Anne Maag: Schicksal einer Frau in Südwestafrika

Anne Maag: Schicksal einer Frau in Südwestafrika. Artikel von Lisa Kuntze in der Allgemeinen Zeitung vom 05.12.1986.

Anne Maag: Schicksal einer Frau in Südwestafrika. Artikel von Lisa Kuntze in der Allgemeinen Zeitung vom 05.12.1986.

Dem Interesse und der Recherche Lisa Kuntzes in den 1980er Jahren ist es zu verdanken, daß die Dichterin, Erzählerin und Farmerin Anne Maag (1890-1934) heute nicht vergessen ist. Unter dem Titel ‚Wer kannte Anne Maag?’ stellte sie am 05.12.1986 das Produkt ihrer Nachforschungen, die im Kusieb-Verlag herausgegebene Biographie Anne Maags vor.

Allgemeine Zeitung, 05.12.1986. Lisa Kuntze

„Wer war Anne Maag, wer kannte sie? Sie muß ja eine begabte, talentierte Frau gewesen sein. Wissen Sie gar nichts von ihr?" Mit diesen Fragen überhäufte ich die an ihrem Schreibtisch sitzende, eine Zigarette rauchende Archivarin der Sam Cohen-Bibliothek, die ich stets gern während unserer Ferien in Swakopmund aufzusuchen pflegte, so auch im Januar vorigen Jahres. Frau Ursula Massmann, die wußte, daß ich mich für alle Neueingänge in ihrer Afrikana-Abteilung interessierte, hatte mir diesmal ein kleines, vergilbtes Buch vorgezeigt, das den anspruchslosen Titel trug: „Afrikanische Tiergeschichten und anderes von Anne Maag" Agnes von Boemcken, an deren Namen man sich noch aus der ersten Jahrhunderthälfte sehr wohl erinnert, hatte eine kurze Einleitung dazu geschrieben, der man entnahm, daß die Geschichten und Gedichte aus dem Nachlaß der Verfasserin stammten, daß also nicht sie selbst, sondern Freunde und Verwandte die Herausgabe in einem kleinen deutschen Verlag ermöglicht hatten, im Jahre 1937. Und zum Geleit hatte noch Dr. Heinrich Vedder diese persönlichen Worte hinzugefügt: „Mir aber ist's immer, wenn ich solch ein Gedicht von Frau Anne Maag lese, als ob ich eine reife Frucht in Händen hätte, auf der noch der zarte Hauch der Morgenfrühe liegt." Wer also war diese Frau? Ich setzte mich nieder und begann weiter in dem kleinen Buch zu blättern, las Überschriften wie „Aus Busch und Steppe Südwests", „Frühling in der Kalahari." „In den kahlen Hackieshecken blieb ein rotweißer Schleier hangen, hat sich ein Falter schon drin gefangen, Eidechsen huschen die Zweige entlang, Grillenzirpen und Vogelsang klingt aus vielen Verstecken. Ferner: „Morgensterne", „Wie es den Toks weiterhin erging", „Skarabaeus, der Rollkutscher", „Nächtliches Gewitter", „Jockel, der Hund" und je mehr ich las, umso mehr wuchs mein Erstaunen: welches Wissen um unsere Tierwelt, welche Liebe zu allen Geschöpfen, welche Tiefe der Empfindungen verbargen sich hinter jeder Zeile! Und plötzlich war mir, als hörte ich in der Stille des Bibliothekraumes, in dem Schweigen zwischen den vielen, alten, vergilbten Büchern, eine warme Frauenstimme aufklingen, die eindringlich zu mir sprach: „Was gestern gesät, was heute geblüht, wird es zur Frucht denn schon morgen? Wertvolles reift langsam, zumeist ist es zeitlos, erst künftigen Geschlechtern zur Ernte beschieden." Ich war wie verzaubert. Und dann hielt es mich nicht mehr. Ich ging abermals zu Frau Massmann, störte sie bei ihrer Arbeit am Schreibtisch: „Wer war diese Frau? Wissen Sie denn gar nichts von ihr, keine Daten, keine Fakten?" Doch sie zuckte nur die Achseln, die müßte ich dann selbst herausfinden, sie glaube nur, einmal gehört zu haben, daß sie die Ehefrau eines Tierarztes gewesen sei, irgendwann vor dem Ersten Weltkrieg, immerhin erlaubte sie mir, das Büchlein ausnahmsweise für 24 Stunden mitzunehmen und genau durchzulesen. Ich tat es in einer Nacht und wieder war mir, als wenn ich die schöne Stimme hörte. Da empfand ich es plötzlich als einen Auftrag, das kleine Werk nicht in dunklen Buchreihen verstauben zu lassen, sondern zu neuem Leben zu erwecken und vor allem dem Lebensweg dieser vergessenen Dichterin nachzugehen. Frau eines Tierarztes, noch vor dem Ersten Weltkrieg: das war der Anfang einer Spur, die sich verfolgen ließ. Und genau dort begann ich am nächsten Tag, und schon zeichnete sich ein erster Erfolg ab. Wie auf einen Zauberspruch, wie auf ein „Sesam, öffne dich!" lichtete sich das Dunkel. Von nun an begegneten mir Menschen, die sich auf meine Fragen plötzlich zu erinnern begannen, daß ihre Eltern oder Großeltern einstens mit Anne Maag und ihrem Ehemann Dr. Alfons Maag bekannt gewesen waren, daß vielleicht