Wanderungen und Kämpfe in Südwestafrika, Ostafrika und Südafrika 1894-1910, von Ludwig von Estorff
In den Aufzeichnungen des Generals a. D. Ludwig von Estorff findet sich 1939, nach dem Besuch eines Schriftstellers bei ihm folgender kurzer Satz: „Er will ein Buch über mich schreiben, was ich mir verbitte." Der Herausgeber seiner Aufzeichnungen Wanderungen und Kämpfe in Südwestafrika, Ostafrika und Südafrika 1894-1910, achtet die Auffassung von Estorffs um so mehr, als dessen eigene Lebenserinnerungen, die nur für das Familienarchiv bestimmt waren, mehr sind als schlechthin ein Buch, sondern bedeutsame Dokumente.
Christoph-Friedrich Kutscher Ludwig von Estorff
Aufzeichnungen von Ludwig von Estorff über den Herero-Aufstand: Im Dezember 1903 hatte er begonnen. Von den Herero ging er aus. Dieser stolze, ja hochmütige Kaffernstamm fühlte seine Freiheit bedroht durch die zunehmende Zahl der deutschen Ansiedler, sah seinen Reichtum an Rindern schwinden, der allmählich in die Hände der Händler überging und in die Hände der Farmer, die immer größere Strecken seines alten Weidelandes erwarben. Sie konnten dem Reiz der angebotenen europäischen Waren nicht widerstehen. Meist nahmen sie sie auf Borg, aber dann wehe, wenn der Zahltag kam, dann trieb der Händler die Ochsen fort, die Kühe und Kälber, an denen doch ihr Herz hing, um die sich ihr ganzes Sinnen und Trachten drehte. Der Schmerz und die Wut waren groß, sie fühlten sich betrogen, teils zu Unrecht, teils zu Recht. Denn es gab neben sehr vielen rechtlichen und sehr ehrenwerten Händlern und Farmern auch manche gewissenlose Schurken, deren Haupthandelsware der Schnaps war. Der Verkauf war zwar streng verboten und wurde gelegentlich auch streng bestraft, aber wenn zwei Parteien unter einer Decke stecken, so ist es dem Dritten, hier der Regierung schwer, sich durchzusetzen.
Nun war im äußersten Süden ein mäßig großer Hottentottenstamm aufständisch geworden, die Bondelswarts in und um Warmbad und in den großen Karrasbergen zwischen Warmbad und Keetmanshoop. Der Häuptling in Warmbad, ein Halunke, war wegen eines räuberischen Gewaltstreichs von dem dortigen Distriktchef in Strafe genommen und hatte eine freche Absage geschickt. Nun wollte der Offizier ihn verhaften, es kam dabei zu Tätlichkeiten, der Häuptling wurde erschossen, der Offizier aber auch, und der Aufstand war fertig. Es zeigte sich nun sofort, daß unsere Truppenmacht im Süden viel zu schwach war, um diesen beginnenden Aufstand zu dämpfen. In einem Lande, das von Keetmanshoop bis Warmbad fast so groß wie Süddeutschland war, stand nur eine Kompanie und diese sehr verteilt.
Wenn die Aufständischen in diesem menschenarmen Lande anfangs auch nicht zahlreich waren, so wuchs doch ihre Zahl mit kleinen Erfolgen. So fiel der Leutnant Baron Stempel in einem ungünstigen, kleinen Gefecht am Nordrand der großen Karrasberge im Kampfe gegen einen Untertan der Warmbader Bondelswarts, dem Herero Jakob Marinka, fälschlich aber allgemein Morenga genannt. Mit diesem hatte es folgende Bewandtnis: Es hatten sich in den großen Karrasbergen eine Anzahl Herero angesiedelt, welche vor einem Menschenalter als Grubenarbeiter in die nördliche Kapkolonie verschickt und dort eine Zeitlang tätig gewesen waren. Ein Abkömmling dieser war Jakob Marinka, ein großer kräftiger Kaffer, der sich bald als geborener Kriegsmann und Führer ausweisen sollte, und der uns fortan unendlich viel zu schaffen machte. Vor allem lehrte er die Hottentotten kaltblütig in ihrem Hinterhalt auszuharren und unsere herankommenden Streifen und Schützen in gut gezieltes Feuer hineinlaufen zu lassen. So errang er mehrere kleine Erfolge, das Zutrauen seiner Krieger zu ihm wuchs, und er hat sie in der Zukunft auch zu kühnen Angriffen und Überfällen geführt.
Oberst Leutwein drang über Keetmanshoop bis Kalkfontein vor, unter großen Schwierigkeiten durch Wassermangel und Dürre, und schickte in die Karrasberge und die Felsenlandschaften des Oranje fliegende Abteilungen die von verbündeten Eingeborenen, Wittbois und Bastards gestellt wurden. Sie richteten nicht viel aus, trotzdem wirkte Leutweins Macht so auf die Vorstellung der Bondels, daß sie sich zu einer Unterwerfung bereit erklärten, welche ihnen Leben und Freiheit zusicherte und die Waffenabgabe verlangte. Diese ist allerdings nur ganz unvollkommen ausgeführt worden, denn jetzt traf die Nachricht ein von dem Aufstand der Herero. Sie hatten die Abwesenheit der Schutztruppe im Süden benutzt, denn auch die Kompanie des Hauptmanns Franke war aus Omaruru über Windhuk nach dem Süden nachgezogen worden und bis Gibeon gelangt. Die Häuptlinge der Herero beredeten unter sich den Zeitpunkt des Aufstandes, und da sie bei dem von ihnen sehr abhängigen Volke des Gehorsams sicher waren, auch tiefe Erbitterung gegen uns Deutsche herrschte, so bedurfte es nur des Befehls zum Losschlagen, der nun überraschend schnell, fast überall gleichzeitig ausgeführt ward.
