Otjikondo in Nord-Namibia: Der Platz der drei Farben, von Markus Mörchen


Der Journalist Markus Mörchen war Stipendiat der Heinz-Kühn-Stiftung und bereiste Namibia vom 05. Juli bis 04. Oktober 1999. Unter anderem lernte er die Farmschule Otjikondo kennen, die in der Sprache der Herero Der Platz der drei Farben genannt wird.

„Sehen Sie auf den Boden: Die Farbe des Sandes wechselt zwischen rot, schwarz und weiß.“ Reiner Stommel macht eine weite Handbewegung über den Platz, über den wir gerade fahren. Mit einem alten Pick-Up sind wir auf seinem riesigen Farmgelände unterwegs. Dessen Namen versucht mir Reiner Stommel zu erklären: Otjikondo bedeutet in der Hererosprache so viel wie „Platz der drei verschiedenen Farben“. Otjikondo liegt im Nordwesten Namibias, an der Straße zwischen Outjo und Kamanjab unterhalb der Etosha-Pfanne. Ich bin erstaunt, als ich den Ort auf der Landkarte finde. Das liegt wohl daran, dass die kleine ländliche Niederlassung an einer strategisch wichtigen Straßenkreuzung liegt. Früher bestand Otjikondo gerade mal aus einer Polizeistation und einem Postamt. Reiner Stommel hatte schon als junger Mann die Absicht, das Farmgelände zu kaufen: „Ich hatte immer den Traum, hier eine Schule zu bauen, weil das ein so zentraler Punkt war. Und das haben wir dann ja auch durchgeführt“. Mit Landschulen hatte Reiner Stommel schon damals viel Erfahrung: Mit 25 kam er als Pater aus Deutschland nach Namibia, um in der römisch-katholischen Missionsstation St. Michael zu arbeiten. Die Mission liegt ganz in der Nähe seines heutigen Farmgeländes. Die zu St. Michael gehörende Schule – bereits 1948 gegründet – bietet heute Platz für vierhundert Schüler. 10 Jahre kümmerte sich Reiner Stommel um die Mission, bevor er vor mehr als 30 Jahren aus dem Orden austrat. 1989 kaufte er zusammen mit seiner Frau Gillian die Farm Otjikondo. Die alten Gebäude wurden renoviert, neue gebaut: Klassenräume, Jungen- und Mädchenheim, Wohnungen für das Personal, Speisesaal und Küche. 1992 begann der Schul- und Heimbetrieb mit 100 Kindern. Als 1993 das Erziehnungsministerium die Anzahl der Klassen in „Primary Schools“ von fünf auf sieben erhöhte, mussten weitere Klassenzimmer angebaut werden. 1997 ließ Reiner Stommel am Rande des Schuldorfs eine mächtige Kirche bauen. Aufgebaut ist Otjikondo nach dem Muster englischer Internatsschulen. 160 Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren besuchen heute die Grundschule. Sie kommen aus verschiedenen ethnischen Gruppen. Ähnlich wie in Aris wohnen und arbeiten ihre Familien auf den umliegenden Farmen. „Farmschulen sind absolut wichtig für Namibia“, erklärt mir Reiner Stommel. „Denn es kann ja nicht alles verstädtern. Die Landflucht wird ja sonst immer größer und die Arbeitslosigkeit ist ja sowieso schon groß genug. Unser Ziel ist, die Kinder so zu erziehen, dass sie auch auf dem Land bleiben wollen. Deshalb auch die handwerkliche Ausbildung“. Mit handwerklicher Ausbildung meint der Farmer das umfangreiche Nachmittagsprogramm, das den Kindern in Otjikondo angeboten wird. Neben Sport-, Spiel- oder Theatergruppen werden die Kinder in der Farmarbeit, in Küchen- und Haushaltstätigkeiten unterrichtet. In einer Markus Mörchen Namibia Schreiner- und einer Eisenwerkstatt bekommen die älteren Kinder lebenspraktischen Unterricht. „Auf der Farm herrscht noch ein ganz normales Klima“, erklärt mir Reiner Stommel. „Hier werden sie auf der Farm unterrichtet, und das Farmleben geht ja weiter“. Idealismus und der Glaube an eine Verbesserung der Lebenssituation der Kinder, sagt Reiner Stommel heute, habe ihn damals zum Bau der Schule getrieben. Tatsächlich ändert sich für die Kinder die Lebenssituation erheblich – zumindest für die Zeit, in der sie hier zur Schule gehen. Denn mit dem Tag ihrer Einschulung kommen sie in eine völlig neue Umwelt, die ab dem sechsten Lebensjahr entscheidend auf sie einwirkt: Für die meisten ist es ungewohnt, im Bett zu schlafen. Für uns alltägliche Dinge, wie Toilette, Besteck oder Stifte, sind für sie vollkommen neu. Dazu kommt, dass die Farmschule Otjikondo für namibische Verhältnisse, was Sauberkeit und Hygiene angeht, mehr mit einer deutschen Institution vergleichbar ist als mit ähnlichen Schulen in Namibia. Die Kinder lernen einen Standard kennen, der wenig mit ihrer bisherigen Lebensweise zu tun hat. Obwohl die alten Traditionen nach wie vor stark bei den Kindern verwurzelt sind und auch zum Teil vom Personal an der Schule gefördert werden, findet bei ihnen eine starke Bewusstseinsänderung statt, die eine Rückkehr in die gewohnte Lebenswelt oft schwierig macht. Generell tragen Farmschulen dazu bei, befürchtet Dieter Esslinger vom Ministerium für Grundschulerziehung und Kultur, dass die Erfahrungswelt der Kinder und ihrer Familien immer weiter auseinanderdriftet: „Wenn die Eltern selber nicht lesen und schreiben können, wenn sie keine Schulbildung hatten, bewirkt Schulerziehung eine Entfremdung der Kinder von den Eltern. Und noch ein anderes Problem bringen die Schulen auf dem Land mit sich“, fährt Dieter Esslinger fort. (...)

Dies ist ein Auszug aus einem Gesamtreisebericht: Otjikondo in Nord-Namibia: Der Platz der drei Farben, von Markus Mörchen.

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