Das SADC-Tribunal in Namibia: Eine juristische Zwischenbilanz

Die Staatengemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) betreibt seit vier Jahren ihren neuen regionalen Gerichtshof im Gebäude der historischen Turnhalle, Windhoek.

Die Staatengemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) betreibt seit vier Jahren ihren neuen regionalen Gerichtshof im Gebäude der historischen Turnhalle, Windhoek. Simbabwe, ein Gründungsmitglied des Gerichts, ignoriert die regionale Rechtsprechung.

Prof. Dr. Oliver C. Ruppel zieht eine juristische Zwischenbilanz: Nach dem Vorbild des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und vergleichbarer supranationaler Organe der Rechtsprechung wurde das SADC-Tribunal, mit Sitz in Windhoek, Namibia, bereits bei der Gründung der SADC im Jahr 1992 durch Artikel 9 des SADC-Vertrages vorgesehen.

Oliver C. Ruppel

Betrachtet man die Bilanz des seit 2007 betriebsbereiten Tribunals in Bezug auf die Parteien der bislang anhängigen Verfahren, so ist eine klare Tendenz zu erkennen: 17 Verfahren sind oder waren seit der Aufnahme der Tätigkeit des Gerichts anhängig. Keiner dieser Fälle thematisierte Streitigkeiten zwischen Mitgliedsstaaten, bei zwei Fällen handelte es sich um arbeitsrechtliche Streitigkeiten zwischen SADC-Angestellten und spezifischen SADC-Institutionen, während 15 Fälle Streitigkeiten zwischen natürlichen, bzw. juristischen Personen und einzelnen Mitgliedsstaaten betrafen.

Es ist durchaus bezeichnend, dass der bislang prominenteste Fall, den das Gericht zu beurteilen hatte, weniger die wirtschaftliche Integration im südlichen Afrika per se, sondern vielmehr Fragen nationaler Missstände, in diesem Falle von Menschenrechtsverletzungen und deren Vereinbarkeit mit den Rechtsgrundsätzen der SADC thematisierte. Dies macht deutlich, dass auf dem Weg zur wirtschaftlichen und politischen Regionalintegration die Konformität von allgemeinem nationalem Recht mit dem Recht der SADC-Gemeinschaft, welches Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Achtung von Menschenrechten propagiert, eine zentrale Rolle spielt.

Die SADC-Mitgliedsstaaten unterscheiden sich eben nicht nur in Fläche, Bevölkerungszahlen oder Bruttonationaleinkommen pro Einwohner erheblich voneinander, auch die Pluralität von anzuwendenden Rechtssystemen sowie die gesamte politische Situation sind durchweg uneinheitlich. Ein Blick auf die Indizes der menschlichen Entwicklung, die vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) seit 1990 veröffentlicht werden, reflektiert die Heterogenität der verschiedenen SADC-Mitgliedsstaaten beispielhaft: Während UNDP in dem Bericht 2007/2008 den sogenannten Human Development Index (HDI) für 2005 für Mauritius mit 0,804 bezifferte (entspricht einem Rang 65 von 177 Ländern) kursierte Simbabwe bereits zum damaligen Zeitpunkt mit einem HDI von 0,513 auf Rang 151 von 177 Ländern. Es erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass dieser Wert aufgrund der jüngsten Entwicklungen mittlerweile noch um ein vielfaches gesunken sein dürfte.

Der Farmer William Campbell hat 2007 gegen die Republik von Simbabwe wegen rassenpolitisch motivierter Landreform geklagt, um seine Rechte wegen der Verletzung der Verfassung Simbabwes, sowie des SADC-Vertrages geltend zu machen und hat, gemeinsam mit seinen 78 Nebenklägern, vor dem SADC-Tribunal am 28. November 2008 obsiegt. Hintergrund des Rechtsstreites bildete die auf das Jahr 2005 zurückgehende Verfassungsänderung, die durch den damaligen und jetzigen Machthaber Robert Mugabe in Simbabwe auf den Weg gebracht wurde. Das entsprechende Gesetz zur Verfassungsänderung (The Constitution of Zimbabwe Amendment Act No. 17 of 2005) sieht unter anderem vor, dass Farmland grundsätzlich ohne Zahlung einer Entschädigung enteignet werden kann und dass enteignete Landbesitzer keine Möglichkeit haben, derartige Enteignungen vor nationalen Gerichten anzufechten.

