27.04.2015

Rezension: Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit

Rezension: Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit. (Dr. Henning Melber)

Rezension: Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit. (Dr. Henning Melber)

In seiner Rezension von Dr. Henning Melbers neuem Buch, Namibia: Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit, würdigt Thomas Christiansen, Hochschullehrer am Polytechnic of Namibia, einen der konsequentesten Kritiker chronischer Mißstände in der ehemaligen deutschen Kolonie.

Wenn ein Autor kurz nacheinander jeweils ein Buch in englischer und eines in deutscher Sprache zum Rahmenthema „Entwicklung Namibias seit der Unabhängigkeit“ veröffentlicht, dann liegt die Vermutung nahe, dass letzteres lediglich eine deutsche Fassung des englischen Buches ist. Um dies gleich vorwegzunehmen: das ist es nicht. Natürlich gibt es einige inhaltliche Überschneidungen, aber „Namibia: Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit“ ist ein eigenständiges Buch mit (zumindest zu großen Teilen) anderen inhaltlichen Schwerpunkten und auch an eine andere Zielgruppe gerichtet. Dies sind vor allem deutschsprachige Leser im Ausland, die an Namibia interessiert sind, sowie die Community der deutschsprachigen Namibier und der in Namibia lebenden Deutschen.

Umgang mit Geschichte
Im Unterschied zu Henning Melbers „Understanding Namibia“, das sich eher an eine internationale Leserschaft richtet, enthält dieses Buch verschiedene Kapitel, die speziell für deutsche Leser von Interesse sind. So analysiert das erste Kapitel „Im Schatten des Völkermordes: Deutsch-namibische Beziehungen“ das auf Grund der kolonialen Vergangenheit recht komplizierte Verhältnis zwischen den beiden Ländern. Im achten Kapitel „Schauplatz Windhuk: Das Gestern und Heute - ein Stadtbummel“ nimmt Melber den Leser mit auf einen ausgesprochen informativen virtuellen Rundgang durch Windhuks koloniale und nachkoloniale Vergangenheit. Im neunten Kapitel „Der ver-rückte Reiter: Zum Umgang mit unerledigter Geschichte“, setzt sich der Autor ausführlich (und wie üblich sehr kritisch) mit der Geschichte des Reiterdenkmals auseinander, von seiner Errichtung im Jahre 1912 bis zu seiner Versetzung in den Innenhof der Alten Feste am Abend des 25. Dezembers 2013. Es sind sicher vor allem diese ‚deutschen' Kapitel des Buches, die für das deutschsprachige Zielpublikum des Buches von besonderem Interesse sind.

Namibische Präsidialdemokratie
Von den übrigen Kapiteln sind, nach Ansicht des Rezensenten, vor allem das Kapitel „Allmächtige und ohnmächtige Präsidenten“, „Fremdenverkehrswelten: Dem Reiseland hinter die Kulissen geschaut“ sowie das letzte Kapitel „Quo vadis Namibia?“ besonders lesenswert. In „Allmächtige und ohnmächtige Präsidenten“ untersucht Melber die verfassungsrechtliche Stellung des Präsidentenamtes in der namibischen Präsidialdemokratie und die sich hieraus ergebenden Handlungsspielräume. Er analysiert in einem kritischen Rückblick, wie deutlich unterschiedlich Sam Nujoma und Hifikepunye Pohamba ihr Amt interpretiert und genutzt haben. Das Kapitel schließt mit einer hochaktuellen Einschätzung des neuen Präsidenten Hage Geingob und seines „Team Hage“. Nach Melbers Meinung wird Hage Geingob das Amt des Präsidenten deutlich aktiver und offensiver interpretieren als sein Vorgänger Pohamba. Die ersten (recht deutlichen) Akzente, die Geingob inzwischen gesetzt hat, scheinen Melbers Einschätzung bereits zu bestätigen. Nicht alle Teile des Buches wurden von Grund auf neu geschrieben. An verschiedenen Stellen, insbesondere für die oben angeführten ‚deutschen' Kapitel, verwendet Melber bereits früher veröffentlichte (eigene) Beiträge in überarbeiteter Form. Das Buch ist daher auch kein typisches „Textbook“ mit stringent aufeinander aufbauenden Kapiteln. Es ist vielmehr eine Art Aufsatzsammlung zu verschiedenen, inhaltlich teilweise nicht direkt zusammenhängenden Themen.

