Tagebuch einer Schiffsreise, von Helmut Thielicke

Tagebuch einer Schiffsreise, von Helmut Thielicke. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn. ISBN 3579035355 / ISBN 3-579-03535-5

Tagebuch einer Schiffsreise, von Helmut Thielicke. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn. ISBN 3579035355 / ISBN 3-579-03535-5

An Bord eines Frachtschiffes besuchte Prof. Dr. Helmut Thielicke 1970 Südafrika, Mosambik, Tansania und Kenia. Das damals sehr populäre Buch So sah ich Afrika: Tagebuch einer Schiffsreise beschreibt die Erlebnisse und Begegnungen des Hamburger Theologen eindrucksvoll.

Helmut Thielicke  

Aus dem »Wartezimmer« draußen vor dem Hafen, wo wir seit gestern nachmittag vor Anker lagen, fuhren wir heute früh, am Morgen meines Geburtstages, an die Pier. Selten habe ich ein so nettes Wiegenfest gefeiert. Man merkt, daß wir eine große Familie geworden sind. Vor der Kammer empfing mich schon ein großes Glückwunschschild, das die kleine »Sprotte« gemalt hatte. Sie hat mir in Durban auch sehr schöne Manschettenknöpfe ausgesucht, mit denen ich unbedingt gleich heute schon prunken mußte. Vom Kapitän bekam ich einen Blumenstrauß, und unter den Geschenken ist sogar eine große Zulupuppe, die sicher die ganze Wonne meiner kleinen Enkelin bilden wird. Der Konditor hat eine Tortenkreation geschaffen, die wir selbst im größeren Kreis und trotz gegenseitiger Anfeuerung nicht ganz vertilgen können. Meinem Schicksalsstil entsprechend fehlte an diesem Tage auch nicht ein riesenlanges Telegramm aus Hamburg, das mit unerfreulichen Universitätsdingen zu tun hatte und sofort beantwortet werden mußte. Das Hafenleben ist unvergleichlich lebhafter, sozusagen südländischer als bei den mehr systematisch und gelassen, sozusagen »gedämpft« arbeitenden Stauern Südafrikas. Das fällt uns allen sofort auf. Ein älterer Weißer, der die Löscharbeit an der hinteren Luke beaufsichtigt, fesselt uns besonders. Er gibt dem Kranführer mit ungeheurem Temperament seine Zeichen. Kopf, Rumpf und Arme sind wie bei einem wildgewordenen Dirigenten in zuckender, bald anfeuernder, bald dämpfender Bewegung. Für jede vertikale oder horizontale Richtungsänderung hat er spezielle Vogelstimmen parat, die er zwitschert und pfeift. Gleichzeitig treibt er mit ungeheurem Stimmenaufwand, fürchterlich scheltend und dann wieder berserkerisch lachend, die schwarzen Schauermänner an, die springen und zupacken, was das Zeug hält, dabei grinsen und sich amüsieren. Er scheint ein beliebter Master zu sein, weil er bei der Arbeit zugleich unterhält und gleichwohl die Ökonomie der Stauvorgänge sorgfältig plant und überwacht. So ist das Leben hier voller Temperament und Dynamik. Südliche Vitalität verbindet sich mit jener Zielstrebigkeit, die als Dünung der einst so stürmischen Weltherrschaft der Portugiesen noch nachwirkt. Mir ist es unfaßlich, mit welcher Geschwindigkeit und unverdrossenen Konstanz die Schwarzen bei dieser Hitze Mangan und Clay (Lehm) aus den Waggons in große Behälter schaufeln, die dann hochgehievt werden und ihren Inhalt mit Donnergepolter in die Luken entladen. Die ungeheuren Staubwolken lagern sich als Krusten auf den nassgeschwitzten Körpern ab. Kommen die langen, hochbeladenen Eisenbahnwagen an, kann man sich kaum vorstellen, wie diese Massen bewältigt werden sollen. Doch dann sind sie im Nu leer. In einem schon ausgeräumten Wagen sehe ich einen Afrikaner im Erschöpfungsschlaf an der Wand lehnen. Als der Wagen etwas zu heftig rangiert wird und mit gewaltigem Krach auf einen andern prallt - unsereins hätte eine Gehirnerschütterung erlitten -, schreckt er nur kurz auf, sieht sich erstaunt um und schläft dann gleich weiter. Auf meine Frage, warum man keine Maschinen für die männermordende Arbeit verwendet, sondern wie in alten Zeiten alles von Hand macht, meint der Kapitän: man fürchte wohl, daß die Menschen durch die Maschinen arbeitslos würden. Außerdem sei die menschliche Arbeitskraft hier sehr billig. Bei einer Rundfahrt durch die Stadt bewundern wir die großartig breite, von fern an die Champs-Elysees erinnernde Avenida da Republica und suchen vom Dach eines rystöckigen Hochhauses einen Uberblick über Land und Meer zu gewinnen. Herr N., ein hier ansässiger Kaufmann, der uns begleitet, kommentiert unsere Eindrücke und läßt uns so tiefer, gleichsam »symbolischer« sehen. Uns fällt sofort im Vergleich zu Südafrika auf, daß es hier keine Apartheid gibt. Die Schilder »Nur für Weiße« an Bussen, Bedürfnisanstalten, Schaltern und Bänken fehlen hier völlig. Und doch bleibt es uns nicht verborgen, daß man in Cafés und Speisehäusern außer kinderreichen und wohlangezogenen indischen Familien eigentlich nur Weiße trifft. Die Afrikaner begegnen einem bloß in Dienstleistungsberufen: als Kellner, Chauffeure, Schuhputzer, Straßenarbeiter. Unzählige halten auch Unzähliges feil. [...]

So sah ich Afrika. Tagebuch einer Schiffsreise, von Helmut Thielicke.

Buchtitel: So sah ich Afrika
Untertitel: Tagebuch einer Schiffsreise
Autor: Helmut Thielicke
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
2. Auflage, Gütersloh 1972
ISBN 3579035355 / ISBN 3-579-03535-5
Original-Leinenband, Original-Schutzumschlag, 15x21 cm, 220 Seiten

Thielicke, Helmut im Namibiana-Buchangebot

So sah ich Afrika. Tagebuch einer Schiffsreise

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So sah ich Afrika ist das Reisetagebuch einer Schiffsreise entlang der Küsten Afrikas von 1970/1971.

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