Perspektiven 2010 / Afrikanischer Heimatkalender 2010

Das hier vorgestellte Jahrbuch Perspektiven, ist der Nachfolger der von 1930 bis 2009 erschienenen Reihe Afrikanischer Heimatkalender.
Informationsausschuss der Ev.-Luth. Kirche in Namibia
14048
978-99916-863-0-1
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€28.50 *
Perspektiven 2010. Aktuelle Beiträge zu Kirche, Gesellschaft und Zeitgeschehen

Autoren: Siehe Inhaltsverzeichnis
Herausgeber: DELK/Informationsausschuss der Ev.-Luth. Kirche in Namibia
Verlag: PERSPEKTIVEN
Windhoek, 2010
ISSN-Nr. 2026-7010
ISBN: 978-99916-863-0-1 (Namibia)
ISBN: 978-3-941602-52-6 (Deutschland)
Broschur, 17x24 cm, 132 Seiten, zahlreiche sw- und Farbfotos


Hinweis:

Das hier vorgestellte Periodikum "PERSPEKTIVEN", ist der Nachfolger des von 1930 bis 2009 erschienenen Afrikanischen Heimatkalenders.

Zu dessen 80-jährigen Jubiläum im Jahr 2010, haben die Herausgeber den Afrikanischen Heimatkalender umbenannt und umgestaltet, um dadurch "veränderten Erfordernissen Rechnung zu tragen".

Inwieweit dieser Prozeß der Meinungsbildung Einfluß auf die Auswahl und Art der Beitragsinhalte nehmen wird und bei den Lesern Akzeptanz findet, wird die Zeit weisen.

Ein Rückblick: Der Afrikanische Heimatkalender verstand sich seit seiner ersten Auflage 1930, als ein Träger der christlichen Botschaft in Namibia und nahm über acht Jahrzehnte die Strömungen der Zeiten recht ausgewogen auf.

Seinen Lesern, traditionell den Deutschsprachigen im Lande, bot es, als eines der ältesten Periodika Namibias, Erbauendes und Besinnliches als Lebenshilfe im Alltag, aber auch seit eh und je interessante und oft nur dort erschienene historische und aktuelle Fachbeiträge zu Land und Leuten.

Wir haben sämtliche der letzten, aber auch seltenen frühen Jahrgänge auf Lager und würden uns freuen, wenn Sie den Afrikanischen Heimatkalender einmal kennenlernen wollten.


Inhalt:

Impressum/Autorenverzeichnis
Zum Geleit
Grußworte
Kalendarium
Rudolf Hinz, Groß Kummerfeld
Erinnern, Vergegenwärtigen und Hoffnung wecken
Hans-Erik Staby, Windhoek
103 Jahre nach der Grundsteinlegung
Adelheid Lilienthal, Windhoek
Die Kirchenfenster und ihre dramatische Geschichte
Wilfried Blank, Potsdam
Kirche in der Krise
Rosmarie Schumann, Windhoek
Gottes Liebe in den Alltag tragen
Peter Pauly, Windhoek
Bewegte und bewegende Begegnungen
(Interview mit Dieter Esslinger)
Sieghard Neumeister, Windhoek
Der Baufachmann und die Kirche
(Interview mit Dieter Esslinger)
Elisabeth Neumeister, Windhoek
Kirche als Heimat durch das ganze Leben
(Interview mit Dieter Esslinger)
Harald Klöpper, Harsewinkel
Kirche und Amtsverständnis (Teil 2)
Dr. Heinz Joachim Held, Hannover
Gotteshaus - Kirchengebäude und ihre Bedeutung
Nicoline Seeger, Freiburg
Die Christianisierung Deutsch-Südwestafrikas - eine Verquickung von Missions- und Kolonialinteressen?
Adelheid Lilienthal, Windhoek
Das Rubens-Gemälde in der Apsis
Statistik


Zum Geleit:

Liebe Leserin, lieber Leser, „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne!" So hat es Hermann Hesse formuliert und so haben es auch wir im Redaktionskreis empfunden, als wir nach vielen Überlegungen und mancherlei Rückmeldungen aus der Leserschaft zu der Entscheidung kamen, den 80 Jahre lang erschienenen Afrikanischer Heimatkalender in „Perspektiven" umzutaufen und umzugestalten, um neuen Erfordernissen Rechnung zu tragen.

