot

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