Treibholz. Geschichte einer Freundschaft und einer Liebe
Aus: Aufbruch in eine neue Welt - „Feierabend ist der Name." Der Weiße lüftete den Hut: „Egon Feierabend." Die beiden Männer gaben sich die Hand: „Otto Müller - angenehm." Der Weiße blickte den Schwarzen fragend an: „Irgendwie hatte ich mir den Namen eines Schwarzen anders vorgestellt."
Der Schwarze lachte: „Passt nicht zu ,Knochen durch die Nase' und ,Spitzgefeilte Zähne', nicht wahr? Übrigens: Ich bin Farbiger." Er kniff sich in den Unterarm und wies mit dem Zeigefinger auf die Stelle, wo die Haut für einen Augenblick lang blass geworden war: „Hier! Sehen Sie: Meine Haut ist braun, nicht schwarz. Mein Vater war bei der Schutztruppe." Der Wind hatte aufgefrischt und trug Gischt von den Wellenkämmen auf das Schiff. „Und jetzt fahren Sie zurück in die Heimat?"
„Heimat?" Der Schwarze zuckte die Achseln, blickte einen Augenblick lang hinaus aufs Meer und wies dann in Richtung des Hecks: „Für mich war Deutschland immer die Heimat ..." Er wischte sich Gischtspritzer aus dem Gesicht: „ ... aber jetzt... nach dem Tod meines Vaters ... und überhaupt: So als Sarotti Mohr ....„
Der Weiße lachte und sagte leichthin: „ ...oder als marokkanisches Gräuel aus dem Schützengraben von gegenüber -, ich weiß!" Er wendete sich zum Gehen, drehte sich dann aber wieder zurück: „Wie wäre es mit etwas zu trinken? Ich lade Sie ein." Der Schwarze schüttelte den Kopf: „Ich darf nicht. Ich bin noch nicht volljährig."
Der Weiße winkte ab: „Aber ich.“ Er unterbrach sich, hustete und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Als der Anfall vorüber war, sagte er: „Tut mir leid, mir ist Flandern nicht bekommen. Ich verspreche mir Besserung von der Luft in Südwest."
Mit dieser Begegnung begann im Jahre 1922 auf der Höhe von Kap Finisterre an Bord der Wangoni auf der Überfahrt von Southampton nach Walvis Bay die Freundschaft zwischen zwei Männern, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Das Besondere an dieser Freundschaft war, dass sie in die Annalen der Kriminalgeschichte Südwestafrikas eingehen sollte.
Der Grund dafür waren die Schlappen, die diese beiden Männer der Diamantenpolizei in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg in Orten wie Kolmanskuppe, Elisabethbucht, Ida Tal, Märchen Tal, Stauchs Lager, Pomona und Dünenfeld beibrachten. Von diesen Vorfällen gelang kaum etwas an die Öffentlichkeit, denn selbstredend war es nicht im Interesse der Polizei, die eigene Unzulänglichkeit einzugestehen und für Feierabend und Müller war der Vorhang der Anonymität, hinter dem sie operierten, Grundvoraussetzung für ihren Erfolg.
Die andere Voraussetzung war ihr Modus operandi. Sie wandten jedes Mal den gleichen Trick an - wenn auch in immer neuen Variationen. So auch, als gegen Ende Februar 1925 ein Weißer, in hellem Tropenanzug und Panamahut gekleidet, auf einem Maultier in Georgenfelde bei der Chamiesbucht9 in der südlichen Namib einritt.
Gute zwanzig Meter hinter dem Weißen ging sein schwarzer Bambuse, der zwei rotbraune Afrikanerochsen mit den für ihre Rasse typischen langen, spitzen Hörnern an der Leine führte. Der Schwarze fiel nicht weiter auf, denn Schwarze galten schon damals, lange bevor die Apartheid in Südafrika und seinem Mandatsgebiet Südwestafrika zur offiziellen Regierungspolitik erklärt wurde, als Unperson.
