Quo vadis, Völkerkundemuseum?, von Michael Kraus und Karoline Noack

Aus der Einführung des Titels 'Quo vadis, Völkerkundemuseum?', aus der Reihe Edition Museum (Band 16) und herausgegeben von Michael Kraus und Karoline Noack.

Im April 2015 war auf der Webseite des Museums für Wölkerkunde Hamburg eine Stellenausschreibung für ein Volontariat zu lesen. Als Voraussetzung wurde von den Bewerberinnen unter anderem ein »abgeschlossenes Studium der Völkerkunde oder eines eng verwandten Gebietes« erwartet. Auf den ersten Blick besitzt dieser Vorgang nichts Außergewöhnliches. Bei genauerem Hinsehen verweist er jedoch auf Entwicklungen innerhalb der deutschsprachigen Ethnologie, die durchaus bezeichnend sind. Ein Blick in die Rubrik »Ethnologie« auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) verrät, dass im deutschsprachigen Raum keine universitäre Abteilung und kein Studiengang mehr existieren, die die Bezeichnung >Völkerkunde< tragen. Zumindest dem Begriff nach ist dieses Studium nicht mehr möglich. Alle ehemaligen diesbezüglichen Institute und Studienangebote wurden mittlerweile umbenannt. Setzt man die Hoffnungen in Hamburg nicht auf Langzeitstudierende, so wird man folglich eine Person »eines eng verwandten Gebietes« einstellen müssen. Die Ausschreibung verdeutlicht einerseits einen gewissen Grad gegenseitiger Nicht-Wahrnehmung, der zwischen den beiden traditionellen institutionellen Standbeinen der Ethnologie, dem Museum und der Universität, vorherrscht. Und sie verweist andererseits auf unterschiedliche Entwicklungen, die an beiden Standorten ethnologischer Wissensproduktion vonstatten gehen. Im Gegensatz zur Situation an den Universitäten ist bei den ethnologischen Museen, den Fachabteilungen von Mehrspartenmuseen sowie den universitären Sammlungen die Bezeichnung >Völkerkunde< nach wie vor vorherrschend (z.B. Dresden, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Leipzig, Lübeck, Marburg, Zürich). Interessanterweise ist bei Museen und Sammlungen wiederum die Bezeichnung >ethnologisch< vergleichsweise selten. Was die auf der genannten Übersicht angeführten Institutionen angeht, so findet der Terminus zum einen in Berlin Verwendung (Ethnologisches Museum), zum anderen für die ethnologischen Universitätssammlungen in Göttingen und Tübingen (in Tübingen gemeinsam mit >Völkerkunde<), für die ethnologischen Sammlungen des Deutschen Ledermuseums in Offenbach sowie des städtischen Museums Natur und Mensch in Freiburg. Des Weiteren taucht der Begriff >ethnographisch< als Namensbestandteil Schweizer Museen in Genf und Neuchätel auf. Daneben existieren Eigenbezeichnungen, die sich auf Regionen (z.B. Übersee-Museum Bremen; Museum Fünf Kontinente München) oder relevante Persönlichkeiten beziehen (z.B. Linden-Museum Stuttgart, Zusatz: Staatliches Museum für Völkerkunde; Rautenstrauch-Joest-Museum Köln, Zusatz: Kulturen der Welt) sowie, vergleichsweise rezent und zumindest quantitativ ebenfalls nicht dominant, die Begriffe >Welt<, >Kultur< bzw. Kombinationen aus beiden (z.B. Museum der Kulturen Basel, Weltmuseum Wien, Weltkulturen Museum Frankfurt, Museum Weltkulturen Mannheim). Mit dem Haus der Völker und Kulturen der Steyler Missionare in Sankt Augustin gibt es im Rahmen der genannten Aufzählung zudem ein Museum, das Bestandteile aus den unterschiedlichen Bezeichnungstendenzen seit geraumer Zeit in seinem Namen kombiniert. Vertreten ist der Begriff >Völkerkunde< weiterhin im Namen der sowohl ethnologische Museen als auch Universitätsabteilungen vereinenden Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde. Allerdings ringt auch die DGV seit ihrer Entstehung sowohl mit dem eigenen Namen als auch mit ihrem Aufgabenportfolio. Die DGV war 1929 zunächst als Gesellschaft für Völkerkunde gegründet worden, wobei zur Gründerzeit von namhaften Vertretern gerade keine Begrenzung auf außereuropäische Gesellschaften, sondern die Erforschung aller Erdgebiete »unter Einschluß Europas und unter Berücksichtigung aller Zeitperioden« angestrebt war. Der Zusatz >Deutsch< wurde 1929 noch abgelehnt und erst 1936 zum Namensbestandteil der Gesellschaft. Bestrebungen, statt >Völkerkunde< das Fremdwort >Ethnologie< zu verwenden, lassen sich bereits für die 1930er Jahre feststellen und wurden seitdem immer wieder einmal, wenn auch bisher ohne Erfolg zur Abstimmung gebracht. Mit einer Dichotomie >alt</>neu<, dies gilt es zu betonen, ist die Verwendung der Begriffe >Völkerkunde</>Ethnologie< nicht gleichzusetzen. Zur Entstehungszeit der Ethnologie als akademischer Disziplin liefen beide Bezeichnungen parallel, wie neben den Völkerkundemuseen z.B. die aus dem Jahre 1869 stammenden Namensgebungen Zeitschrift für Ethnologie oder auch Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte zeigen. Während Umbenennungen von Universitätsabteilungen außerhalb der Alma Mater nur selten für Aufsehen sorgen, wurde die Neubezeichnung völkerkundlicher Museen immer wieder kontrovers diskutiert. [...]
 
Dies ist ein Auszug aus: Quo vadis, Völkerkundemuseum?, von Michael Kraus und Karoline Noack.

Titel: Quo vadis, Völkerkundemuseum?
Untertitel: Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten
Herausgeber: Michael Kraus, Karoline Noack
Reihe: Edition Museum, Band 16
Verlag: transcript Verlag
Bielefeld, 2015
ISBN 9783837632354 / ISBN 978-3-8376-3235-4
Broschur, 15 x 23 cm, 378 Seiten

Kraus, Michael und Noack, Karoline im Namibiana-Buchangebot

Quo vadis, Völkerkundemuseum?

Quo vadis, Völkerkundemuseum?

Quo vadis, Völkerkundemuseum? Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten