Kriegsgeschichten aus Südwestafrika, von Gottreich Hubertus Mehnert
Schutztruppenreiter Gottreich Hubertus Mehnert, seit 1904 in Deutsch-Südwestafrika, schrieb seine Erlebnisse in Tagebüchern nieder. Kriegsgeschichten aus Südwestafrika ist die erste Publikation auf deren Grundlagen.
[…] Unser Marsch führt uns nach Epukiro, das am Rande des zur Zeit wasserlosen Sandfeldes liegt. Auf der neunzehn Kilometer langen Strecke von Okahandja bis Otjosasu sehen wir mehr als 150 Tierleichen. Auf dem Friedhofe der Missionsstation in Otjosasu steht am Grabe, des in Oviumbo gefallenen Hauptmanns von Bagenski, ein Reiter von unserer Staffel und spricht ein stilles Gebet. Er kannte seinen Hauptmann schon in Deutschland. Stein auf Stein schleppt er auf das Grab, nicht nur um es vor wilden Tieren zu schützen, nein auch vor der Wut der Hereroweiber! Wir reiten in Owikokorero ein. Vor uns fliegen Aasgeier hoch. Ein Schakal drückt sich in die Büsche. Rechts unter den alten Bäumen liegen Mannschaften. Ein Sanitäter meldet: „Owikokorero belegt mit fünfzig an Typhus erkrankten Mannschaften und einem Sanitätsgefreiten“. Gleichzeitig bittet er den Leutnant inständig, alles in der Staffel vorhandene Brot sammeln zu lassen, damit seine Kranken nicht verhungern. Was ein Elend. Wir werfen einen kurzen Blick in das Lager. In Reih’ und Glied liegen die Ärmsten unter den Bäumen, von aller Welt verlassen, totkrank, oft zwei Mann unter einer Decke, aber alle, ohne Ausnahme, mit dem Gewehr im Arm. Typhus, Hunger, die obdachlose Lage und der Feind bedrohen die Kranken, deren Mut und Kampfwille jetzt erschüttert ist. Sie haben kein Bett, keine Arzneimittel, keinen Arzt und keinen Proviant. Wer nicht gerade vom Fieber geschüttelt wird, unterhält mühsam ein Feuer oder holt, mit dem Gewehr auf dem Rücken, zweihundert Meter weit, eine Qual für den entkräfteten Mann, das zu kühlenden Umschlägen nötige Wasser heran. Uns treten die Tränen in die Augen. Mit einem leeren Sack in der Hand reitet der Leutnant unsere Staffel ab. Da ist nicht einer von uns, der auch nur ein kleines Stückchen Brot zurückbehalten möchte. Arme, liebe, brave Kameraden! Weiter geht unser Marsch. In offener Landschaft liegt eine kleine Buschgruppe mit Baumbestand. Unter einem Laubbaume, der seine Äste tief zur Erde neigt, eine Leiche. Ein altes Hereromütterchen in vollem Schmuck mit der dreizipfeligen Haube und den schweren Beinpanzern. Mit dem langen Stock, der neben ihr liegt, hat die Sterbende sorgfältig das Laub zur Seite gekratzt, um sich zur letzten Ruhe zu betten. Ihre gestreckte Lage, ihre Gesichtszüge verraten, daß hier eine Aristokratin ihres Volkes verschieden ist. Wir befinden uns auf dem Wege den der Feind ins Sandfeld einschlug. Tierleichen liegen zur Seite der Pad, stellenweise Kadaver an Kadaver. In eine fast undurchsichtige Staubwolke gehüllt, quälen wir uns mühsam bis zur nächsten Wasserstelle, um dann dort auf einer Warntafel zu lesen: Typhus! Unabgekochtes Wasser zu trinken verboten! Estorff. Auch das noch! Aber die Durstqualen sind größer als die Angst vor dem Typhus. Nicht alle bringen die Willenskraft auf um abzuwarten, bis das abgekochte Wasser einigermaßen abgekühlt ist. In einer aus einem Baumstamm hergestellten Hererotränke erhalten die Tiere das unabgekochte Wasser. Als das letzte Gespann von der Wasserstelle abrückt, kommt eine halbverdurstete Patrouille zum Brunnen. Schnell schnallen die Reiter ihre Zügel zusammen und lassen den Futterbeutel in die Tiefe des fast leergeschöpften Brunnens hinunter. Beim Anziehen hängt der Beutel fest. In der Schlinge hängt der Fuß einer Hereroleiche. Wir tranken den Typhus! Der Oberveterinär ist das erste Opfer. In einer der folgenden Nächte führt das Fieber seine Phantasie in die Heimat. „Mutter, Mutter!“ ruft er und dann den Namen seiner Braut. Ich halte die Wache und suche ihn zu beruhigen. Bald wird er still. Das hässliche, schrille Lachen einer Hyäne schreckt den kranken Kameraden hin und wieder auf. Am Morgen schaufeln wir ihm das Grab in fremder Erde. Noch mancher Kamerad unserer Staffel folgt ihm in den folgenden Wochen. Welch furchtbare Ernte aber der Tod im Sandfelde gehalten hatte, das sollten wir sehen, als wir von Epukiro abkommandiert wurden, um der im wasserlosen Sandfelde (Omaheke) befindlichen Truppe des Hauptmann Klein zur Hilfe zu eilen. Die Abteilung sollte die ins Sandfeld geflohenen Hereros verfolgen und war dort selbst vom Durst-, Hunger- und Typhustode überrascht worden, noch ehe sie den Kampf mit den Hererogruppen aufnehmen konnte. […]
Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Kriegsgeschichten aus Südwestafrika, von Gottreich Hubertus Mehnert.
Titel: Kriegsgeschichten aus Südwestafrika
Untertitel: Ein Pionier erzählt aus seinem Leben
Autor: Gottreich Hubertus Mehnert
Herausgeber: Bernd Kroemer
Glanz & Gloria Verlag
Windhoek, Namibia 2006
ISBN 9991668608 / ISBN 99916-68-60-8
Broschur, 15x21 cm, 116 Seiten, 22 sw-Fotos und Abbildungen
Mehnert, Gottreich Hubertus im Namibiana-Buchangebot
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