„Mit dem Blick durchdringen, deutlich sehen, wahrnehmen" - so etwa ist die Bedeutung des zugrunde liegenden lateinischen Verbs „perspicere", und der Begriff „Perspektive" ist Synonym für „ Raumtiefe, Gesichtspunkt, Blickwinkel, Zukunftsaussicht,..." und vieles mehr.

Wir möchten Betrachtungsweisen eröffnen, die nicht immer alltäglich sind und sind dabei auch auf die Mithilfe unserer Leserschaft angewiesen. Bitte unterstützen Sie uns mit kritischen und konstruktiven Beiträgen, damit diese Publikation weiterhin ihren Platz in Kirche und Gesellschaft behält.

Nun könnte man vielleicht fragen, ob die Thematik dieser Ausgabe nicht doch sehr rückwärtsgewandt ist, da die beiden anstehenden Jubiläen (100 Jahre Christuskirche Windhoek und 50 Jahre ELKIN (DELK)) den inhaltlichen Schwerpunkt bilden. Ja und nein. Natürlich hat eine geschichtliche Aufarbeitung mit der Vergangenheit zu tun, aber Sie werden beim Lesen spüren, dass es uns darum ging, von den Ursprüngen her Linien zur Gegenwart zu ziehen, die uns „Perspektiven" für die Zukunft eröffnen.

Beispielhaft deutlich wird das in der Überschrift des Leitartikels von Rudolf Hinz: „Erinnern, Vergegenwärtigen und Hoffnung wecken." Herr Hinz hat sehr sorgfältig recherchiert und zeigt interessante Details der Baugeschichte der Christuskirche und der politischen Hintergründe auf.

Hans-Erik Staby schreibt aus einem etwas veränderten Blickwinkel und fragt dabei auch nach dem Wesen christlicher Mission. Diese Fragestellung bestimmt in besonderer Weise den Artikel von Nicoline Seeger, die die Verquickung von Missions- und Kolonialinteressen unter die Lupe nimmt.

Dass Kirchenfenster verkehrt herum eingesetzt werden, kommt sicherlich nicht alle Tage vor. Adelheid Lilienthal berichtet über dieses unwissentliche Missgeschick und dessen Korrektur und erläutert in einem eigenen Beitrag außerdem das Rubens-Gemälde in der Apsis der Christuskirche. In einem theologischen Grundsatzartikel verweist Dr. Heinz Joachim Held auf die zeitlose und uns immer neu ansprechende Bedeutung von Kirchengebäuden.

Mehr der wechselvollen Geschichte der ELKIN (DELK) gewidmet sind die Beiträge von Wilfried Blank, Rosmarie Schumann, Peter Pauly sowie Sieghard und Elisabeth Neumeister - persönlich gefärbt und Schritte aufzeigend, wie Kirche heute lebendig sein kann. Herrn Dieter Esslinger danken wir für die geführten Interviews.

Das Verhältnis von Kirche und Amtsverständnis beleuchtet Harald Klöpper und beschließt damit seine im Vorjahr begonnenen Ausführungen. Das von Herrn Roland Graf liebevoll gestaltete Kalendarium verwendet Fotos unserer Kirchengebäude in zeitlicher Abfolge der Einweihungen und verbindet sie mit kürzeren Texten jeweiliger Gemeindeglieder, die die Beziehungen zum Gebäude darstellen.

In Absprache mit der Kirchenleitung soll „Perspektiven 2010" als Festschrift für die beiden angezeigten Jubiläen gelten. Die Grußworte unserer Schwesterkirchen und der EKD unterstreichen diesen Charakter.

Ich danke den Autoren für ihre Beiträge und ihre Geduld in mancherlei Findungsphasen sowie Frau Christiane Berger, Herrn Dieter Esslinger, Frau Adelheid Lilienthal und Frau Erika von Wietersheim für die hingebungsvolle Mitarbeit im Redaktionsteam, Frau Manuela Schmid für das Behalten des Überblicks inmitten der verschiedenen Fassungen der Artikel, die Schreibtätigkeiten, den Vertrieb und die finanzielle Abwicklung, sowie Herrn Wolf-Dieter Bartsch für die Beschaffung der Anzeigen. Den Damen, die Korrektur gelesen haben, sei herzlich gedankt.