da oder dort in Familientruhen noch alte Briefe vorhanden sein könnten, sie nannten mir Namen, die Halenkes, die Lühls. Da entschloß ich mich, über den Rundfunk einen Appell an unsere Hörer zu richten: „Wer kannte Anne Maag?" Und schon begann das Telephon zu läuten, schon trafen durch Wochen und Monate hindurch Couverts mit alten Briefen, mit vergilbten Tagebuchblättern, handgeschriebenen Gedichten ein, nicht nur aus Südwest, aus Okahandja (Frau Ute Fischer), aus Windhoek, von entlegenen Farmen, sondern auch aus Kapstadt, wo noch ein Schwager Annes lebt, sogar aus Stuttgart, von wo eine jetzt hochbetagte Cousine Ablichtungen aus der Maagschen Familienchronik übersandte, denen eine Nichte in Fürth weitere Berichte und alte Photos beisteuerte. Und aus all den Zeugnissen erstand vor meinen Augen immer deutlicher die Gestalt einer musisch hochbegabten, intelligenten Frau. Doch wenn ich zuvor geglaubt hatte, daß die liebenswerten Erzählungen und die beschwingten, wohlklingenden Gedichte von einem heiteren, strahlenden Menschen geschrieben worden waren, so wurde ich anhand des Lebenslaufes eines anderen belehrt. Wohl hatte das junge Ehepaar, das noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die schwäbische Heimat mit unserem Dornenland vertauscht hatte, hier noch eine erste glückliche Zeit verlebt, doch bald begannen harte Jahre, brachten Krankheit und Leid. Umso bewunderungswürdiger ist es, daß Anne, bereits geschlagen von einem echt afrikanischen Schicksal, immer wieder, einer geliebten Melodie gleich, ihr Bekenntnis wiederholte: „Mein Leben ist doch schön" Ihr einsames Grab, so erfuhr ich inzwischen, liegt unter einem von ihr geliebten und selbst ausgewählten Baum am Rande von Gobabis, wo sie am 25. August 1934 verstarb. Auch Hans Grimm schrieb über sie: Aus den Nachrufen, die dieser einmaligen Frau gewidmet wurden, beeindrucken besonders jene Zeilen, die ihr wie ihrem ebenfalls zu früh verstorbenen Ehemann galten: „Sie waren ein Segen, wo immer sie erschienen. Ich habe in meinen 15 Auslandsjahren kaum ein zweites Menschenpaar getroffen, das, abgesehen von der Leistung des Mannes, durch sein gemeinsames Sein so sehr der deutschen Sache diente und diente ohne Lärm" Daß dieser so bekannte Schriftsteller zuvor schon in einem ganzen Kapitel seines Deutschen Südwester Buches über das Ehepaar berichtet hatte, wenn auch auf Wunsch ohne Nennung des Namens, erfuhr ich auch erst im Laufe meiner Nachforschungen. So erhielt ich in den fast zwei Jahren, über die sich meine Arbeit erstreckte, ausreichend Material, um eine Biographie über Anne Maag zu schreiben. Und da sich das Verlagskomitee der S.W.A. Wissenschaftlichen Gesellschaft sogleich ernsthaft für mein Projekt interessierte, ist es nun soweit: das neue Buch liegt vor. Ein einfacher Neudruck des ursprünglichen Werkes wäre nicht möglich gewesen, zumal es seinerzeit in der heute nicht mehr gebräuchlichen Fraktur-Druckschrift erschienen war und auch eine Auswahl notwendig wurde. Es empfahl sich zudem eine Aufgliederung in zwei Teile vorzunehmen: der erste besteht aus den wunderschönen, heiteren Geschichten und Gedichten der Erstausgabe, der zweite aus der Biographie, den Tagebuchblattern, Briefausschnitten und bisher unveröffentlichten Gedichten. Verstreut über beide Teile wurden 30 neue, reizende Illustrationen, die von der aus Lüderitzbucht stammenden Malerin und Kunsterzieherin Urte Remmert genau passend zu jedem Kapitel geschaffen wurden. Diese junge Künstlerin wurde übrigens schon durch Arbeiten bekannt, die in den Standard Bank-Kunstausstellungen zu den besten 20 bzw. 100 gezählt wurden, sowie durch die farbenfrohe Illustrierung meines Südwester Märchenbuches („Hopsi"). Das Ganze erscheint jetzt unter dem Titel „Die schönsten afrikanischen Tiergeschichten und Gedichte von Anne Maag:' (In einer Neubearbeitung und mit einer Biographie versehen Kuiseb Verlag. Druck John Meinerl). Wenn dadurch erreicht wird, daß sich jung und alt mehr denn je zuvor an den bezaubernden, heileren Erzählungen dieser fasi vergessenen Südwester Dichterin erfreut, dann bekommt der Gedanke der inzwischen verstorbenen Archivarin, Frau Ursula Massmann, mir das kleine vergilbte Werk zu treuen Händen zu übergeben und alles, was sich in der Folge daraus ergab, noch nachträglich einen schönen, höheren Sinn.


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