Aufgrund dieses Gesetzes wurde ein Großteil der rund 40000 weißen Farmer in Simbabwe zwangsweise enteignet und das Land umverteilt. Mit der Begründung, eine Landumverteilung sei notwendig, um koloniale Ungerechtigkeiten in Bezug auf Landeigentum zu korrigieren, nach denen das beste Land den Weißen vorbehalten war, war den enteigneten Farmern für den Verlust ihres Eigentums keine Entschädigung bezahlt worden. Schließlich sei das Land der einheimischen (schwarzen) Bevölkerung zu Kolonialzeiten „gestohlen“ worden. Lediglich einzelne Baumaßnahmen und andere Investitionen, die auf dem enteigneten Farmland durchgeführt worden waren, wurden vereinzelt geringfügig vergütet.

Mit Urteil vom 28. November 2008 hat die Mehrheit der verbescheidenden (und allesamt schwarzen) Richter des SADC Tribunals zugunsten der Kläger entschieden. Nach Klarstellung der seitens der simbabwischen Regierung angezweifelten Zuständigkeit des SADC Tribunals, stellt das Urteil fest, dass den Klägern in Harare der Zugang zu den Gerichten unrechtmäßig verwehrt wurde, dass Robert Mugabes Landreform diskriminierend gegen Weiße sei und damit gegen das Diskriminierungsverbot des Artikel 6 (2) des SADC-Vertrages verstoße. Dieser verbietet unter anderem jegliche Art von Diskriminierung aufgrund Rassenzugehörigkeit und ethnischer Abstammung.

Des Weiteren stellt das SADC Tribunal in seinem Urteil fest, dass die simbabwische Regierung im Falle von bereits vollzogenen Enteignungen dazu verpflichtet ist, angemessene Enteignungsentschädigung zu leisten. Insbesondere die neue Regelung in der Verfassung Simbabwes, welche den Enteigneten das Recht verweigert, die Rechtmäßigkeit der Enteignung gerichtlicher Überprüfung zu unterziehen und die Regierung davon befreit, Enteignungsentschädigung leisten zu müssen, wurde als unrechtmäßig und gemeinschaftswidrig im Sinne des SADC-Vertrages angesehen.

Wenngleich die einschlägige Verfassungsnorm sich nicht ausdrücklich gegen weiße Farmer richtet, ist zumindest deren Zielrichtung und in jedem Fall die Umsetzung indirekt durch rassendiskriminierende und damit willkürliche Auswahlkriterien geprägt, so der scheidende mosambikanische Gerichtspräsident des SADC-Tribunals Dr. Luis Mondlane. Das ergangene Urteil verpflichtet die simbabwische Regierung, die Räumungsbescheide gegen die weißen Farmer mit sofortiger Wirkung aufzuheben, beziehungsweise in den Fällen, in denen die Farmer ihren Grundbesitz bereits verlassen und freigegeben haben, diese bis zum 30. Juni 2009 angemessen zu entschädigen.

Bereits wenige Tage nach der Urteilsverkündung teilten Regierungssprecher von Robert Mugabe mit, man werde das Urteil des SADC Tribunals zugunsten der 79 weißen Farmer nicht akzeptieren und die Landreform ungehindert fortsetzen. Dies wurde unlängst nicht nur durch den für die simbabwische Landreform zuständigen Minister Didymus Mutasa bestätigt, darüber hinaus wurde das Urteil des SADC Tribunals sogar seitens des zweithöchsten Richters Simbabwes, dem Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes, Luke Malaba, für nichtig erklärt. Aber was will man von einem Rechtssystem, in dem die Gesetzesmäßigkeit bereits vor Jahren außer Kraft gesetzt wurde, auch anderes erwarten?

Viel bedeutsamer erscheint die Frage nach Folgen oder Sanktionen, insbesondere für den Fall, dass einzelne Mitgliedsstaaten Entscheidungen des Gerichts, wie im Fall Campbell, nicht umsetzen. Im SADC-Vertrag steht geschrieben, dass die Urteile des SADC-Tribunals endgültig und für die Parteien des Rechtsstreites bindend sind. Die Durchsetzung der Urteile des SADC-Tribunals erfolgt jedoch grundsätzlich nach Maßgabe des Prozessrechts desjenigen Staates, in dem das Urteil zu vollstrecken ist. Ohne Zweifel stellt man in Simbabwe die Bindungswirkung des Campbell-Urteils in Frage. Das SADC-Tribunal hat nun selber die Möglichkeit, Fälle von Nichtbefolgung seiner Entscheidungen dem höchsten Organ der Staatengemeinschaft, der SADC-Gipfelkonferenz (SADC Summit) vorzulegen, damit diese geeignete Maßnahmen ergreift. Bereits einmal hat das SADC-Tribunal im August 2008 – jedoch leider vergebens - diesen Weg gewählt, als dessen einstweilige Anordnung, wiederum im Fall Campbell, seitens der simbabwischen Regierung unterwandert wurde.