„Otto ... !" Die Stimme des Weißen klang herrisch und laut. „Komm hierher, ich will nicht immer rufen müssen!" Er stieg von seinem Maultier und hüstelte, als er sich den Staub von den Hosenbeinen klopfte. Er war mittelgroß und schlank, fast dünn, und für die Gegend zu elegant gekleidet. Seine Haut hatte den Teint eines Südländers und auf der Oberlippe trug er einen dünnen, schwarzen Schnurrbart.
Der Schwarze, der sehr viel kräftiger wirkte als der Weiße, zog die Riemen an. Die beiden, mit je zwei Truhen beladenen Packochsen, machten den Hals lang und schüttelten die Hörner, gingen aber nicht schneller.
„Wird's bald?", fragte der Weiße. Der Schwarze senkte den Blick: „Jammer my baas ... die osse hulle is moeg." Der Weiße unterbrach ihn mit einer Handbewegung: „Quatsch! Dir tut nichts leid! Dass die Ochsen müde sind, sehe ich selbst. Im Übrigen hör auf mich mit ,Baas' anzureden. Ich bin kein Bure! - Erinnerst du dich an die Senke, durch die wir eben gekommen sind."
Der Schwarze dachte nach und nickte dann. „Gut, nimm die Tiere, geh zurück und schlag mein Zelt auf, aber so, dass der Wind nicht reinweht." Der Weiße reichte dem Schwarzen ein Geldstück.
„Zuerst gibst du den Tieren zu saufen. Hast du verstanden?" Der Schwarze nickte. Dann schüttelte er den Kopf. „Hast du verstanden, oder hast du nicht verstanden?" Der Schwarze sah vor sich hin auf den Boden und antwortete nicht. „Was weißt du nicht? Wo du Wasser bekommen sollst?" Der Schwarze druckste.
„Beim Wasserwagen! Den suchst du jetzt, bis du ihn gefunden hast. Ist das klar?" Der Schwarze blickte auf und schien erleichtert. „Gut, dann geh jetzt!" Der Schwarze nahm das Maultier am Zügel und der Weiße betrat die Kochhütte.
Am Herd stand ein Mann im Unterhemd mit herunterhängenden Hosenträgern und trank aus einer Bierflasche. Er war unrasiert und wirkte mürrisch. Er hatte das Gespräch auf der Straße vom Fenster aus mitverfolgt und trat an den Tresen. „Kiefer, bin der Koch hier."
„Wiesenthal." Der Weiße zog den Hut. Sie gaben sich die Hand. Der Weiße deutete auf das Bier des Kochs. „Haben wir gleich", sagte der Koch, ging in den Kühler und kam mit einer Bierflasche zurück. „Woher des Weges?" fragte er.
„Seeheim, Aurusberge, am Boegoeberg vorbei... ." „Genug Wasser?"
Wiesenthal nickte. „Hat im Süden gut geregnet."
„Gut, mal wieder Deutsch zu hören. Werden ja immer weniger hier." Der Koch deutete mit seiner Bierflasche in Richtung der Wüste. „Seit dem Krieg nur noch Südafrikaner - wo man hinkommt... Kimberley is' fertig ... Oranje auch, aber ich hör was von Alluvialfeldern bei Port Nolloth und Alexanderbay ...?"
Wiesenthal hob die Schultern: „Gerüchte, nichts als Gerüchte." Der Koch blickte ihn fragend an. „Und was bringt Sie hierher?"
„Will mich umsehen."
„Weiß die Firma davon?"
„Keine Ahnung. Bin auf der Durchreise."
Die Augen des Kochs wurden schmal: „Wäre vorsichtig." Er reckte sein Kinn in Richtung des Lagers: „Die Firma hat ihre Spitzel überall." Wiesenthal trank sein Bier aus. „Wäre für zweckdienliche Hinweise dankbar ... würde mich natürlich auch erkenntlich zeigen." Er bezahlte das Bier mit einem 10 Shilling-Stück. „Geht in Ordnung", sagte er, als der Koch ihm das Wechselgeld geben wollte. Der Koch blickte erstaunt auf. „Wo findet man Sie?"
