Im Zeichen des Ochsenwagen, von Christoph Marx

Im Zeichen des Ochsenwagen, von Christoph Marx.

Im Zeichen des Ochsenwagen, von Christoph Marx.

In seiner Studie Im Zeichen des Ochsenwagen berichtet Christoph Marx über den radikalen Afrikaaner-Nationalismus in Südafrika und die Geschichte der Ossewabrandwag.

Christoph Marx  

Aus der Einleitung von Christoph Marx: In einem 1875 veröffentlichten Aufsatz beschrieb der damals sehr bekannte deutsche Afrikareisende Georg Schweinfurth die unterschiedlichen Arten des Reisens in Afrika, wobei er den Ochsenwagen der Buren (Afrikaaner) als das der südafrikanischen Landschaft adäquateste Reise- und Transportmittel anpries. Tatsächlich waren Ochsenwagen vor dem Beginn des Eisenbahnbaus für die weiße Bevölkerung Südafrikas das wichtigste Fortbewegungsmittel; namentlich der Große Trek, eine Auswanderungsbewegung von ca. 12000 Buren aus der damaligen Kapkolonie in den 1830er Jahren, wurde durch sie ermöglicht, Hundert Jahre später war der Ochsenwagen über seine Bedeutung als Transportmittel hinausgewachsen, denn der in den Jahrzehnten nach dem Burenkrieg entstandene Afrikaaner-Nationalismus hatte ihn als nationales Symbol entdeckt: Der Ochsenwagen wurde nun rollende Heimat, Symbol des Pioniergeistes, des Freiheitswillens, ja des Republikanismus und des Widerstandes gegen den britischen Imperialismus. Als sich zehntausende von nationalistisch begeisterten Afrikaanern 1938 in Pretoria zur Grundsteinlegung eines Denkmals für den zur nationalen Befreiungstat stilisierten Großen Trek trafen, hatte sich die Bedeutung des Ochsenwagens aber bereits mit Inhalten aufgeladen, in denen eine neue "nationale' Aufgabe erkennbar wurde: Die Politik der Apartheid, der Rassentrennung.

Zu dieser Hundertjahrfeier des Großen Trek veröffentlichte J.D. du Toit sein vielgepriesenes Gedicht Die Trek van Boerewaens (Der Zug der Burenwagen). Du Toit war der Sohn des Begründers der Ersten afrikaansen Sprachbewegung und eines frühen Vorkämpfers des Afrikaaner-Nationalismus, des calvinistischen Pfarrers S.J. du Toit. Der Sohn war Professor für Theologie an der calvinistischen Universität in Potchefstroom, Übersetzer der Bibel ins Afrikaans und gleichzeitig unter dem Schriftstellernamen "Totius" der "Volksdichter", der prominenteste Exponent des Afrikaaner-Nationalismus in der afrikaansen Literatur seiner Zeit. In dem besagten Gedicht schildert er Afrika als einen der Barbarei verhafteten, passiven Kontinent, in den von außen die Zivilisation hereingetragen wird. In den ersten Strophen beschreibt er, wie in früheren Zeiten das Eindringen Fremder keine Zivilisation dauerhaft verankern konnte: weder die Karawanen der moslemischen Araber noch die Trägerkolonnen Zentralafrikas, mit denen habgierige Fremde den Kontinent durchreisten. Erst in der letzten Strophe erscheint mit dem Ochsenwagen der Buren der Befreier Afrikas, die europäische Zivilisation in Gestalt des Afrikaaners:

"Die Zeitalter haben sich umgewendet,
der Kontinent öffnet sich vor ihm,
dem Nachtvertreiber, der mit seinem Wagen einzieht,
der Bure von Afrika"

[Die eeue is omgewend / oop gaan 'n kontinent / voor hom, die nagverdrywer, wat intrek met sy wa - / die Boer van Afrika!]'

Aus dieser symbolischen Bedeutung des Ochsenwagens erklärt sich der Titel des vorliegenden Buches, das sich der Analyse des Afrikaaner-Nationalismus widmet, einer kulturellen und politischen Bewegung, die sich dieses Symbol mit großem Erfolg zunutze machte. Dieser Nationalismus war alles andere als eine homogene Bewegung; was die sozialen Träger betrifft, ist es geradezu die raison d'etre des Nationalismus, daß er heterogen, nämlich klassen- bzw. schichtenübergreifend ist. Aber auch die Ideologie war keineswegs einheitlich, selbst wenn es gewisse Grundgedanken gab, die von allen Anhängern des Nationalismus geteilt wurden. Gleichwohl läßt sich daraus nicht der umgekehrte Schluß ziehen, daß es klar voneinander abgrenzbare Ideologien der unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Nationalismus gegeben haben, etwa in der Form, wie es die Nationale Partei lange für sich in Anspruch nahm, daß ihr Nationalismus der wahre, nämlich ein (formal) demokratischer Nationalismus gewesen sei und nichts mit den zahlreichen faschistoiden und faschistischen Bewegungen zu tun gehabt habe.

Die Heterogenität des Nationalismus tritt aus den Quellen vielmehr in der Form eines ideologischen Kontinuums hervor mit keineswegs deutlich geschiedenen, ja sogar gegensätzlichen Positionen. Dies wird evident im Charakter der rechtsextremen Ossewabrandwag (OB) [wörtlich Ochsenwagen-Feuerwache], die sich mit größtem Erfolg die Ochsenwagen-Symbolik zunutze machte und als Massenbewegung zur direkten Rivalin der Nationalen Partei wurde. Als sich im November 1938 in einem Privathaus in Bloemfontein eine kleine Gruppe lokaler afrikaanser Notabeln zu einer Besprechung traf, hätten keiner der Anwesenden zu hoffen gewagt, daß die nationalistische Organisation, die ins Leben zu rufen sie sich anschickten, innerhalb kürzester Zeit ihrer provinziellen Basis entwachsen, wie ein "Buschfeuer" über das Land fegen und zur "mächtigsten Afrikaanerorganisation" anschwellen sollte.

Nur zwei Jahre später, zu Beginn des Jahres 1941, zählte die militärisch strukturierte Ossewabrandwag nach eigenen Angaben bereits zwischen 3 und 400000 Mitglieder, ca. ein Drittel der damaligen burischen Bevölkerung. Proportional auf die Bevölkerung umgerechnet war diese Organisation weltweit eine der größten nationalistischen Massenbewegungen der jüngsten Geschichte. Ein solches phänomenales Wachstum, aber auch die Rolle, die diese "Kulturorganisation" während der Jahre des Zweiten Weltkriegs auf der politischen Bühne Südafrikas spielen sollte sowie das immer deutlichere Hervortreten faschistischer Züge seit 1942, sind keineswegs selbstverständlich, sondern bedürfen der Erklärung.

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Im Zeichen des Ochsenwagen, von Christoph Marx.

Titel: Im Zeichen des Ochsenwagens
Untertitel: Der radikale Afrikaaner-Nationalismus in Südafrika und die Geschichte der Ossewabrandwag
Autor: Christoph Marx
Herausgeber: Helmut Bley; Leonhard Harding
Studien zur Afrikanischen Geschichte, Band 22
Lit Verlag
Münster, 1998
ISBN 3825839079
Broschur, 15x21 cm, 579 Seiten

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