Die Rote Linie. Geschichte der Veterinär- und Siedlungsgrenze in Namibia, 1890er-1960er Jahre, von Giorgio Miescher.
Giorgio Miescher zeigt auf überzeugende Weise, dass die Rote Linie, durch ihren Ausbau zu einer real existierenden Veterinär- und Siedlungsgrenze, sehr viel prägender für die Verwaltung und damit für das Schicksal einer Nation sein kann, als die Aussengrenzen als vorrangige kartographische Markierungen eines Reiches.
Auf dem Weg zwischen Windhoek in Zentralnamibia und dem Norden des Landes versperrt auf der Höhe der Etoscha-Pfanne ein grosses geschlossenes Gittertor die Strasse und zwingt den Reisenden anzuhalten. Erst nach einer Überprüfung von Personen und Waren durch die dort stationierten Beamten wird das Tor geöffnet und die Fahrt kann weitergehen. Das Tor ist Teil eines Veterinärzaunes, der sich über hunderte von Kilometern von West nach Ost quer durch das ganze Land erstreckt. Dieser Zaun, der als interne Grenze Namibia teilt, hat mich stark beeindruckt, seit ich ihn 1993, drei Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes, zum ersten Mal passierte. Allein die Länge löste Assoziationen mit der bis Ende der 1980er Jahre bestehenden innerdeutschen Grenze aus, ja selbst die chinesische Mauer kam mir in den Sinn. Vor allem jedoch, so schien es mir damals am Anfang meiner Auseinandersetzung mit der Geschichte Namibias, kumulierten im Veterinärzaun die vielen Grenzen der von Apartheid-, Kolonialismus- und Kriegserfahrung geprägten namibischen Gesellschaft. Der endlose übermannshohe Zaun in der Weite der namibischen Steppenlandschaft wirkte wie ein nicht zu übersehendes Symbol für zentrale Aspekte namibischer Geschichte. Der Veterinärzaun selbst stammt aus den 1960er Jahren; er wurde errichtet, um ein Übergreifen von Viehseuchen, damals insbesondere der Maul- und Klauenseuche, aus Norden nach Zentralnamibia zu verhindern. Dieses Bauwerk war jedoch nur der vorläufige Schlusspunkt in einer Reihe von Absperrmassnahmen zwischen Zentral- und Nordnamibia seit den Anfängen der Kolonialherrschaft Ende des 19. Jahrhunderts. Die in dem Veterinärzaun so markant sichtbare Grenzziehung war Ausdruck einer räumlichen Konzeption, die sich durch alle Perioden der kolonialen Geschichte zieht: Die konzeptionelle Trennung von Territorien wurde von der deutschen Kolonialmacht entwickelt und von der südafrikanischen weitergeführt und ausgebaut. Es wurde unterschieden zwischen einer sogenannten Polizeizone, zu welcher Zentral- und Südnamibia zählten, und den Gebieten jenseits dieser Zone, den Gebieten im Norden. Dabei implizierte der unterschiedliche Status zahlreiche Verschiedenheiten bezüglich Administration, Rechtsund Wirtschaftsordnung, die in der Summe zu einer Zweiteilung des Landes führten, mit einem von der Siedlergesellschaft dominierten Teil südlich der Grenze und nördlich der Grenze ausschliesslich afrikanischen Gebieten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung Namibias lebte. Seit den 1920er Jahren wurde diese offiziell Polizeizonengrenze genannte Grenzziehung für viele Jahrzehnte auf den meisten Karten mit einer deutlichen roten Linie eingezeichnet. Im Laufe der Jahre wurden daher die Begriffe Polizeizonengrenze und Rote Linie als Synonyme gebraucht. Der Verlauf dieser Grenze wurde mehrmals geändert und ist nur auf einzelnen Abschnitten deckungsgleich mit dem Zaun, der jedoch bis heute informell „Rote Linie" genannt wird. In den 1970er und 1980er kam dem Zaun eine wichtige Funktion als militärische Grenze zu und er wurde vom südafrikanischen Militär genutzt, um eine Infiltration von Kämpfern und Kämpferinnen der Befreiungsbewegung ins namibische Kernland zu verhindern. Nach der Unabhängigkeit behielt der Zaun seine Funktion als veterinärmedizinische Grenze und der Transport von tierischen Produkten von Nord- nach Zentralnamibia blieb verboten. Ausserdem nutzte auch die neue postkoloniale Regierung die Möglichkeiten dieser physischen innernamibischen Grenze, um den Verkehr und die Reisenden zwischen Nord- und Zentralnamibia kontrollieren zu können. (...)
Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Die Rote Linie. Geschichte der Veterinär- und Siedlungsgrenze in Namibia, 1890er-1960er Jahre, von Giorgio Miescher.
Titel: Die Rote Linie
Untertitel: Geschichte der Veterinär- und Siedlungsgrenze in Namibia, 1890er–1960er Jahre
Autor: Giorgio Miescher
Verlag: Basler Afrika Bibliographien
Basel, 2013
ISBN 9783905758283 / ISBN 978-3-905758-28-3
Broschur, 17x24 cm, 419 Seiten, einige Abbildungen, Karten und Tabellen
Miescher, Giorgio im Namibiana-Buchangebot
Die Rote Linie. Geschichte der Veterinär- und Siedlungsgrenze in Namibia, 1890er-1960er Jahre
Auf Grundlage der Dissertation über "Die Rote Linie. Eine Geschichte der innernamibischen Polizei-, Siedlungs- und Veterinärgrenze" von 2009.
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