Weiße Schatten, von Lewis Nkosi

Weiße Schatten, von Lewis Nkosi. Deutscher Taschenbuch Verlag. München, 2008. ISBN 9783423131032 / ISBN 978-3-423-13103-2

Weiße Schatten, von Lewis Nkosi. Deutscher Taschenbuch Verlag. München, 2008. ISBN 9783423131032 / ISBN 978-3-423-13103-2

Lewis Nkosis beklemmender wie erotisch aufgeladener Gefängnisroman aus den 1980er Jahren Südafrikas, gehört zu den eindringlichsten literarischen Anklagen gegen Rassismus.

Lewis Nkosi  

In ein paar Tagen werde ich sterben. Merkwürdig, aber der Gedanke schockiert mich nicht noch macht er mir Angst. Was ich in diesen Tagen am häufigsten empfinde, ist eine Art Betäubung, ein völliger Mangel an persönlicher Betroffenheit, als sei ich ein Außenseiter, der die letzten Tage im Leben eines anderen Mannes beobachtet. Morgens stelle ich mich an das kleine vergitterte Fenster und blicke zum Himmel hinauf, der um diese Jahreszeit von sagenhaftem Blau ist, die Luft ist klar, so hart wie Frost, das Sonnenlicht flimmert sanft. Es blendet das Auge, es verwirrt. Manchmal steigt eine Schar Vögel in den Himmel, ihre Flügel schlagen wild, dann paaren sie sich dort oben in Freiheit, im weiten Raum, umklammern sich freudig in der hellen Luft, als gelte es das liebe Leben. Dann aber, wenn das Männchen den Samen nicht mehr zurückhalten kann, versucht es, ihn dem Weibchen einzuspritzen, und zielt daneben, so daß man den blassen Samen durch die Luft tröpfeln sieht, während das Weibchen ausgelassen kichert. Jeden Morgen dasselbe Schauspiel. Die balzenden Vögel krächzen, sie schwirren und wirbeln vor meinem Fenster, und der Duft eines frischen Frühlings schärft die Luft mit seiner üppigen, beißenden Hoffnung. Trotzdem sind es vor allem die sich im weiten Himmel paarenden Vögel, die mir mit einer Schmerzlichkeit, die ich sonst selten während dieser Tage empfinde, ins Gedächtnis zurückrufen, weshalb man mich in diese winzige Zelle gesperrt hat, in der ich meiner Hinrichtung entgegensehe. Ich bewege meine Hand dem Fenster und dem Sonnenlicht zu und will mir die Farben des Indischen Ozeans im Licht des frühen Morgens vorstellen, wenn das Wasser bereits mit glänzenden Sonnenflecken gesprenkelt ist, oder ich stelle sie mir am frühen Nachmittag vor, wenn die Oberfläche sich kaum bewegt und sich in schimmerndes Türkisblau verwandelt hat. Ich sehe ihn deutlich vor mir: den Strand, die Spielplätze, die Hotels an der Seeseite, die schwitzenden, rosa-gesichtigen Touristen aus dem Landesinneren. Die beste Zeit aber ist jene stille, träge Mittagsstunde, wenn sich der Strand wie magisch geleert hat und alle Badenden zurückgetrieben wurden in die Restaurants an der Seeseite und die vorübergehenden Zufluchtsstätten ihrer Hotelzimmer. Dann war der Strand nicht nur mit angebissenen und weggeworfenen belegten Broten übersät, sondern man fand auch hier und da einmal eine Armbanduhr, einen wertvollen Ring oder ein elegantes Spitzentaschentuch mit Lippenstiftflecken irgendeines anonymen Mundes. Nicht selten aber lassen die Touristen ein noch wertvolleres Strandgut zurück: einen jungen Körper, erschöpft und reglos auf dem warmen weißen Sand, um von uns angestarrt zu werden, uns, den schweigenden nichtweißen jungen Männern mit schwarzer, unbändiger Wut. Und so war es gekommen, daß ich eines Nachmittags zum erstenmal auf das englische Mädchen stieß und sah, wie sie da lag, auf einem verlassenen Streifen Strand von Durban, als sei sie herangespült worden von den Flutwellen eines Sturmes, der die ganze Nacht gewütet hatte, eine goldene Statue, wunderschön und zerbrochen zwischen den Ruinen einer antiken Stadt. Zugleich war sie schockierend lebendig, sonnenöltropfend und glühend von der Sonne, die auf ihren ausgestreckten Körper fiel. Man könnte sagen, ihr Fleisch war den hungrigen Blicken der afrikanischen jungen Männer ausgeliefert, die den Strand täglich nach verlorenen oder weggeworfenen Dingen absuchten. […]

Dies ist ein Auszug aus dem Roman: Weiße Schatten, von Lewis Nkosi.

Titel: Weiße Schatten
Autor: Lewis Nkosi
Genre: Südafrika-Roman
Übersetzung: Eva Bornemann
Deutscher Taschenbuch Verlag
München, 2008
ISBN 9783423131032 / ISBN 978-3-423-13103-2
Broschur, 12 x 19 cm, 192 Seiten

Nkosi, Lewis im Namibiana-Buchangebot

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