„Advokatus Diaboli“
Henning Melber ist in Namibia bekannt als hochkompetenter, aber ausgesprochen kritischer Intellektueller, der sich regelmäßig in Interviews, Zeitungsartikeln und Vorträgen zu Wort meldet und sehr deutlich Stellung zu aktuellen politischen Themen und Entwicklungen im Lande bezieht. Auch mit diesem neuen Buch wird er seinem Ruf als kritischer ‚Advocatus diaboli' gerecht, der sich nicht scheut, die Erfolgsmeldungen der Regierung zu (durchaus ja vorhandenen) positiven Entwicklungen im Lande zu relativieren, in dem er immer wieder auf Fehlentwicklungen und verpasste Chance hinweist. Seine Kritik ist dabei in der Sache immer gut belegt, aber die sehr direkte Art, mit der Melber seine Kritik an manchen Stellen anbringt, wird manch Betroffenem (die Kritisierten werden im Buch durchaus mit Amt und Namen benannt) recht sauer aufstoßen. Seine kritischen Äußerungen beschränken sich dabei nicht nur auf die ehemaligen SWAPO ‚Comrades'. Melber verteilt seine Kritik gleichmäßig nach allen Seiten und nimmt auch deutsche Politiker, deutsche Botschafter, Teile der Leserschaft der AZ (Allgemeine Zeitung, Winddhoek) und auch die AZ Redaktion nicht davon aus.

Gewandelter Kritiker
Wie schon bei „Understanding Namibia“ wird deutlich, dass Melber auch "Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit" mit ‚heißem Herzen' geschrieben hat, worunter zwangsläufig die kritische Distanz etwas leidet, die man üblicherweise von Wissenschaftlern erwartet. Dies mag man durchaus kritisieren. Aber für den Autor, der vierzehn Jahre im Exil auf Namibias Unabhängigkeit warten musste und der sich dann nach der Unabhängigkeit im Laufe der Jahre allmählich von einem aktiven Unterstützer der namibischen Befreiungsbewegung zu einem der schärfsten Kritiker der SWAPO gewandelt hat, kann Namibia verständlicherweise nicht einfach irgendein Forschungsobjekt sein. Namibia ist vielmehr ein wesentlicher Teil Henning Melbers eigener Identität und Geschichte und es ist auch, daran lässt das Vorwort des Autors keinen Zweifel, ein geplatzter Lebenstraum, den das Buch aus der ganz persönlichen (und damit unvermeidlich subjektiven) Sicht des Autors rückblickend reflektiert. Unter solchen Umständen strikte Objektivität und kritische Distanz zu wahren, ist wohl kaum möglich.

Fazit: Ist das Buch lesenswert und, wenn ja, für wen ist es besonders interessant? Melber ist, das werden auch seine Gegner kaum bestreiten, der Wissenschaftler mit dem weltweit wohl umfassendsten Wissen zur politischen und sozialen Entwicklung Namibias. Henning Melbers Bücher und Artikel sind, auch wenn man persönlich nicht immer mit allen Aussagen übereinstimmt, stets exzellent recherchiert, dabei immer auch sehr gut lesbar und verständlich. Dies galt schon für „Understanding Namibia“ und dies gilt auch für sein neues Buch, wobei das letztere das erstere weder ersetzen kann noch soll, sondern vielmehr hervorragend ergänzt. Für alle, die sich intensiv mit der namibischen Geschichte und der komplizierten deutsch-namibischen Vergangenheit auseinandersetzen wollen oder müssen, ist das Buch, Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit,  daher ein ‚Muss'!

Thomas Christiansen, Windhoek

Mit freundlicher Genehmigung der Allgemeinen Zeitung in Windhoek (Namibia), veröffentlicht das Namibiana Buchdepot die Pressemeldung: Rezension: Namibia. Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit.

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