Kalungas Kind. Wie die DDR mein Leben rettete, von Stefanie-Lahya Aukongo

Kalungas Kind. Wie die DDR mein Leben rettete, von  Stefanie-Lahya Aukongo. rororo. Berlin 2009. ISBN 9783499625008 / ISBN 978-3-499-62500-8

Kalungas Kind. Wie die DDR mein Leben rettete, von Stefanie-Lahya Aukongo. rororo. Berlin 2009. ISBN 9783499625008 / ISBN 978-3-499-62500-8

Stefanie-Lahya Aukongo überlebt knapp das Gefecht von Cassinga, im Leib ihrer Mutter, die schwer verwundet unter unzähligen Verletzten ausgewählt wird, um für die medizinische Behandlung nach Ostberlin geflogen zu werden. Dort ist eine Familie bereit, das Kind zu pflegen und sie schließt es in ihr Herz. Doch ein Jahr später schicken die DDR-Behörden Mutter und Kind zurück in den Bürgerkrieg. 'Kalungas Kind' sind ihre Memoiren.

Stefanie-Lahya Aukongo  

Der Tag, der alles veränderte

«Lauft! Lauft davon! Sie greifen uns an! Schnell raus hier!» Das Mädchen fuhr aus dem Schlaf hoch. Um sie herum rannten alle durcheinander. Der sechzehnjährigen Clementine blieb keine Zeit zum Nachdenken oder gar, um Fragen zu stellen. Mit den anderen Frauen und Mädchen stürmte sie aus dem Haus, in dem sie erst seit zwei Tagen wohnte. Sie hörte das Dröhnen von Flugzeugmotoren, das Knattern von Maschinengewehren und Schüssen, die durch die Luft peitschten. Ganz in der Nähe explodierten Bomben, die den trockenen afrikanischen Boden meterhoch in die Luft schleuderten. Blutende Frauen brachen mit ihren Kindern auf dem Rücken zusammen, starben direkt vor den Füßen des verängstigten Mädchens. Qualmschwaden nahmen ihr die Luft zum Atmen. Instinktiv flüchtete sie in die Richtung, aus der die wenigsten Menschen kamen. Clementine hatte tatsächlich Glück. Sie traf auf keinen der Angreifer. Aber überall lagen Sterbende, denen sie nicht helfen konnte, und Tote, die sie aus gebrochenen Augen anstarrten. Die Fliehende versuchte, nicht hinzusehen, hastete immer weiter. Erreichte gelb verdorrtes Gras, es stand hüfthoch und bot ihr Deckung. Ihr Puls raste, sie sah sich um - sie war plötzlich ganz allein. Noch immer hörte sie Bomben explodieren, Menschen schrien vor Schmerzen und in Panik. Erst zwei Tage zuvor war Clementine zu diesem Ort in Angola gebracht worden und hatte keine Ahnung, wohin sie entkommen sollte. Die einzige Orientierung, die sich ihr bot, waren die sich nähernden Gewehrsalven rechts und links von ihr. Darum rannte sie geradeaus. Und plötzlich stand sie vor einem etwa drei Meter breiten Fluss. Er war so flach, dass sie hindurchwaten konnte. In dieser langen Minute war sie völlig schutzlos, und gerade, als sie mit einem Fuß das Ufer erreichte und der andere noch im Wasser stand, hörte Clementine den Schuss. Er klang wie eine Explosion, entsetzlich nah. Sie hatte das Gefühl, die Beine würden ihr unter dem Körper weggerissen. Sie stürzte auf den braunen Sand des Ufers. Der Schock ließ sie die Schmerzen noch nicht empfinden. Sie wusste nur: Ich will nicht sterben! Nicht weit entfernt waren zwischen hohem Gras Büsche. Auf ihre Unterarme gestützt, robbte das Mädchen los und verkroch sich unter den dornigen, tief herabhängenden Zweigen. Wenn die Angreifer bemerkten, dass sie noch lebte, würde man sie finden und erschießen. Sie musste sich tot stellen, um überhaupt eine winzige Chance zu haben, am Leben zu bleiben. Ihre Lungen brannten, ihr Herz raste, und auf einmal spürte sie den wahnsinnigen Schmerz. Und bevor sie das Ausmaß ihrer Verletzungen am Unterkörper begriff, wurde um sie herum alles schwarz. Als die Ohnmacht wich und der Schmerz wie verrückt in ihrem ganzen Körper tobte und die Gewehrschüsse immer noch knatterten, da tastete sie vorsichtig nach ihrer Hüfte. Als sie ihre Hand ansah, war die voller Blut, und große Beißameisen krabbelten darauf herum. Überall waren die aggressiven Insekten - und Clementine war ihnen ausgeliefert. Sie wusste noch nicht viel über den menschlichen Körper. In dem Flüchtlingslager, in dem sie zuvor war, hatte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin begonnen. Fast alle ihre Patienten waren wegen des Bürgerkriegs mit Schussverletzungen ins Lazarett eingeliefert worden. Sie starben nicht sofort daran, sondern verbluteten, wenn man die Blutzufuhr nicht schnellstens unterband. In ihrem Versteck unter den Büschen zog Clementine die Jacke aus grobem Stoff aus, die sie trug. Sie wusste nicht genau, an welcher Stelle sie wirklich abbinden musste, sie tat es auf gut Glück. Und musste sich dabei vorsichtig bewegen. Niemand durfte wahrnehmen, dass der Schuss sie nicht getötet hatte. Gleichzeitig spritzten die Ameisen ihr Gift in die offenen Wunden. [...]

Dies ist ein Auszug aus den Memoiren: Kalungas Kind. Wie die DDR mein Leben rettete, von Stefanie-Lahya Aukongo.

Buchtitel: Kalungas Kind
Untertitel: Wie die DDR mein Leben rettete
Autorin: Stefanie-Lahya Aukongo
Genre: Erinnerungen
Verlag: rororo
2. Auflage, Berlin 2009
ISBN 9783499625008 / ISBN 978-3-499-62500-8
Original-Broschur, 13 x 21 cm, 256 Seiten

Aukongo, Stefanie-Lahya im Namibiana-Buchangebot

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