Schimpferei auf die Deutschen (1). Erfahrungen von Kaera Ida Getzen-Leinhos während des Kolonialkrieges in Namibia, 1904-1908

Schimpferei auf die Deutschen. Erfahrungen von Kaera Ida Getzen-Leinhos während des Kolonialkrieges in Namibia, 1904-1908

Schimpferei auf die Deutschen. Erfahrungen von Kaera Ida Getzen-Leinhos während des Kolonialkrieges in Namibia, 1904-1908. Erschienen im Afrikanischen Heimatkalender 2004.

Dieser Beitrag von Dag Henrichsen wurde 2004 im Afrikanischen Heimatkalender veröffentlicht: Schimpferei auf die Deutschen. Erfahrungen von Kaera Ida Getzen-Leinhos während des Kolonialkrieges in Namibia, 1904-1908.

Dag Henrichsen

Okahandja, Montag, den 11. Januar 1904: Unter der europäischen Bevölkerung ist Panik ausgebrochen. Augenzeugen zufolge sollen sich Herero Soldaten im Anmarsch befinden. Der Kaiserliche Distriktschef, Oberleutnant Zürn, alarmiert das Gouvernement in Windhoek, worauf der Bezirksamtmann, Bergrat Duft, am Nachmittag mit Soldaten eintrifft. Am Abend erhalten Duft und Zürn von dem Händler Leinhos die Mitteilung, „dass nach den von ihm eingezogenen Erkundigungen bei einer Hererofrau die Bewegung nur den Weißen gelte und der Schlag bald ausgeführt werden sollte." Zürn bestellt daraufhin in Windhoek ein Maschinengewehr. Am nächsten Vormittag fallen die ersten Schüsse im Ort, Herero Soldaten zerstören die Eisenbahn- und Telegraphenverbindungen nach Windhoek und Swakopmund. „Dies", so Duft, „war der Anfang des offenen Aufstandes". (2) Okahandja, vier Monate später. Die ersten größeren Gefechte zwischen deutschen und Herero-Truppen haben östlich von Okahandja stattgefunden, der Ort selbst füngiert inzwischen als provisorisches Hauptquartier des deutschen Militärs. Am 14. Mai erscheinen im Kaiserlichen Distriktsamt der 34jährige Händler Kasper Friedrich Leinhos, geboren im preußischen Schmalkalden, und die 39jährige Ida Maria Getzen, Tochter des Engländers Frederik Green und der Herero Betji Kahitjene, und bestellen ein öffentliches Aufgebot. „In Gemäßheit des Bundesgesetzes [des Deutschen Reiches] vom 4. Mai 1870", so die Aufgebotsurkunde, beabsichtigen beide, „sich miteinander zu verheirathen." Am 22. Mai wird die Ehe vor dem neuen Distriktschef, Leutnant Ziegler, als dritte vom Bezirksamt überhaupt registrierte zivilrechtliche Ehe geschlossen. Unterdessen tritt der Krieg in eine neue Phase ein. Seit Mitte Juni hält sich der neue Oberbefehlshaber der deutschen Truppen, Generalleutnant von Trotha, in Okahandja auf. Die politische Strategie von Gouverneur Leutwein, ,„den Krieg so durch[zu]führen, dass das Volk der Herero erhalten' bleibe, lehnte der neue Kommandeur... ab."(3) Stattdessen bereitet von Trotha eine „Vernichtungsschlacht im europäischen Sinn" (Bley) vor, wozu er umfangreiche Truppenkontingente aus Deutschland anfordert, die in der Waterbergregion konzentriert werden. Hier findet dann in Hamakari im August die sogenannte Schlacht am Waterberg statt, die zwar militärisch kaum erfolgreich ist, allerdings den Zusammenbruch der Hererogesellschaft einläutet.