Wiesenthal deutete mit der Hand nach Norden: „In der Senke, rechts vom Weg." Der Weiße, der sich Wiesenthal nannte, ging durch das Lager, blieb hier und da stehen und betrachtete die Behausungen der Schürfer. Er ließ sich Zeit und begegnete den Blicken der Männer mit freundlichem Kopfnicken. Anschließend wanderte er die 500 Meter zu seinem Lagerplatz, klatschte in die Hände und rief: „Otto, Kaffee!"
Der Schwarze erhob sich von der Plane, die er ein paar Schritte hinter dem Zelt ausgebreitet hatte, ging zum Lagerfeuer und goss aus einer Emaillekanne Kaffee in einen Blechbecher. Dann goss er den Kaffee aus dem Becher in einen zweiten Becher, um ihn abzukühlen. Diesen Vorgang wiederholte er mehrere Male, bis der Weiße rief: „Du hast wohl nichts Besseres zu tun, als hier für den Jahrmarkt zu üben, was?"
Der Schwarze unterbrach seine Aktivität und reichte dem Weißen den Becher. Dabei legte er die rechte Hand an den linken Ellbogen, so, wie es seine Tradition erforderte, und sagte halblaut mit gesenktem Kopf: „Dir scheint das Spielchen mal wieder so richtig Spaß zu machen."
„Unsinn", sagte der Weiße ohne den Kopf zu heben, „mir ist kotzübel und du meckerst. Außerdem: Die haben Spitzel."
„Um zu hören, was hier los ist, brauchten sie Ohren wie Löffelhunde!"
„Hast du noch nie etwas von Lippenlesen gehört?"
„Lippenlesen tun Schauspieler bei ihrer Souffleuse, aber keine CDM-Schnüffler in der südlichen Namib."
Der Schwarze nahm einen Schritt zurück, hockte sich auf den Boden und wartet, bis der Weiße seinen Kaffee ausgetrunken hatte. Dann nahm er ihm den Becher ab und verstaute ihn. Der Weiße stand auf, sah sich um und verschwand in seinem Zelt.
Als die Sonne über dem Meer untergegangen war und der Westwind sich gelegt hatte, ging der Schwarze in die Wüste. Auf einer kleinen Anhöhe, östlich des Lagers, legte er sich auf den Boden und beobachtete die Hütten und Zelte von Georgenfelde. Das tat er, bis der Nebel aufkam und das Licht für die Optik seines Feldstechers zu schwach wurde. Dann kehrte er zum Lager zurück und machte Feuer.
Aus dem Zelt drang gedämpft der Klang einer Violinsonate von Mozart von einem Grammophon. Der Schwarze bereitete das Abendessen vor, aber der Weiße aß nichts. Der Koch trat aus der Nacht in den Schein des Lagerfeuers. „Ich such den Baas!" Seine Stimme klang barsch. Der Schwarze, der auf seiner Zeltplane gelegen und geschlafen hatte, sprang auf. „Der Baas schläft...."
„Dann mach ihn wach!"
„Der Baas wird mich schlagen!"
„Mach ihn wach, sonst werd ich dich schlagen, du Hornochse du", sagte der Koch, hob die Fäuste und ging auf den Schwarzen zu. Die Augen des Schwarzen, der gut einen Kopf größer und 50 Pfund schwerer war als der Koch, weiteten sich und er nahm einen Schritt zurück. Die Musik brach ab, Wiesenthal kam aus seinem Zelt hervor und begrüßte den Koch: „Herr Kiefer ... welch unerwartete Ehre."
Dann drehte er sich dem Schwarzen zu und sagte: „Otto, Stühle!". Der Schwarze trat vorsichtig in den Schein des Feuers zurück, stellte zwei Falthocker am Eingang des Zeltes auf und zog sich hinter das Zelt zurück. Kiefer und Wiesenthal setzten sich.
Wiesenthal blickte zu Kiefer: „Kaffee?" Der Koch nickte. Wiesenthal klatschte in die Hände und rief: „Otto, Kaffee!" Der Schwarze sagte: „Ja, my Baas" und goss Kaffee ein.
