Geht der Landraub in Namibia weiter? Von Erika von Wietersheim

Geht der Landraub in Namibia weiter? Von Erika von Wietersheim

Geht der Landraub in Namibia weiter? Von Erika von Wietersheim

Der Landreformprozess in Namibia versucht seit über 20 Jahren die ungerechte Landverteilung zwischen Schwarz und Weiß zu beenden. Erika von Wietersheim stellt die Frage ob der "Landraub" weitergeht.

Ein Beitrag von Erika von Wietersheim: Namibia ist seit 1990 unabhängig und wird seitdem von der ehemaligen Befreiungsbewegung SWAPO (South West African Peoples Organisation) regiert. Schon 1991 startete die junge Regierung einen komplexen Landreformprozess, der die ungerechte Landverteilung zwischen Schwarz und Weiß in der ehemaligen deutschen Kolonie und späterem Apartheidstaat verändern sollte. Doch die meisten Nama und Herero, deren Vorfahren von deutschen und südafrikanischen Kolonialmächten ihres Landes beraubt wurden, sind bis heute arm und ohne Land. Das liegt nicht nur daran, dass immer noch ein großer Teil des Besitzes ihrer Ahnen in weißen Händen ist, sondern auch an neuen Formen von Ungerechtigkeit und »Landraub«. In Namibia spricht man offiziell nicht gern von ethnischen Gruppen wie Nama, Herero oder Owambo - zu lange hatte die südafrikanische Apartheidregierung nach dem bewährten Prinzip des Divide et Impera die ethnischen Gruppen in Namibia in verschiedenen »Home-lands« geografisch voneinander getrennt und somit politisch geschwächt. Nach der lang erkämpften Unabhängigkeit im Jahr 1990 wollte man dieser Trennung ein Ende setzen, selbst von Schwarz und Weiß wollte man nicht mehr sprechen und führte Begriffe wie »historisch benachteiligt« (historically disadvantaged) für alle schwarzen Namibier ein. So war auch die erste staatlich organisierte Nationale Landkonferenz im Jahr 1991, die die ungerechte Landverteilung zwischen Schwarz und Weiß in Namibia ansprechen sollte, von einem Geist der Versöhnung, der Gemeinschaft und dem Blick auf die Zukunft geprägt. Die über 500 schwarzen Teilnehmer aus dem ganzen Land fühlten sich vereint in einer gemeinsamen Geschichte von Unterdrückung, Kolonialismus und Apartheid und dem Wunsch, gemeinsam einen neuen, gerechten Staat aufzubauen. In dieser Stimmung wurden auf der Konferenz für den gesamten weiteren Landreformprozess grundsätzliche und tief greifende Entscheidungen getroffen: Nach langen Diskussionen einigte man sich, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und bei der geplanten Landumverteilung aus weißer in schwarze Hand keine Rücksicht auf vorkoloniale Besitzverhältnisse einzelner ethnischen Gruppen zu nehmen. Alle schwarzen Namibier würden gleichberechtigt an einer Landreform teilhaben - nicht zuletzt, um den Armen des Landes eine neue Lebensgrundlage zu schaffen.