Die SADC Führung verhielt sich damals ebenso zurückhaltend wie bisweilen insgesamt in Bezug auf die Krise in Simbabwe und darin liegt wohl auch die Hauptschwäche des Tribunals (oder vielmehr der SADC-Gemeinschaft). Als das oberste Rechtsprechungsorgan innerhalb der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft erscheint es mehr als angemessen, dass die SADC-Mitgliedsstaaten die Entscheidungen des Tribunals respektieren und durchsetzen. Nachdem das Tribunal über Rechtsstreite zwischen SADC-Mitgliedsstaaten sowie zwischen natürlichen und juristischen Personen und SADC-Gebietskörperschaften entscheidet, wird es immer wieder Entscheidungen geben, die für einzelne Mitgliedsstaaten unbequem sind.

Zahlreiche der bislang beim SADC Tribunal anhängigen Fälle befassen sich mit innerstaatlichen, d.h. mit national ausgeprägten Missständen, wie zum Beispiel mit Menschenrechtsverletzungen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist in seiner jetzigen Ausprägung als ständig tagendes Gericht auch erst seit 1998 in Betrieb. Er wird als Vergleichsbeispiel hier angeführt, weil auch er mangels Exekutivbefugnis nur Restitutionen in Form von Entschädigungszahlungen verhängen kann. Darüber hinaus variiert die Bindungswirkung der Rechtsprechung des EGMR in den unterschiedlichen Rechtsordnungen der Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). So sind Urteile des EGMR in Deutschland lediglich eine Auslegungshilfe der Konvention. Selbst wenn der EGMR einen Menschenrechtsverstoß durch die Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat, wird dadurch nicht automatisch die Rechtskraft nationaler Entscheidungen (z.B. ein Urteil) beseitigt. Auch hier verpflichten sich die EMRK-Vertragsparteien lediglich, gleich der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft im Zusammenhang mit dem SADC-Tribunal, die Entscheidungen des Gerichtshofs zu befolgen. Was soll uns dieses Beispiel verdeutlichen? Es gibt zwar kein simbabwisches Gesetz, welches die Regierung an die Entscheidung des SADC-Tribunals bindet, allerdings müsste der davon ausgehende politische Druck der ohnehin angeschlagenen Mugabe-Regierung völkerrechtlich zu schaffen machen.

Gäbe es zum jetzigen Zeitpunkt ein simbabwisches Gesetz, welches die Regierung an die Entscheidung des SADC-Tribunals bindet, würde das momentan wohl auch nicht vielmehr Rechtssicherheit für die enteigneten weißen Farmer bedeuteten. Nichts desto trotz stellt es einen Affront gegen die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft dar, sich den Anordnungen des SADC-Tribunals zu widersetzen und es wäre wünschenswert, dass die anderen Mitgliedsstaaten im SADC-Staatenbund auf diesen Affront reagieren.

Wie wirkungsvoll die Entscheidungen des obersten SADC-Gerichts in Zukunft umgesetzt werden hängt auch davon ab, wie die SADC-Staatengemeinschaft im Fall des ergangenen Campbell-Urteils reagieren wird, sollte Mugabe weiterhin nicht einlenken.
Solange nationales Souveränitätsdenken den Grundsätzen regionaler Integration geduldeter maßen vorangestellt wird, bleiben dem SADC-Tribunal - außer auf dem Papier - nur wenig Möglichkeiten, seinen Entscheidungen Nachdruck zu verleihen. Um den Integrationsprozess innerhalb der SADC-Region jedoch voranzutreiben und die Rechtsprechung auf Bereiche auszuweiten, die bisweilen im Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten liegen, kann der Schutz der Menschenrechte nicht nur als Prüfmaßstab für Rechtssetzungsakte der Gemeinschaftsinstitutionen herangezogen werden, sondern muss sich früher oder später auch an die mitgliedsstaatliche Gesetzgebung richten.

Die Frage, „was innerhalb der Rechtssetzungskompetenz der Mitgliedsstaaten liegt“, sollte durch die Frage „was im Interesse der SADC-Gemeinschaft ist“ ersetzt werden, um einen Wandel der Kompetenzzuschreibung herbeizuführen. Um dem Zielparadigma eines transnationalen, effizienten SADC-Wirtschaftssystems besser gerecht zu werden, ist eine gewisse Verschmelzung der Rechtssysteme unabdingbar, d.h. ein kohärentes Rechtssystem und Rechtsschutzsystem bleibt zu erarbeiten. Bei dieser Aufgabe bewegt sich das SADC-Tribunal in einer Grauzone zwischen Rechtsanwendung und Rechtssetzung.


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