Neben der abgrundtiefen Treulosigkeit und Verstellungskunst des Kaffern erklärt sich so der Umstand, daß kein Weißer vorher etwas erfuhr. Die ganze Heimtücke des Volkes ward offenbar in der Art und Weise, wie sie verfuhren, sie fielen hinterrücks über die einzelnen Händler, Farmer, Reisende, Soldaten her und schlugen sie tot. Rund hundert kamen so in wenigen Tagen um, darunter auch einzelne Frauen, die meisten Frauen und Kinder allerdings schonten sie entgegen ihrem früheren Gebaren, wo sie eine Ermordung der unter ihnen lebenden Hottentotten vorgenommen hatten.
Auch brachten sie keinen einzigen Missionar um, die selbstlose, liebevolle Tätigkeit dieser Männer hatte doch auch des Eindrucks auf die rohen, blutdürstigen Mörder nicht verfehlt. Allerdings schützten die kleinen Christengemeinden sie vor ihren Landsleuten und geleiteten sie mit ihren Familien auf Ochsenwagen bis nah an unsere Linien. „Und kein Haar von Eurem Haupte soll verlorengehen" Luk. 21, 19.
Alle Außenwohnenden, denen es möglich war, flüchteten in die Orte: Windhuk, Okahandja, Karibib, Otjimbingwe und Omaruru. Die Herero bedrohten und umschwärmten diese Orte; Okahandja und Omaruru, die mitten im Hererolande lagen, wurden auch fest eingeschlossen, einen Sturm wagten die Herero aber nicht. Die in den Orten zusammengedrängten Deutschen verfielen vielerorts der Angst und Aufregung, die die Gefahr noch größer machten, als sie war. Wirklich mutige, angriffsweise Verteidigung war selten. Bahn und Telegraph zur Küste waren unterbrochen.
Die erste Hilfe und zugleich eine äußerst wirksame kam erst durch die Kompanie des Hauptmanns Franke, der sich z. Z. des Aufstandes in Gibeon befand. Dieser ausgezeichnete Offizier hatte seine Kompanie in mustergültiger Verfassung. Namentlich war auch die Pferdepflege vorbildlich und dies machte sich jetzt bezahlt. Die mehr als 300 km bis Windhuk legte er in vier Tagen zurück, und zwar unter ungünstigen Umständen. Es herrschte die Regenzeit mit ihren Wolkenbrüchen, die Wege waren schlecht und viele Flußbetten, in denen das strömende Wasser abkam, mußten durchfurtet werden.
Die Anstrengungen von Mann und Pferd waren außerordentlich, aber sie wurden gut überstanden. Am Fuß des Auasgebirges wurde eine Hereroabteilung zersprengt und am vierten Tage war Windhuk entsetzt, Franke verstärkte seine Kompanie durch Freiwillige, versah sich mit Artillerie und ritt eilend nordwärts auf Okahandja. Der reißende, strömende Swakop hielt ihn 2 Tage auf, dann gelang die Durchfurtung und Franke schlug im Gefecht von Okahandja die Herero und entsetzte auch diesen Ort. Dann zog er über Karibib auf Omaruru, überall Hererohorden zersprengend. Bei Omaruru kam es zu einem scharfen Gefecht, in dem unter anderen der Leutnant Freiherr von Wöllwart fiel, aber auch hier wurden die Herero geschlagen. So war der letzte Ort befreit und durch die kühne Tat eines Mannes und einer kleinen Schar der Bann gebrochen. Im Kriege, wo die Gefahr wie ein Alp auf den Gemütern liegt, wirken solche Taten wie ein Zauber.
Wenn man nun aber glaubte, es würde rasch gelingen, den Aufstand niederzuwerfen, so wurde man schwer enttäuscht. Als ich Mitte Februar in Swakopmund landete, wurde nach Frankes großartigem Zug die Sachlage sehr zuversichtlich angesehen. Das Batl. Marine-Inf. gelangte mit der Bahn nach Karibib. Hier verabredete ich mich mit dem Major von Glasenapp, daß er mir eine Kompanie Marine-Inf. und 2 Geschütze zuteilte, die ich mit den Kompanien Frankes in Omaruru und der 4. Kompanie von Outjo vereinigen wollte, um den Nordosten, die Bezirke Waterberg und Grootfontein zu bezwingen und zu entsetzen, während Glasenapp mit den drei übrigen Kompanien und dem Hauptteil der Artillerie nach Windhuk weiterfuhr, um von dort aus den Osten zu unterwerfen. Ich traf Franke in Omaruru, beglückwünschte ihn und seine Kompanie, zog die schwache Outjo-Kompanie an mich und ritt mit der vereinigten Macht ostwärts ins Hereroland hinein. [...]
Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Wanderungen und Kämpfe in Südwestafrika, Ostafrika und Südafrika 1894-1910, von Ludwig von Estorff.
Buchtitel: Wanderungen und Kämpfe in Südwestafrika, Ostafrika und Südafrika 1894-1910
Tagebücher: Ludwig von Estorff
Herausgeber: Christoph-Friedrich Kutscher
Reihe: Unveröffentlichte Dokumente zur Kolonialgeschichte Afrikas
Verlag: Meinert
Windhoek, Südwestafrika 1979
ISBN 0620039299
Originalbroschur, 15x21 cm, 63 Seiten, einige sw-Fotos und Kartenskizzen
von Estorff, Ludwig und Kutscher, Christoph-Friedrich im Namibiana-Buchangebot
Wanderungen und Kämpfe in Südwestafrika, Ostafrika und Südafrika 1894-1910
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