Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia. Das Herero- und Damaraland im 19. Jahrhundert von Dag Henrichsen

Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia. Das Herero- und Damaraland im 19. Jahrhundert von Dag Henrichsen.

Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia. Das Herero- und Damaraland im 19. Jahrhundert von Dag Henrichsen.

Mit seiner Studie Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia, untersucht Dr. Dag Henrichsen die Herrschafts- und Einflußverhältnisse im Herero- und Damaraland im 19. Jahrhundert.

Aus der Einleitung von Dag Henrichsen: Wer heute in Zentralnamibia unterwegs ist, wird mit den Markierungen einer europäischen Siedlerkolonie konfrontiert. Endlos ziehen sich Zäune zur linken und rechten Seite der Strasse hin und zweigen nur sporadisch ins Veld ab. Sie umzäunen kommerzielle Farmen und markieren privaten Landbesitz. Die wenigen Tore weisen dann und wann Namensschilder auf, die auf eine vielfältige historische Siedlungsgeschichte hinweisen: Berlin, Okosongomingo, Happyland, Arachab, Okaue Süd, Waldfriede, Waterloo oder Toekoms, Sturmfeld, Sukses, Ozombanda, Monte Carlo oder Tugab. Diese Farmnamen, in Deutsch, Otjiherero, Englisch, Khoekhoegowab, Afrikaans oder Französisch, spiegeln Ortsbezeichnungen mit ganz unterschiedlichen Bezügen wider. Sie reflektieren reale oder imaginierte Wurzeln ehemaliger afrikanischer oder europäischer Bewohner, ehemaliger oder heutiger Farmbesitzer. Sie drücken, zumal in den europäischen Bezeichnungen, Siedlerträume und Ängste aus und artikulieren vor allem Ansprüche auf afrikanisches Territorium. Vermessen und im Sinne privaten oder staatlichem Landbesitzes parzelliert wurde Zentralnamibia ab den 1890er Jahren, mit Beginn der deutschen Kolonialherrschaft, wobei diverse historische Schübe auszumachen sind, so nach den kolonialen Kriegen (1904-1908) sowie, unter südafrikanischer Kolonialherrschaft, in den 1920er und 1950er Jahren. Die Einzäunungen von Landbesitz, welche heute so markant ins Auge stechen, erfolgten in systematischer Weise erst nach dem 2. Weltkrieg.1 Dieser Prozess der Besitznahme durch eine koloniale Siedlergesellschaft unter der Ägide zweier Kolonialverwaltungen, der deutschen sowie der südafrikanischen, implizierte Prozesse von Vertreibung und Enteignung der afrikanischen Bevölkerung. Die Ursachen bzw. Folgen sind bekannt, so diverse koloniale Kriege und ein Genozid durch die deutsche Kolonialarmee, dem in Zentralnamibia insbesondere Herero zum Opfer fielen; die Schaffung einer weitgehend rechtlosen afrikanischen Arbeiterklasse; die Etablierung von sogenannten und gleichfalls eingezäunten Reservaten für die afrikanische Bevölkerung sowie die Durchsetzung einer bis heute nachwirkenden gesamtgesellschaftlichen Apartheid. Wie sah Zentralnamibia vor diesen dramatischen Prozessen kolonialer Eroberung aus? Diese allgemeine Frage stellte sich mir erstmals, als ich, aus Namibia kommend, Mitte der 1980er Jahre an der Universität Leiden in den Niederlanden mit der afrikanischen Geschichtsforschung in Berührung kam. Ich beschloss, mich der vorkolonialen Geschichte Namibias zu widmen und beendete mein Studium 1997 an der Universität Hamburg mit einer Dissertation, die ich nunmehr als Buch vorlege. Die Studie präsentiert eine regionale Geschichte des afrikanischen Zentralnamibias im 19. Jahrhundert unter Einschluss der ersten Jahre deutscher Kolonialherrschaft bis ca. 1892. Sie rekonstruiert historische Prozesse, wie sie insbesondere die afrikanische Bevölkerung in vor- und frühkolonialer Zeit gestaltete und analysiert diese mittels eines strukturgeschichtlichen Ansatzes. Weniger die Ereignisgeschichte der Region, die weitgehend bekannt ist, als vielmehr langfristige und übergreifende Prozesse gesellschaftlicher Veränderungen werden untersucht, wobei Fragen zur Transformation von Herrschafts-, Alltags- und Wirtschaftsräumen und zur Dynamik von politischen, militärischen, sozialen und ökonomischen Strategien im Vordergrund stehen. Voraussetzung für eine solche Untersuchung waren umfangreiche Recherchen in diversen Archiven im südlichen Afrika und in Europa sowie die Auswertung oraler Quellen. Zwischen 1989 und 1991 führte ich parallel zu Archivstudien Forschungen bei Herero, die im 19. Jahrhundert weite Teile Zentralnamibias besiedelten, durch. Dabei entstanden zahlreiche Interviews mit Männern und Frauen, die als Überlebende des Genozids überwiegend vor dem 1. Weltkrieg, in einigen Fällen auch vor 1904 geboren waren. Ich ging von der Annahme aus, dass ihre mündliche Überlieferungen einmal einen wesentlichen Einblick in vorkoloniale Prozesse erlauben würden, zum anderen eine Auswertung afrikanischer „Quellensplitter", wie sie in schriftlichen Quellen zu finden sind (z.B. Ortsbezeichnungen, Personennamen, Sprichwörter und Erzählungen), ermöglichen. Darüberhinaus erhoffte ich mir eine Kontextualisierung der vielfältigen Beobachtungen und Aussagen von zeitgenössischen Europäern in ihren schriftlichen Aufzeichnungen wie Tagebüchern, Briefen und Büchern. Meine Forschungen, die mit längeren Aufenthalten in den seit den 1920er Jahren bestehenden Reservaten, den heutigen kommunalen Gebieten, wo weiterhin die Mehrheit von Herero lebt, verbunden waren, führte ich mit Dolmetscherinnen durch.2 [...]

Fußnoten zu Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia. Das Herero- und Damaraland im 19. Jahrhundert von Dag Henrichsen:

1 Dazu siehe insbesondere Giorgio Miescher (2009), S. 297ff.
2 siehe die Liste der in der Bibliographie aufgeführten Interviews, die z.T. transkribiert wurden. Die Einzelthemen sind über detaillierte Register zugänglich, die, zusammen mit den Bandaufnahmen, seit 1997 im National Archives of Namibia (NAN) in Windhoek zugänglich sind.

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia. Das Herero- und Damaraland im 19. Jahrhundert von Dag Henrichsen.

Buchtitel: Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia
Untertitel: Das Herero- und Damaraland im 19. Jahrhundert
Autor: Dag Henrichsen
Verlag: Basler Afrika Bibliographien Namibia Resource Center & Southern Africa Library
Verlag: Namibia Wissenschaftliche Gesellschaft
Basel, Schweiz; Windhoek, Namibia 2011
ISBN 978-99916-40-98-3 Namibia
ISBN 978-3-905758-23-8 Schweiz
Broschur, 17x24 cm, 388 Seiten, sw-Fotos

Henrichsen, Dag im Namibiana-Buchangebot

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