Eine Landreform ohne Rücksicht auf die Geschichte Namibias

Kurz gefasst sahen diese Instrumente folgendermaßen aus: Für wohlhabendere schwarze Namibier würde der Staat günstige Anleihen für den Erwerb von Farmen in weißem Besitz zur Verfügung stellen, für ärmere schwarze Namibier würde die Regierung Farmland von weißen Farmern aufkaufen oder, wenn nötig, enteignen, parzellieren und Kleinfarmern auf Antrag zuteilen - allerdings ohne Kredit oder Startkapital. Unter dem Deckmantel der Versöhnung und Gemeinsamkeit verschleierte dieser Beschluss die historische Tatsche, dass schwarze Namibier eine sehr unterschiedliche Geschichte von Landraub und Landverlust haben: Die große Mehrzahl wie die Owambo des Nordens (die die Mehrheit in der SWAPO-Regierung stellen) hatten nie Land an Kolonialherren verloren; nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, nämlich die Herero, Damara, San und Nama, die die spärlich bewohnten zentralen und südlichen Landesteile bewohnten, war direkt von Enteignung und Vertreibung betroffen. Zwar hatten auch die Owambo unter Rassismus und Apartheid und einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg gelitten, aber während die Herero und Nama Stück für Stück ihres Landes an deutsche und später südafrikanische weiße Siedler verloren und sie in den Kolonialkriegen auf einen Bruchteil ihrer Bevölkerung dezimiert wurden, lebten die Owambo relativ unbehelligt in ihren nördlichen sogenannten Kommunalgebieten mit traditionellem Stammesrecht, die bis heute fast 50 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Landes ausmachen. Sie sind deshalb im Allgemeinen auch wohlhabender als die weiter südlich lebenden Völker geblieben, da ihnen ihre Lebensgrundlage, ihr Land, nicht genommen worden war. Eine Landreform ohne Rücksicht auf die Geschichte der einzelnen Völker Namibias würde also einem Großteil der Antragsteller nicht zuvor enteignetes Land zurückgeben, sondern ihnen zusätzliche und neue Möglichkeiten des Landerwerbs mit staatlichen Mitteln eröffnen. Was auf der Konferenz nur vorsichtig, mit Rücksicht auf eine neue »political correctness« angedeutet wurde, benannte kürzlich der bekannte namibische Politikwissenschaftler Joseph Diescho auf einem Vortrag (Januar 2012) ohne Schmuck und Schleier: zentral und emotional sei die Rückgabe von angestammten Land in Namibia nur für die Nama und Herero von Bedeutung, für alle anderen sei sie einfach eine Chance, auf Staatskosten Zugang zu den Ressourcen ihres Landes zu bekommen.

Die zweite Landkonferenz in Namibia

Genau 20 Jahre nach dieser ersten fand im November 2011 eine zweite größere Landkonferenz statt. Die Abteilung Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sowie die Abteilung Afrika der VEM haben die Konferenz mit je 5.000 Euro unterstützt. Dieses Mal war alles anders: die Stimmung, der Initiator, die Zusammensetzung der Teilnehmer. Letztere waren fast ausschließlich Nama und Herero, die meisten arm, die meisten ohne Land. Nicht Versöhnung, sondern heftige Kritik an der Regierung war angesagt, der Blick nicht versöhnlich nach vorn, sondern kritisch und unzufrieden auf die vergangenen zwei Jahrzehnte gerichtet. Als die Nama und Herero nämlich vor 20 Jahren zögerlich zugestimmt hatten, dass die Landreform ohne Rücksicht auf die Landrechte ihrer Ahnen ihren Lauf nehmen würde, taten sie dies mit der Erwartung, dass sie, größtenteils unter den Ärmsten des Landes, dennoch von der Landreform profitieren würden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Zunehmend haben nicht die Armen und Landlosen, sondern gut situierte Regierungsbeamte und Geschäftsleute mit Beziehung zur regierenden SWAPO Partei Farmen bekommen, und im ehemaligen Land der Nama und Herero haben Antragsteller aus dem nördlichen Kavango, Caprivi oder Ovamboland Land erhalten, während bitterarme, seit 100 Jahren in der Region ansässige Familien leer ausgegangen sind oder sogar von dem Land vertrieben wurden, auf dem sie zuvor als Farmarbeiter weißer Farmer gearbeitet hatten.

