Auf festem Felsengrund. Evangelischer Kirchenbau in Südwestafrika, von Reiner Sörries

Auf festem Felsengrund. Evangelischer Kirchenbau in Südwestafrika, von Reiner Sörries.

Auf festem Felsengrund. Evangelischer Kirchenbau in Südwestafrika, von Reiner Sörries.

»...auf festem Felsengrund« ist nicht nur ein bauhistorischer Rückblick. Evangelischer Kirchenbau in Südwestafrika als identitätsstiftende Überlegenheitsgeste?

Reiner Sörries  

Hoch über dem brandenden, ewig wogenden Meer auf festem Felsengrund erhebt sich unser Gotteshaus, freundlichen Willkommengruß dem Seefahrer bietend, der hier den schützenden Hafen sucht, wie allen, die in diesem Lande eine neue Heimstätte zu finden hoffen. Solche Worte fand Pastor Alexander Metzner in seiner Festpredigt anlässlich der Einweihung der Evangelischen Kirche in Lüderitzbucht am 4. August 1912. Seiner Predigt zugrunde gelegt hatte Pastor Metzner einen Vers aus Psalm 87: „Sie ist fest gegründet auf den heiligen Bergen. Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes." Der Namibia-Tourist, der auf seinem Rundgang durch das eher beschauliche Lüderitz zunächst von nostalgischen Gefühlen beschlichen durch die Bismarckstraße flaniert, um dann den steilen Kirchweg zur Felsenkirche zu erklimmen, träumt allenfalls von Kaisers Zeiten, die in der Heimat kaum so nachzuempfinden sind, wie hier in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Von der eigentlichen Tragik dieser einst deutschen Kolonie lässt er sich kaum einholen, zumal er mit seinen Gedanken vielleicht schon in der Namibwüste weilt, die tags darauf auf dem Reiseplan steht. Und den Besuch der Felsenkirche auf dem Diamantberg wird er abhaken unter Curiosa, entspricht sie doch so sehr dem Bild von Kirche, dass sie aus einem Baukasten für Modelleisenbahner stammen könnte.

Die 1912 eingeweihte Felsenkirche folgt treu dem neugotischen Stil, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerade in evangelischen Diasporagemeinden bevorzugt wurde. Und so wäre über diese Kirche nichts besonderes zu sagen, stünde sie nicht auf der südlichen Erdhalbkugel, 9000 Kilometer von der Heimat entfernt. Dies kann allerdings die Verfasser von Kunst- und Architekturgeschichten nicht beeindrucken, weshalb sich die Kirche in Lüderitz weder in einer kunsthistorischen Erörterung noch in einer Geschichte des protestantischen Kirchenbaues findet. Umso wichtiger waren die Existenz und der Baustil der Felsenkirche für die deutschen Kolonisten, die vor fast 100 Jahren an fernen Gestaden eine neue Heimat und einen Rückhalt ihrer Identität suchten. Auch im Inneren der Kirche blendeten die frommen Buntglasfenster alles aus, was fremd, herausfordernd oder gar bedrohlich wirkte.

Nur wenige Jahre lag die blutige Niederschlagung des Aufstandes der Herero und Nama zurück, und die Boten der drohenden Kriegsgefahr in Europa waren gewiss auch nach Südwest gedrungen, aber dem konnte man sich anscheinend in der Gemeinschaft der in der Felsenkirche um Wort und Sakrament versammelten Gemeinde entziehen. Die Zeitläufte der Weltgeschichte konnten indes dadurch nicht aufgehalten werden, und drei Jahre nach der feierlichen Einweihung besetzten die Truppen Südafrikas, das dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatte, Südwestafrika und beendeten das koloniale Abenteuer der Deutschen. Die Deutschen jedoch blieben, und lange Jahrzehnte veränderte sich nichts.

Auch die Felsenkirche in Lüderitz hatte Bestand. Und wenn auch die deutsche Gemeinde in Lüderitz heute so klein geworden ist, dass sie nun pastoral von Swakop-mund aus versorgt werden muss, und die Felsenkirche mehr Kulturdenkmal denn Mittelpunkt einer aktiven Gemeinde ist, so erzählt sie immer noch von Geschichte und Gegenwart. Die Kirche wird Bestand haben, wurde sie doch am 21. September 1978 zum nationalen Kulturdenkmal erklärt, die Gemeinde dagegen blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Nach der 1990 erlangten Unabhängigkeit befindet sich Namibia im Aufbruch, aber fast 20 Jahre danach bleibt noch ungewiss wohin. Zu klären wird sein, wie sich das Verhältnis der Weißen und der Schwarzen zueinander gestaltet. Zu klären wird sein, welchen Einfluss die deutsche Kultur künftig haben wird.

In der Hauptstadt Windhoek weisen derzeit die Hinweisschilder den Weg zur „Christuskirche" und anderen Sehenswürdigkeiten noch auf Deutsch (Abb. 8), aber seit einigen Jahren schon steht die Kirche in der neu benannten Robert Mugabe Avenue. Afrikanische Helden behaupten nun ihren Platz auf dem Stadtplan. Die deutsch-evangelischen Kirchen waren seit ihrer Gründung kein Zeichen des Ausgleichs zwischen Kolonisten und Einheimischen, und sie sind es heute immer noch nicht. Weiß und schwarz sind Gegensätze, die nicht überwunden sind. Die Architektur der deutsch-evangelischen Kirchen in Namibia ist Ausdruck dieser Verschiedenheit, denn ihre an historistischen Stilen orientierte Gestalt steht in krassem Gegensatz zu den schlichten Zweckbauten der Missionskirchen.

Weiße und Schwarze gehen nicht nur getrennt zum Gottesdienst, sondern besitzen auch getrennte Kirchenorganisationen. Ökumene bedeutet in Namibia weniger den Versuch zur Verständigung zwischen Evangelischen und Katholiken, als vielmehr den beschwerlichen Weg zu einer Glaubensgemeinschaft zwischen evangelischen Christen weißer und schwarzer Hautfarbe. Historisch betrachtet bieten die deutsch-evangelischen Kirchen des Landes jedoch einmaliges Anschauungsmaterial zum Zusammenspiel von Architektur und Identität. Den deutschen Kirchen der Kolonialzeit, die in einem schmalen Zeitfenster zwischen dem Herero-Nama-Aufstand 1904/5 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 in Windhoek, Swakopmund und Lüderitzbucht entstanden sind, gilt diese kirchen- und architekturgeschichtliche Untersuchung.

Dies ist die Einleitung zu dem Buch: Auf festem Felsengrund. Evangelischer Kirchenbau in Südwestafrika, von Reiner Sörries.

Buchtitel: »...auf festem Felsengrund«
Untertitel: Evangelischer Kirchenbau in Südwestafrika
Autor: Reiner Sörries
Verlag: Böhlau Verlag
Köln, Weimar, Wien, 2012
ISBN 9783412204211
Kartoneinband, 17x24 cm,128 Seiten, 28 sw- und 40 Farbabbildungen

Sörries, Reiner im Namibiana-Buchangebot

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