Die Erforschung der Kolonien, von Carsten Gräbel

Die Erforschung der Kolonien. Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919, von Carsten Gräbel. transcript Verlag. Bielefeld, 2017. ISBN 9783837629248 / ISBN 978-3-8376-2924-8

Die Erforschung der Kolonien. Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919, von Carsten Gräbel. transcript Verlag. Bielefeld, 2017. ISBN 9783837629248 / ISBN 978-3-8376-2924-8

'Die Erforschung der Kolonien', von Carsten Gräbel, ist eine spannend zu lesende Analyse eines besonderen Kapitels der Wissenschaftsgeschichte, welche nicht nur wesentliche Impulse für die Geographiegeschichte vermittelt, sondern sie wird auch ein nicht mehr wegzudenkender nützlicher Bestandteil der zukünftigen Kolonialhistoriographie sein.

Einleitung: Geographie als koloniales Projekt

Die deutschen Kolonien wurden mit Taschenuhr, Kompass und Notizbuch erobert. Die territoriale Kontrolle weiter Räume in Afrika und im Westpazifik und eine auf Ressourcentransfer gerichtete Kolonialentwicklung benötigten topographische Kenntnisse und geographische Informationen. Mit militärischer Stärke und waffentechnischer Überlegenheit allein waren Kolonien weder zu erobern noch zu beherrschen. Die Bemächtigung von Raum, Mensch und Ressourcen beruhte auf geographischen Wissensformen: Karten, Statistiken, Verzeichnissen und länderkundlichen Berichten. Sie bildeten ein riesiges Wissensarchiv, das einerseits der raschen Orientierung im Gelände und der Bewältigung kolonialer Aufgaben im Herrschaftsraum diente, anderseits die Leser von der Notwendigkeit der kolonialen Expansion zu überzeugen suchte. Kolonisierung wurde durch militärische und politische Mittel erreicht und war darüber hinaus ein Projekt der Geographie. Gerade der Anfang der deutschen Kolonialherrschaft war eine Zeit symbiotischer Koexistenz. Kein Geringerer als der berühmte Forschungsreisende Gustav Nachtigal war zum kaiserlichen Sondergesandten erkoren worden, um Land an der westafrikanischen Küste für das Deutsche Reich formell in Besitz zu nehmen, und bescherte dem neuen Kolonialreich zugleich seinen ersten Märtyrer. Viele Expeditionen gerade im ersten Jahrzehnt der kolonialen Expansion dienten sowohl der geographischen Erkundung kolonialer »Hinterländer« wie der militärischen Machtdurchsetzung. Offiziere gründeten Stationen, schlossen »Schutzverträge« mit einigen Völkern, während sie diejenigen bekämpften, die sich weniger kooperativ zeigten. Sie nahmen das Gelände topographisch auf und erhoben geographische Informationen, was sie zu gern gesehenen Rednern in geographischen Gesellschaften und auf wissenschaftlichen Kongressen machte. Manche dieser Wissenschaftsamateure verfassten vielgelesene geographische Werke, doch ihre wichtigste geographische Aufgabe war die Kartierung der Kolonien, an der sich neben den Militärs viele Kolonialbeamte, Missionare und private Landvermesser beteiligten. Wenn die Deutschen über ihre Kolonien schrieben, dann ging es häufig um Geographie. Die koloniale Literatur hatte einen ausgesprochenen Sinn für Örtlichkeiten und landeskundliche Informationen. Karten gaben den Kolonien Konturen und führten den Lesern die viel beschworene Weltgeltung des Deutschen Reiches eindrucksvoll vor Augen, während den Reisenden die Zeichen der deutschen Herrschaft in den Kolonien über weite Strecken verborgen blieben. Koloniale Zeitschriften beschrieben die seltsamen Völker, die neuen Untertanen des Deutschen Reiches, und erörterten, was die deutsche Wirtschaft und Nation in der tropischen Klimazone zu erwarten habe. Zwischen 1884 und 1919, den Jahren der deutschen Kolonialherrschaft, boomte das Genre der geographischen Kolonialliteratur. Amateurgeographen berichteten über die Kolonien und erzählten in Reiseberichten von ihren Abenteuern. Nach einer ersten Zeit der Eroberung und Herrschaftskonsolidierung wuchs schon bald die Zahl der Akademiker unter den Forschungsreisenden. Geodäten, Geologen, Biologen und Völkerkundler unternahmen nun Expeditionen, um mit Fachkompetenz und dem Methodenarsenal ihrer Disziplin die Kolonien zu erforschen. Viele Wissenschaften trugen zur Professionalisierung der Kolonialforschung bei, doch in den letzten zehn Jahren der deutschen Kolonialherrschaft nahmen Universitätsgeographen eine Schlüsselposition ein. Geographie war ein Diskurs und eine Wissenschaft mit einer langen Geschichte, aber erst in den letzten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts etablierte sie sich als eigenständige Disziplin an Universitäten. Zunehmend begannen die Universitätsgeographen den geographischen Diskurs über die deutschen Kolonien zu dominieren und erlangten als akademische Weltenbeschreiber mit Ortserfahrung beachtliche Deutungsmacht. Anfangs verfassten Geographieprofessoren vornehmlich Propagandaschriften, in denen sie die lang ersehnte Kolonisierung begrüßten, obgleich einzelne die koloniale Euphorie in der Kolonialbewegung etwas zu zügeln suchten und für realistischere Einschätzungen der kolonialen Zukunftsaussichten plädierten. Auf der Basis der verfügbaren Forschungsliteratur erstellten sie länderkundliche Schriften, die einer breiten Leserschaft die natürlichen Verhältnisse in den Kolonien, die Ethnographie und die kolonialwirtschaftlichen Möglichkeiten erläuterten. Schon früh begannen akademisch ausgebildete Geographen in die Kolonien zu reisen, aber bis zur Jahrhundertwende blieben es wenige, die eine deutsche Kolonie aus eigener Anschauung kennenlernten. [...]

Dies ist ein Auszug aus: Die Erforschung der Kolonien, von Carsten Gräbel.

Titel: Die Erforschung der Kolonien
Untertitel: Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919
Autorin: Carsten Gräbel
Verlag: transcript Verlag
Bielefeld, 2017
ISBN 9783837629248 / ISBN 978-3-8376-2924-8
Broschur, 15 x 23 cm, 406 Seiten, 3 sw-Abbildungen

Gräbel, Carsten im Namibiana-Buchangebot

Die Erforschung der Kolonien

Die Erforschung der Kolonien

Die Erforschung der Kolonien: Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919.