Frage: Was veranlassten im Mai 1904, mitten im Krieg, einen deutschen Händler und eine Frau mit familiären Beziehungen zu Herero, eine Ehe einzugehen? Wer war der Händler Leinhos, dessen im Januar bei „einer Hererofrau" eingezogene „Erkundigungen" zur Eigendynamik der ausbrechenden Feindseligkeiten zwischen Deutschen und Herero in Okahandja beitrugen? Wer war diese unbekannte Frau und wer war Ida Getzen-Leinhos? Wie schließlich gestaltete sich eine solche im zeitgenössischen Amtsjargon sogenannte „Mischehe"?

Windhoek, drei Jahre später: Das Kaiserliche Bezirksgericht berät über die Scheidungsklage von Ida Leinhos gegen ihren Ehemann. Am 26.September 1907 lehnt das Gericht die Behandlung der Klage mit der Begründung ab, dass die Ehe vom Mai 1904 rückwirkend als rechtsungültig einzuschätzen ist, weil Ida Leinhos „eine Herero" sei und „daher nie eine bürgerliche Ehe zwischen den Parteien bestand[...], sondern eine nach Eingeborenenrecht zu beurteilende Gemeinschaft...". Damit, so das Gericht, kann auch keine Scheidungsklage verhandelt werden. Ida Leinhos wird in dem Urteilsspruch als „Eingeborene" klassifiziert. „Eingeborene", so das Gericht, „sind sämtliche Blutsangehörige eines Naturvolkes, auch die Abkömmlinge von eingeborenen Frauen, die sie von Männern der weissen Rasse empfangen haben, selbst wenn mehrere Geschlechter hindurch nur eine Mischung mit weissen Männern stattgefunden haben sollte.... Die Tatsache allein, dass [Ida Leinhos'] Mutter eine Hererofrau war, ist entscheidend. Die Klägerin folgt dem Recht der Mutter und ist eine Herero geblieben." Obgleich Ida Leinhos ein Berufungsverfahren anstrengt, bestätigt das Kaiserliche Obergericht das Urteil. Ida Leinhos bleibt „Eingeborene" und soll, juristisch gesprochen, von der sich etablierenden Privilegiengesellschaft, die „Nicht-Eingeborenen" vorbehalten bleiben soll, ausgeschlossen werden. Die sogenannten Eingeborenenverordnungen von 1907 verbieten „Eingeborenen" u.a. Landbesitz, das Halten von Großvieh und die Niederlassungsfreiheit. Mit diesem Prozess legt ein Gericht zum erstenmal rechtsverbindlich fest, wer in Deutsch-Südwestafrika als „Eingeborener" und wer als „Weisser" einzustufen ist. (4) In den folgenden Jahren erklärt die Kolonialverwaltung, gestützt auf das Urteil gegen Ida Leinhos, zahlreiche weitere „Mischehen" rückwirkend für ungültig und klassifiziert die betroffenen Frauen und Kinder, mitunter Freunde und Bekannte von Ida Leinhos, als „Eingeborene". Im Folgenden zeige ich anhand der Biographien von Ida und Kasper Leinhos Kriegserfahrungen und alltägliche Handlungsspielräume des Ehepaares auf. Dabei wird sichtbar, dass die kolonialen Kategorien „Deutsche" und „Herero" wie auch der Begriff „Eingeborener" keine eindeutigen Identifikationsbegriffe waren, wie die Verwaltung intendierte. Wenn Ida Leinhos für die Kolonialverwaltung eine „Herero" und „Eingeborene" war, hieß dies nicht, dass sie diese Zuschreibungen und die damit implizierten juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Festschreibungen akzeptierte. Ida Leinhos verstand sich offenbar als Bürgerin einer multikulturellen Gesellschaftsund multipolaren Rechtsordnung. Wiederholt klagte sie jene Privilegien ein, welche „Weißen" vorbehalten und „Eingeborenen" im Sinne einer „containerization" (Mamdani) vorenthalten werden sollten. [wird fortgesetzt]

Dieser Beitrag von Dag Henrichsen 2004 wurde im Afrikanischen Heimatkalender veröffentlicht: Schimpferei auf die Deutschen. Erfahrungen von Kaera Ida Getzen-Leinhos während des Kolonialkrieges in Namibia, 1904-1908.