Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen: Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, von Jakob Zollmann
Aus der Einleitung zu: Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen: Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, von Jakob Zollmann.
War der koloniale Staat ein schwacher Staat? War koloniale Herrschaft schwache Herrschaft? Die Frage ist verschiedentlich gestellt worden, und mit Blick auf die weiten zu kolonisierenden Räume, in denen der Kolonialstaat kaum präsent war, die knappen Kolonialkassen und die Strategien jener, die es zu kolonisieren galt, ist wiederholt von einem „weak government" oder „embryo government" in den Kolonien die Rede gewesen. Eben dieser „nicht starke" Kolonialstaat ist aber auch als „frühfaschistischer", gleichwohl „nicht allmächtiger" „Überwachungsstaat", mit dem Ziel „totaler Kontrolle" geschildert worden, dem eine Vorläuferfunktion für die nationalsozialistische Herrschaftspraxis zukäme. Ein Verweis auf die Gewalttätigkeit seiner Amtsträger, die fatalen Folgen nicht nur für jene, die ihnen entgegentraten, sondern auch für viele jener, die überhaupt mit dem Kolonialstaat in Kontakt kamen, soll dieses Urteil begründen. Bei aller unbestrittenen Brutalität des Kolonialstaats gelang seinen Akteuren die versuchte „Pazifizierung und Ordnung" der zu kolonisierenden Gebiete für die europäischen Mächte bis in das 20. Jahrhundert hinein nur unzureichend. Das vorliegende Buch analysiert einen solchen Versuch und zeigt seine Grenzen auf. Eine Geschichte der Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika (DSWA - heute Namibia) zu schreiben heißt, jenen Teil des Kolonialstaats in den Blick zu nehmen, der, neben dem Militär - der „Schutztruppe" -, nicht allein für die „Sicherheit und Ordnung" der kolonialen Ansiedler bestimmt war, sondern dem „Kolonialstaat" Präsenz im zu kolonisierenden Raum verschaffen, ihn dort im Bewusstsein der zu Kolonisierenden verankern sollte. Etwa 25 Jahre lang (1890-1915) versuchten „Ordnungskräfte", das Gebiet unter deutsche Kontrolle zu bringen. Doch der Anspruch und das sich aus den Quellen ergebende Bild klaffen weit auseinander. Während DSWA nach Beendigung der Kriege gegen Herero und Nama (1904-07) als „vollständig befriedete" Kolonie, als ein „Ordnungsstaat" nach europäischem Muster beschrieben wurde, sprechen die Polizeiakten der Windhoeker Behörden eine andere Sprache. Den Siedlern „Sicherheit" zu gewähren, traute sich der Kolonialstaat nur innerhalb einer „Polizeizone" zu, und selbst dort machten „Viehdiebe" und „Räuberbanden" ihnen das Leben schwer. Außerhalb dieser Polizeizone hatte die deutsche Kolonialmacht in dem formal unter ihrer Kontrolle stehenden Gebiet nicht nur keine Kontrolle, sondern häufig nicht einmal Einfluss.
Zum Forschungsstand
Es war still geworden um die deutsche Kolonialvergangenheit - selten nur erschien eine Veröffentlichung mit wissenschaftlichem Anspruch. Die bedeutendsten unter diesen waren H. Bleys bahnbrechende Studie über die deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika (1968), K. Hausens Untersuchung über Kamerun als deutsche Kolonie (1970) sowie T. v. Trothas Arbeit „Koloniale Herrschaft" über die deutsche Herrschaftsaufrichtung in Togo (1994). Noch weniger Beachtung fanden die Spezifika eines deutschen Kolonialrechts. Eine englischsprachige Gesamtdarstellung zum Kolonialrecht etwa erwähnte lediglich die Einführung des deutschen Zivilrechts in DSWA und Neu-Guinea - mit einem Halbsatz. Noch jüngst hieß es, dass das Recht als Instrument kolonialer Herrschaftssicherung von den Historikern vernachlässigt wurde. Doch erfreuen sich koloniale Themen seit einigen Jahren eines wachsenden Interesses - nicht nur unter Historikern, sondern auch unter Juristen in Deutschland. Hinzu kommt eine ungeahnte Aktualität durch eine Entschädigungsklage einiger Ovaherero-Gruppen gegen die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Firmen aus dem Jahre 2001. Der Kolonialismus steht mit einer gewissen Plötzlichkeit einem beachtlichen Interesse auch einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber. Eine deutsche Besonderheit ist dies nicht. In Frankreich werden seit Jahren koloniale Themen wissenschaftlich wie politisch kontrovers diskutiert. Das Ziel ihrer Untersuchung, den Charakter und das Wirken der deutschen Kolonialherrschaft auszuleuchten, steht bei manchen Autoren unter eindeutigen Prämissen. Schon 1966 hatte H. Drechsler in einem Buch über die Kolonialherrschaft in DSWA den Gewaltaspekt hervorgehoben, ohne das afrikanische Widerstandspotenzial und die sich daraus für die Kolonialverwaltung ergebenden Probleme hinreichend zu beachten. Er begnügte sich mit der Schilderung einer „Ruhe des Friedhofs". J. B. Gewald deutet mit seiner Arbeit zu den „Herero Heroes" schon durch die Titelwahl an, dass seine Forschungen auf der Grundlage von afrikanischen ,Helden' und deren Gegnern beruhen. In Gewalds Lesart beschreiben die Quellen ein Schema von vorkolonialer Blütezeit, Unterwerfung der Ovaherero durch die Deutschen und Wiederauferstehung der Herero-Nation unter südafrikanischer Mandatsherrschaft. Er übersieht damit die Vielschichtigkeit der Allianzenbildung zwischen Afrikanern und Europäern. [...]
Dies ist ein Auszug aus: Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen: Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, von Jakob Zollmann.
Titel: Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen
Untertitel: Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915
Autor: Jakob Zollmann
Reihe: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 191
Herausgegeber: Helmut Berding, Dieter Gosewinkel, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Hans-Peter Ulimann, Hans-Ulrich Wehler
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Göttingen, 2010
ISBN 9783525370186 / ISBN 978-3-525-37018-6
Kartoneinband, 16 x 24 cm, 400 Seiten, 2 Karten
Zollmann, Jakob im Namibiana-Buchangebot
Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen: Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915
Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen: ein facettenreiches Bild der Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915.