Turnhalle Lüderitzbucht: Theateraufführung von 'Unsere kleine Stadt' (Thornton Wilder)

Turnhalle Lüderitzbucht: Theateraufführung von 'Unsere kleine Stadt' (Thornton Wilder), ein in einem antiquarischen Buch aufgefundener Zeitungsausschnitt aus der Allgemeinen Zeitung vom 24.12.1963.

Turnhalle Lüderitzbucht: Theateraufführung von 'Unsere kleine Stadt' (Thornton Wilder), ein in einem antiquarischen Buch aufgefundener Zeitungsausschnitt aus der Allgemeinen Zeitung vom 24.12.1963.

Dies ist ein schöner Artikel aus der Allgemeinen Zeitung (Nr. 247) vom 24. Dezember 1963, der von der stimmungsvollen Erstaufführung von Thornton Wilders Theaterstück 'Unsere kleine Stadt' in der Lüderitzbuchter Turnhalle berichtet.

Lüderitzbucht (AZ). Neben der halberleuchteten Bühne steht der Spielleiter, den man normalerweise dahinter vermutet, und wartet auf die Zuspätkommenden. Hier tritt er ins Rampenlicht, ist Auge und Ohr des Publikums und dessen Unterhalter zugleich, ohne dabei Hauptdarteller zu sein. Für die, „die meinen, nicht ohne Kulissen auskommen zu können", beschreibt er genauestens die Szenerie: Der Tag beginnt in Grover's Corners, einer „sehr mittelmäßigen" amerikanischen Stadt, über deren Geographie, Geschichte und sogar Klima die Zuschauer orientiert werden. Im ersten Akt „Vom täglichen Leben" weiß man im Vordergrund die Wohnungen der Familie des Arztes und des Redakteurs der Ortszeitung sowie deren Hausgärtchen. Man folgt der mimischen Vorbereitung des Frühstücks, dessen Ablauf, dem Schulweg der Nachbarskinder, Emily und George, der romantischen Zentralfiguren des Stückes. Im zweiten Akt „Liebe und Ehe" findet im gleichen Milieu das Frühstück vor der Hochzeit statt. Man erlebt den ungeduldigen Bräutigam und hört die Frage des Spielleiters, wie es kam, daß diese beiden Menschen glaubten, füreinander geschaffen zu sein, woraufhin er — wie im Film — eine Rückblende einschaltet : das Idyll im Drugstore. Bei der Trauungszeremonie erlebt das junge Paar einen Moment der Krise. Der Sohn sucht Halt bei der Mutter, die Tochter beim Vater. Im dritten Akt agieren die Toten auf der Bühne. Geduldig, nicht ohne Teilnahme, verfolgen sie das Begräbnis. Doch ihre Erinnerung an das Leben verblaßt langsam. Sie warten auf etwas Großes und Bedeutendes, was kommen wird, etwas das bleibt, wenn Gedächtnis und Identität verloren sind, auf das Ewige. Daneben gehen die Lebenden einher, verzweifelt, verständnislos. Als eingeblendete Szene sieht man Emilys 12. Geburtstag, den die Tote sich ausgesucht hat, um noch einmal ins Leben zurückzukehren, von dem sie sich dann — seine Blindheit und Unwissenheit erkennend — leichter löst, um endgültig bei denen zu bleiben, die heiter sind und abgeklärt. Ein ganz großes Kompliment für die Regie (Helga Dürr) ist zunächst die Wahl des Stückes, das sich in seiner klassischen Einfachheit sowohl für Professionelle als auch für Amateure eignet und der schauspielerischen Entfaltung ungeahnte Möglichkeiten bietet; dann die beim Liebhabertheater so wichtige Wahl der Typen. Spürbare schauspielerische Begabung zeigte Hartmut Juengst. Die keineswegs einfache Aufgabe, Spiel und Publikum zu leiten, meisterte er mit Zurückhaltung und Sicherheit. Er war ihr auch stimmlich gewachsen und äußerst wendig in der improvisierten Verwandlung in Drugstore-Besitzer und Pfarrer. Das junge, sympathische Liebespaar wurde anmutig und durchaus überzeugend dargestellt von Monika Wegner und