Sofortige Wende in der Landreform gefordert

Organisator und Initiator der Konferenz war dieses Mal auch nicht die Regierung, sondern die Evangelisch-Lutherische Kirche (ELCRN), unter dem Vorsitz ihres bekannten Bischofs, Zephania Kameeta. Der beliebte »people's bishop« macht sich seit Jahren für die Armen in seinem Land stark. »Viele arme Menschen in Namibia fragen sich: Warum sitzen wir im unabhängigen Namibia mit leeren Mägen, während andere Tausende Hektar Land besitzen und stinkreich geworden sind? Das Verständnis und die Geduld unserer Menschen sind nicht selbstverständlich, und deshalb müssen wir uns doppelt anstrengen, eine Lösung zu finden«, sagte Bischof Kameeta auf der Konferenz und verlangte klar und deutlich eine sofortige Wende im Landreformprozess. Sie solle vorrangig und beschleunigt den Armen des Landes zugutekommen und für die wachsende Zahl der Armen und Arbeitslosen des Landes nachhaltige Lebensmöglichkeiten schaffen. Eindeutige Kriterien für Landvergabe müssten formuliert werden, und zwar zugunsten armer, landloser Menschen oder zugunsten von Kleinbauern in den ehemaligen, oft verarmten »Homelands«. Die Konferenz machte sich damit noch für eine weitere Gruppe Namibier stark, die auf dieser Konferenz kaum vertreten war, nämlich die Kleinbauern der stark bevölkerten nördlichen Kommunalgebiete. Deren Land, von weißen Siedlern unangetastet, gehörte bisher Tausenden Familien aufgrund traditioneller Landrechte. Doch seit einigen Jahren ziehen dort wohlhabende und einflussreiche Geschäftsleute, Farmer und politische Eliten Zäune um riesige Weide- und Anbaugebiete. Sie sichern sich somit große Flächen Land für eigene Belange und drängen die ärmeren Kleinbauern, die dort ohne formale Rechtssicherheit leben, in immer kleiner werdende Randgebiete zurück und nehmen ihnen ihre Lebensgrundlage -ein Prozess, der selbst von Regierungsbeamten als eine neue Art des »Landraubs« bezeichnet wird. Die Konferenz forderte daher weiterhin, dass Kommunalland vor den Übergriffen reicher Farmer geschützt, für die ärmeren Farmer entwickelt und den angestammten Einwohnern ein verbrieftes Recht auf Grund und Boden verliehen wird. Eines der emotionalsten Themen auf der Konferenz war jedoch, was man auf der ersten Landkonferenz 1991 unter den Tisch fallen ließ. Hier kam es 20 Jahre später unverblümt zur Sprache. »Die Menschen im Norden haben nie größere Enteignungen erfahren, und deshalb können nicht alle Namibier, die Land haben möchten, gleich behandelt werden«, so Uhuru Dempers vom Sozial- und Entwicklungsreferat der ELCRN. »Wir können nicht das gesamte Land unserer Vorfahren zurückverlangen, aber man sollte zumindest, wenn Land in einer bestimmten Region vergeben wird, den Antragstellern den Vorzug geben, die Land in dieser Region verloren haben.« Konferenzteilnehmende forderten daher, ein weiteres Kriterium für die Landvergabe hinzuzufügen, nämlich, »dass solche Namibier Vorrang genießen, deren Vorfahren am meisten durch koloniale Landnahme geschädigt worden waren« und beschlossen, juristische Möglichkeiten zu untersuchen, um diese Forderung durchzusetzen.

Würde die Regierung die Konferenz ernst nehmen, müsste sie den bisherigen Landreformprozess ganz neu anschauen und ausrichten. Auf dem bescheidenen Erfolg, dass seit der Unabhängigkeit immerhin fast 20 Prozent des weißen Farmlandes auf friedliche Weise und mit einem Minimum an Farmenteignungen in schwarze Hände gelangt ist, könnte sie sich nicht länger ausruhen. Doch die immer lauter werdende Forderung der zunehmenden Masse der Armen, Arbeitslosen und Landlosen in Namibia, mit Hilfe einer Landreform nicht nur das Land zwischen Schwarz und Weiß umzuverteilen, sondern die Armut und soziale Ungerechtigkeit zu reduzieren, provoziert die Frage: Ist dies in einem Land wie Namibia wirklich möglich? Namibia ist eines der trockensten Länder der Erde, und ein Stück Land im kargen Süden und Zentrum des Landes ist wertlos ohne eine funktionierende Infrastruktur aus Zäunen und Wasseranlagen, ohne ein Grundkapital an Ziegen, Schafen oder Rindern und ohne spezifischen Grundkenntnisse, die es dem Farmer ermöglichen, sein Land produktiv zu nutzen. Übergibt man einer Familie ein Stück Land ohne dieses Zusatzpaket bleibt sie arm. »Menschen brauchen ein Stück Land mit einem legalen Besitztitel sowie Managementtraining, landwirtschaftliche Kenntnisse und eine Infrastruktur«, forderte daher Bischof Kameeta. Doch dafür wäre ein enormer Aufwand an zusätzlichen Finanzen und ausgebildetem Personal nötig. Ob die namibische Regierung den politischen Willen und das nötige Know-how für diesen Schritt besitzt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Mit freundlicher Genehmigung der VEM. Aus dem Magazin der Vereinten Evangelischen Mission 2/2012 In die Welt für die Welt veröffentlicht das Namibiana Buchdepot den Artikel: Geht der Landraub in Namibia weiter? Von Erika von Wietersheim.

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