Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen. Er kam nur bis Okahandja, von Dieter Wellenkamp

Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen. Er kam nur bis Okahandja, von Dieter Wellenkamp.

Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen. Er kam nur bis Okahandja, von Dieter Wellenkamp.

Er kam nur bis Okahandja ist einer der Namibia Erzählungen aus dem Buch von Dieter Wellenkamp, Das schwarze Gesicht. Die Leute sollten gefälligst dort sterben, wo sie gelebt haben. Und wenn schon jemand zehntausend Kilometer von seinem Geburtsort entfernt auf dem schönsten Friedhof südlich des Äquators beerdigt werden muß, dann fragt die zuständige Behörde natürlich nach den Familienverhältnissen.

Dieter Wellenkamp  

Die stämmige Frau, die für Günter Beckhaus eine Ruhestätte beanspruchte, zögerte aber beim Ausfüllen des Formulars. Der Beamte beobachtete sie mißtrauisch, nahm ihr nach einer Weile den Zettel weg und legte ihn ungelesen zu seinen Akten. Er verzichtete auf ihre Auskunft, bestimmte seufzend den Platz für das Grab, als er erkannte, daß er die Beisetzung nicht verhindern konnte. In Wirklichkeit ging es ihm auch gar nicht um den Toten. Vielmehr ärgerte ihn die Lebende. Sie gehörte nämlich zu den tiernärrischen Damen, die durch Auslegen von Futter jede Aktion gegen die Katzenplage auf dem Windhoeker Friedhof zum Scheitern verurteilten. Sie war oft beobachtet worden, wie sie mit einem weißhaarigen Mann - offenbar der Person, die jetzt begraben werden sollte - auf den schattigen Wegen spazierte. Der Alte hatte nie Katzennahrung deponiert, er schien sogar ihr Verhaltenen mißbilligt zu haben, wenn man sein mürrisches Gesicht richtig deutete. Die Vorstellung, die Frau fände mit der Ausrede, ein Grab zu pflegen, künftig einen weiteren Anlaß für ihre Besuche, war unerfreulich, ja geradezu alarmierend.

Hätte sie die Sorgen des Friedhofshüters geahnt, dann wäre es ihr leicht gefallen, ihn zu beruhigen. Sie würde niemanden mehr stören. Sie dachte sogar einen Augenblick lang daran, das ganze Spiel zu beenden, den Namen Beckhaus nicht einmal mehr zu denken und das Land zu verlassen. Freilich verdrängte sie den Einfall bald wieder. Es war zu spät, um den Toten zu vergessen oder um abzureisen. Sie wollte aber bestimmt sein Grab nicht pflegen, denn sie war immer nur widerwillig mit Pflanzen und Boden umgegangen. Sie hatte ihre Kenntnisse in Land- und Gartenbau in einem Alter erworben, in dem ihre Freundinnen werktags Maschinenschreiben mit zehn Fingern übten und sonntags Ufa-Filmhelden im Kino anhimmelten.

Damals war Anneliese in einer Kolonialschule auf den Beruf der Farmerin vorbereitet worden - der deutschen Farmerin in Afrika. Frühsport hatte dazu gehört und Pflanzenkunde und richtiges Handhaben des Spatens beim Umgraben und später Schmerzen im Kreuz. Und am nächsten Tag wieder Frühsport in feuchtkaltem Nebel, der ihre Sehnsucht nach der Sonne Afrikas noch gesteigert hatte. Ja, und Buchführung, Säuglingspflege, Hygiene, Kochen, Backen, Singen, Volkstanz, Gymnastik. Anfangs hatte sie sich gegen den Zwang gesträubt. Doch ihre Ausbilder übersahen keine Nachlässigkeit und duldeten keine Aufsässigkeit. Um die Prüfungen zu bestehen, genügten die richtigen Antworten und die besten Fertigkeiten nicht; nur wer sich einordnete, kam durch.

Anneliese wollte durchkommen, um jeden Preis, auch um den der kalten Füße im harten Schulbett und des Seitenstechens beim Dauerlauf. Sie zählte die Tage bis zu ihrer Abreise nach Südwestafrika, während der Lehrer umständlich erläuterte, welche Rinderrassen sich hinsichtlich der Fleisch- und Milcherträge für trockene und welche sich für feuchte Gebiete besser eigneten. In einem geheimnisumwitterten Kontinent wartete ein Bräutigam auf sie. Anneliese hatte Günter Beckhaus in einem Eisenbahnabteil kennengelernt. Beide fuhren nach Berlin, beide redeten begeistert von der Olympiade, ohne Eintrittskarten ins Stadion auch nur für eine Veranstaltung zu besitzen. Sie schwindelte ein wenig, wenn sie sich als Lichtbildnerin ausgab, da sie eine Stelle im Photogeschäft ihres Onkels antreten wollte und bisher nur gelegentlich mit der Kamera ihres Vaters bei Familienausflügen geknipst hatte.