Hubertus von der Pforte, rührend echt in der Hilflosigkeit über den Mathematikaufgaben und der Bewunderung der intelligenten Mitschülerin; in der Ernsthaftigkeit bei der wichtigen Unterredung über einem Eiscreme-Soda; in der Panik des Nicht-erwachsen-werden-wollen, ergreifend auf dem Grabe der Ge [...] gten Arzt Dr. Gibbs (dessen Erholung darin bestand, auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges zu wandeln), spielte mit den sparsamen Mitteln eines Könners Peter Dürr. Seine Frau (deren Traum von der großen Reise nach Paris ewig Traum bleibt, während die Abwechslung Kirchenchor-Proben sind und, vielleicht, ein Rundgang zu zwein, um den Duft des Heliotrops beim Mondschein zu bewundern) war Ursula Kebbel, deren bezaubernde Anmut dem stillen, mütterlichen Wesen einen besonderen Glanz verlieh. Ein unvergeßliches Bild am Rande: wie sie im Garten die Hühner füttert und mit ihnen spricht. - Mr. Webb, (lebenskluger, humorvoller Berater seines zukünftigen Schwiegersohnes und reizender Vater einer heranwachsenden Tochter), der Redakteur, war Rudolf Grell, den man gern wieder auf der Bühne sehen möchte. Seine Frau Myrtle (resolut und unsentimental, doch ebenso eine treusorgende Hausfrau und Mutter wie ihre Nachbarin, die ein Leben lang drei Mahlzeiten täglich ohne den kleinsten Nervenzusammenbruch gekocht hat), wurde von Erika Weigmann glaubwürdig dargestellt. In Nebenrollen fielen als schauspielerische Talente auf: Der Milchmann mit der widerspenstigen „Bessie" und später der Trauergast aus der Fremde (Edgar Boehm) sowie Professor Willard (Wolfgang Biederlack); als vielversprechender Nachwuchs die Brüder Reinhard und Horst Starke als Zeitungsverkäufer. Durchaus entwicklungsfähige Spieler, die dabei bleiben sollten und mit der Sprecherziehung mehr aus sich machen könnten, waren der Kirchenorganist (Bodo Engelke), der Totengräber (H. W. von Seydlitz), die Klatschbase (Jutta Lampe) und der Polizist (Rüdiger Thum). Eine weitere beachtliche Leistung der Regie war es, über 20 Spieler bei der Stange zu halten, Stimmungen sind nicht nur die Stars unterworfen, und auch denen, die noch nie auf der Bühne gestanden hatten, eine solche Sicherheit zu geben, mit Humor und sanfter Gewalt zu feilen, ohne zu verletzen, und alles dies, damit das Stück für den einen Abend stand mit allem Drum und Dran: mit Statisten, Helfern, Tonbandaufnahme des Schulchores. (Ein weiterer Abend in Lüderitzbucht ist wegen der geringen Einwohnerzahl nicht möglich, und eine Tournee mit soviel beruflich Tätigen nicht durchführbar). Darüber hinaus ist es gelungen, trotz des ungewohnten erzählenden Tempos und des Fehlens eines Bühnenbildes das Publikum zu fesseln. In der zuerst abwartenden, dann gespannten Stille der bis auf den letzten Platz besetzten Turnhalle hätte man eine Stecknadel fallen hören können. So konnte die Absicht des Dichters, des großen Menschenkenners, der bereits zu Lebzeiten ein Klassiker ist, zur Geltung kommen. Zwischen den Zeilen sagt er, was wir alle unbewußt spüren: Daß man über den täglichen Sorgen das Ewige so leicht aus dem Gesichtskreis verliert, kostbare Zeit verschwendet und unnötig andere verletzt. Er erinnert uns an etwas, das nur Dichter und Heilige von selbst wissen: Dankbarkeit für jeden Tag, den wir leben, und daß es zwischen dem Land der Lebenden und dem Land der Toten nur eine einzige Brücke gibt: die Liebe.

T.B.


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