Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien, von Simon Karstens

Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien: Eine andere Geschichte der europäischen Expansion 1492-1615, von Simon Karstens. Böhlau-Verlag Gmbh. Wien Köln Weimar, 2020. ISBN 9783205212072 / ISBN 978-3-205-21207-2

Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien: Eine andere Geschichte der europäischen Expansion 1492-1615, von Simon Karstens. Böhlau-Verlag Gmbh. Wien Köln Weimar, 2020. ISBN 9783205212072 / ISBN 978-3-205-21207-2

»Das ist Herr Dr. Simon Karstens - der kennt sich mit Scheitern aus.« Mit solchen oder ähnlichen humorigen Worten ist der Autor von 'Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien: Eine andere Geschichte der europäischen Expansion 1492-1615' in Universitäten und Forschungseinrichtungen häufig dem Publikum vorgestellt worden.

Aus der Einleitung:

Bei einer flüchtigen Betrachtung der europäischen Expansion entsteht beinahe zwangsläufig der Eindruck, sie sei in ihren Anfängen eine Geschichte des Aufstiegs der iberischen Kolonialmächte Portugal und Spanien und des Untergangs indigener Kulturen. In dieses Narrativ sind zwei Rollen, die der aktiven Eroberer und der passiven Eroberten, als Gegensätze eingeschrieben, während für weitere Akteure lediglich Nebenrollen in Exkursen oder Fußnoten verbleiben. Im Handbuch der Geschichte Lateinamerikas heißt es wie in anderen Uberblickswerken dementsprechend: »Bis ins iy. Jahrhundert war die europäische Expansion ein iberisches Monopol. Ernsthafte Konkurrenz bestand kaum.« Tatsächlich hatten die Untertanen der iberischen Herrscher bis 1540 - mit Hilfe indigener Verbündeter - die durch Binnenkonflikte oder Seuchen geschwächten Reiche der Mexika und Inka erobert und mit der Errichtung kolonialer Verwaltungsstrukturen begonnen. Die unter ihrem Schutz errichteten Siedlungen, Häfen und etablierten Seerouten, auf denen Edelmetall von Amerika nach Europa gebracht wurde, bildeten lange Zeit den Hintergrund für das Handeln aller europäischen Akteure in Ubersee.2 Andere europäische Monarchien hingegen besaßen noch um 1610 lediglich marginale Gebiete jenseits des Atlantiks.3 Nur eine kleine Gruppe französischer Pelzhändler lebte in einem 1608 errichteten, Quebec genannten Fort am Sankt-Lorenz-Strom, während 1610 in Jamestown einige Dutzend ausgehungerte Uberlebende von beinah 1000 Siedlern ihre Schiffe bestiegen, um die 1607 gegründete englische Kolonie aufzugeben. Diese geringe Präsenz nichtiberischer Mächte in den beiden Amerikas ist jedoch keineswegs auf einen Mangel an Versuchen zurückzufuhren, transatlantische Siedlungen oder Außenposten zu errichten. Von einem verlassenen Steinhaus auf einer Permafrostinsel westlich von Grönland bis hin zu den Ruinen einer französischen Festung in der Bucht von Rio de Janeiro hinterließen mehr als 30, über einen Zeitraum von beinah 100 Jahren unternommene, koloniale Projekte ihre Spuren. Ihre Geschichte verbindet Akteure in Bristol, Plymouth, London, Paris, St. Malo, Dieppe, Rouen, Honfleur, Augsburg, Frankfurt, Nürnberg und weiteren Orten, die von dort aus Unternehmungen planten und finanzierten oder in See stachen. Doch nur einem kleinen Teil dieser Akteure gelang es, Amerika zu erreichen. Die Vorhaben vieler anderer endeten hingegen auf dem Grund des Atlantischen Ozeans oder blieben Pläne und unerfüllte Versprechen, deren Spuren nur noch in Archiven und Bibliotheken überliefert sind. Für den Fall, dass sie den Ozean überquerten und tatsächlich begannen, Außenposten zu errichten und das Land zu erkunden, kam der indigenen Bevölkerung eine besondere Bedeutung für den Ausgang ihrer Unternehmungen zu. Die selbstinszenierten Entdecker und Eroberer aus England, Frankreich oder dem Alten Reich befanden sich häufig in einer Position militärischer Unterlegenheit und waren von der Versorgung durch die Indigenen und deren Ortskenntnis abhängig. Das bedeutet, dass Indigene im Kontext dieser kolonialen Projekte die Europäer und deren Waffen und Handelswaren für ihre eigenen Interessen nutzen und aktiv eine frühe transatlantische Vernetzung gestalten oder verhindern konnten. Die in Überblicksdarstellungen als »gescheitert« charakterisierten, nichtiberischen kolonialen Projekte, die Akteure, die beiderseits des Atlantiks bei der Vorbereitung und Durchführung aufeinandertrafen, und die Wahrnehmung und Deutung der Unternehmungen durch die Zeitgenossen stehen im Zentrum dieses Buches. Scheitern als Kategorie spielt in Gesamtdarstellungen der europäischen Expansion generell eine untergeordnete Rolle. Lange Zeit herrschte ein eurozentrisches Erfolgsnarrativ vor, das nach den Voraussetzungen für den Untergang der indigenen Großreiche und für den Aufstieg der Europäer fragte. Spätestens nach 1992 vollzog sich dann aber ein kritischer Deutungswandel, der die Interpretation des Narrativs vom Positiven ins Negative verkehrte und den Untergang der indigenen Kulturen sowie transatlantische Ausbeutung und Zwangsarbeit stärker in den Fokus nahm.4 Da ein Scheitern der Europäer weder zum alten Erfolgsnarrativ der Gründung von Kolonialreichen noch zum neuen, kritischen Narrativ einer Zerstörung der indigenen Kulturen und Etablierung der Sklaverei passte, blieb es relativ unbeachtet. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Erfahrungen des Scheiterns bereits von der ersten Reise des Christoph Kolumbus an einen Teil der transatlantischen europäischen Expansion bildeten. [...]

Dies ist ein Auszug aus: Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien, von Simon Karstens.

Titel: Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien
Untertitel: Eine andere Geschichte der europäischen Expansion 1492-1615
Autor: Simon Karstens
Verlag: Böhlau-Verlag Gmbh
Wien Köln Weimar, 2020
ISBN 9783205212072 / ISBN 978-3-205-21207-2
Gebunden, 17 x 24 cm, 619 Seiten

Karstens, Simon im Namibiana-Buchangebot

Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien

Gescheiterte Kolonien – Erträumte Imperien

Gescheiterte Kolonien, erträumte Imperien: eine andere Geschichte gescheiterter europäischer Expansion 1492-1615.