Er schwärmte von Afrika und sie wußte, daß das keine Aufschneiderei war. In Berlin sollte er sich einem Farmbesitzer vorstellen, der mehrere Jahre in Deutschland bleiben wollte und für diese Zeit einen zuverlässigen Verwalter suchte. »Sie werden ihm bestimmt gefallen. Ich drücke Ihnen beide Daumen« sagte Anneliese. Er wurde daraufhin übermütig: »Ach was, ich fürchte mich nie. Wenn ich mit dem Mann rede, dann erreiche ich auch, was ich will. Das ist bei mir immer so!«

Er behielt recht. Der Südwestafrikaner übertrug ihm die Leitung seiner Farm. Während Günter auf Dokumente und Visum wartete, trafen sie sich, so oft Anneliese aus dem Laden entwischen konnte, schlenderten sie durch das kosmopolitisch aufgetakelte Berlin, in das Menschen aus aller Herren Länder geströmt waren, und malten sich ein gemeinsames Leben in Afrika aus. Der Anblick der bunten Straßen, ihre Jugend, die Erwartung eines Glückes in vorher unerreichbar gehaltener Ferne und ihre Verliebtheit machten sie trunken vor Freude. »Das kann ja gar nicht alles wahr sein!« rief sie kleinmütig, doch Günter entgegnete: »Unsere Zukunft wird noch viel schöner werden. Mir kann sich nichts mehr in den Weg stellen.«

Er überredete sie, mit ihm in den Schwarzwald zu fahren - einfach weil er die Triberger Wasserfälle sehen wollte. Unterwegs bereitete es ihm unbändigen Spaß, sie jedesmal zu küssen, sobald der Zug durch einen Tunnel dampfte. Übermütig schlug er noch eine Rheinfahrt und anschließend eine Radtour entlang der Mosel vor. Sie drängte ihn, stattdessen seine und ihre Zukunft zu bedenken. Sie einigten sich auf einen Kompromiß, fuhren auf einem Dampfer der Köln-Düsseldorfer den Rhein hinab und besuchten ihre Eltern - er mit einem viel zu großen Blumenstrauß in der Hand.

Vater Kempf hörte Günter eine halbe Stunde lang zu, murmelte dann, er sei mit Freunden zum Skat verabredet und ließ sich nicht mehr blicken. Annelieses Mutter aber konnte sich keinen prächtigeren Schwiegersohn vorstellen. Die Verlobung wurde im Vereinszimmer eines Gasthauses gefeiert - mit mehr Gästen, als zu diesem Anlaß üblich. Frau Kempf hatte alle erreichbaren Verwandten und Anneliese alle Freundinnen eingeladen. Es würde ja ihre letzte Feier in Deutschland sein. Heiraten wollten sie in Südwest.

»Ohne Ausbildung kannst du nicht in Afrika siedeln«, erklärte Günter seiner Braut, ähnlich ermahnte auch Frau Kempf ihre Tochter. Anneliese fügte sich, lernte, was ihr später auf der Farm nützlich sein sollte - oder was der Lehrplan den Bräuten deutscher Farmer zu beherzigen riet. Sie schrieb Günter lange Briefe, wartete die Antworten gar nicht ab, weil die Post mehrere Wochen benötigte, berichtete über ihre Fortschritte und ihre Sehnsucht. Als sie endlich ihr Abschlußzeugnis, sowie Paß, Visum, Schiffskarte und alle notwendigen Bescheinigungen beisammen hatte, reiste sie ihrem Bräutigam nach. Einen Monat war der Woermannliner unterwegs. Hunderte von Passagieren und lange Eisenbahnzüge voll Stückgut trug das Schiff nach Süden. Unterwegs verlor Anneliese das Gefühl für die herrschende Jahreszeit: Kälte wie Hitze wurde zu einer Frage des Breitengrades.

Als sie in Walvis Bay an Land ging, erkannte sie ihn sofort an seinem Blumenstrauß: wiederum viel zu groß, wie beim Besuch ihrer Eltern. Sie hätte ihn wegen der Übertreibung am liebsten auf der Pier umarmt, aber nach der Zollabfertigung näherte er sich ihr nur zögernd. Befangen, wie ihr schien. Er kümmerte sich um jedes ihrer Gepäckstücke, hievte ihre Koffer auf das Dach seines leicht verbeulten hochrädrigen Fords und zurrte sie so sorgfältig fest, daß Anneliese ungeduldig wurde. Umständlich half er ihr beim Einsteigen, ehe er auf den Führersitz kletterte. Als sie ihn im Auto küßte, fühlte sie seine Abwehr und wußte, daß etwas Schreckliches vorgefallen sein mußte. (...)

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen, von Dieter Wellenkamp.

Buchtitel: Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen
Autor: Dieter Wellenkamp
Verlag: Freudenberger
Faulbach, Deutschland 1988
ISBN 3-924711-15-1
Originalleineneinband, 13x19 cm, 171 Seiten

Wellenkamp, Dieter im Namibiana-Buchangebot

Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen

Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen

Das schwarze Gesicht und andere Erzählungen handeln von merkwürdigen Begebenheiten in Namibia sowie Ostafrika.

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