Kiefer zog einen Tabaksbeutel aus der Tasche und reichte ihn Wiesenthal. „Hab ich beim Kartenspiel gewonnen." Wiesenthal sagte „Aha", klatschte in die Hände und rief: „Otto, meine Sachen".
Der Schwarze tauchte aus dem Dunkeln auf und reichte ihm eine braune Satteltasche und eine dünne, 50 mal 100 Zentimeter große Sperrholzplatte, die an den Rändern mit einer Leiste eingefasst war. Diese Platte legte sich Wiesenthal auf die Oberschenkel und schüttete drei erbsengroße, kubische Kristalle darauf aus.
Der Satteltasche entnahm er ein handtellergroßes Stück einer Glasscheibe, eine Pinzette, einen Lappen, eine Juwelierslupe, eine Handwaage mit Gewichten, ein kalibriertes Reagenzglas und ein Fläschchen, das eine durchsichtige Flüssigkeit enthielt. Dieses Instrumentarium baute er vor sich auf. Der Schwarze zündete eine Petroleumlampe an und stellte sie in die Mitte der Platte.
Wiesenthal regulierte den Docht, bis die Lampe aufhörte zu blaken, befestigte die Lupe vor seinem rechten Auge und untersuchte die Diamanten einen nach dem anderen. Während er arbeitete, sagte er kein Wort. Auch der Koch, der ihm zusah, schwieg. Als Wiesenthal seine Arbeit beendet hatte, blickte er auf und sah den Koch an:
„Herr Kiefer, ich muss Sie enttäuschen. Dieser Stein hier", sagte er und wies mit der Pinzette auf den Kristall, den er zuerst untersucht hatte, „dieser Stein ist kein Diamant sondern ein Zirkon. Hat zwar einen leichten Schliff und sieht einem Diamanten ähnlich, ist aber wertlos - Edelglas wenn Sie so wollen. Der zweite - der hier -, der ist echt und von der Farbe her gut, hat aber zwei Spannrisse, das macht ihn für mich uninteressant, und der dritte ist für meine Zwecke farblich zu dunkel, da ist zuviel Grau drin, und außerdem hat er diese kleinen Einschlüsse, die sieht man nur unter der Vergrößerung. Tut mir leid ...."
Der Koch schien unschlüssig über sein weiteres Vorgehen zu sein. Nach einem Augenblick des Nachdenkens sagte er: „Was soll's, war halt ,n Versuch wert." Wiesenthal lächelte leicht und hob die Steine einen nach dem anderen mit der Pinzette auf und ließ sie in den Beutel fallen. „Ich würde Ihnen raten: Wenden Sie sich doch ganz einfach an Ihre Firma. Da würden Sie zumindest nicht leer ausgehen." Der Koch schüttelte den Kopf: „Geht nicht. Hab keine Lizenz. Schürf doch nicht."
„Ach ja", sagte Wiesenthal, „wie dumm von mir, das zu vergessen". Mit der Pinzette wies er auf den Tabaksbeutel: „Aber den Silikatkristall da, den würde ich so schnell wie möglich loswerden. Den bei sich zu haben, ist unseriös." Die Gesichtszüge des Kochs entspannten sich und er sagte: „Für Spielschulden reicht der allemal." Er stand auf und steckte den Tabaksbeutel ein. „Ich dank Ihnen für die Mühe." Dann drehte er sich um und ging. „So geht man mit einem Löffelhund um", sagte Wiesenthal zu dem Schwarzen und blies die Lampe aus. [...]
Aus dem Buch: Treibholz. Geschichte einer Freundschaft und einer Liebe, von Helmut Sydow.
Autor: Helmut Sydow
Benguela Publishers
2. Auflage, Windhoek 2008
ISBN Namibia 99916-798-7-1
ISBN Deutschland 978-3-936858-86-0
Broschur, 15x21 cm, 272 Seiten, 1 Faltkarte
Sydow, Helmut im Namibiana-Buchangebot
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