Ebenfalls danken wir den Sponsoren, die uns durch ihre Anzeigen finanziell unterstützen, und der Stiftung „Mopane" für die finanzielle Zuwendung. Im Namen der Redaktion wünsche ich Ihnen gewinnbringende „Perspektiven" beim Lesen und würde mich freuen, wenn Sie zur weiteren Verbreitung unserer Publikation beitragen könnten.

Erich Hertel, Bischof der ELKIN (DELK)


Erinnern - Vergegenwärtigen - Hoffnung wecken: Die Christuskirche in Windhoek

von Rudolf Hinz

Rudolf Hinz, Pastor und Oberkirchenrat em.; früher (1983 - 1989) Afrikareferent im Außenamt der EKD; jetzt Lehrbeauftragter für Missions- und Ökumenewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Kiel

Die Kirchweihe 1910
Es ist Sonntag, der 16. Oktober 1910. Nach dreijähriger Bauzeit soll an diesem Tag die Christuskirche in Windhoek eingeweiht werden. Bis zum Tag zuvor waren Menschen aus allen Teilen der Kolonie Deutsch-Südwestafrika nach Windhoek gekommen, unter ihnen nahezu alle evangelischen Geistlichen „weißer Glaubensgenossen" und Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft. Am Vorabend läuteten die „mächtigen Glocken" der neuen Kirche das Fest ein.

Wir verdanken den 'Windhuker Nachrichten', einem damals zweimal in der Woche erscheinenden Blatt, einen vorzüglich geschriebenen, detailreichen Bericht von der Einweihung (abgedruckt in der Ausgabe vom 26. Oktober 1917) - unterzeichnet von „A.P.", der über das große Ereignis nicht nur informiert, sondern auch Farbe und Wärme in seine Beschreibung bringt. Dazu enthält der Artikel Einzelheiten, die in späteren Berichten nicht mehr auftauchen oder einfach schon vergessen waren.

Abschied vom Kirchsaal
Der Kirchweih-Sonntag beginnt mit einer Abschiedsandacht im bisher genutzten Kirchsaal neben dem Pastorat in der Lüderitzstrasse. Bevor die Andacht beginnt, versammelt sich der Gemeindekirchenrat mit seinem Pastor Hammer in einem Nebenraum.

Überraschend betritt Geheimrat Brückner, stellvertretender Gouverneur der Kolonie und bei dieser Gelegenheit „offizieller Vertreter Sr. Majestät des Kaisers" den Raum und überreicht Pastor Hammer den Kronenorden IV. Klasse und dem Architekten und Baumeister Redecker und dem Kirchenältesten Finanzdirektor Junker den Roten Adlerorden IV. Klasse in Anerkennung und Würdigung ihrer Verdienste um den Kirchbau. (Auch Pastor lic. Anz - 1900-1907 Vorgänger von Pastor Hammer und inzwischen in Zehlendorf - wird für seine Vorarbeiten für den Kirchbau mit dem Roten Adlerorden IV. Klasse geehrt.)

Die darauf folgende Abschiedsandacht im alten Kirchsaal leiten Pastor Hammer und der zweite Pastor der Gemeinde, Coerper. Es wird der 103. Psalm gelesen: „Lobe den Herren, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat..." Die Pastoren Hammer und Coerper halten je eine kurze Ansprache, woran sich das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und das Lied „Unsern Ausgang segne Gott..." anschließen. Die teilnehmende Gemeinde steht während der Andacht. Die Bänke waren schon in die Christuskirche gebracht worden.

Der Festzug zur Kirche
Vor dem Kirchsaal gruppiert sich nun der lange Festzug hinauf zur Christuskirche. Voran marschiert die Militärkapelle, die auch schon vorher in den oft im Freien gehaltenen Gottesdiensten den Gemeindegesang begleitet hatte. Hinter ihnen gehen die deutschen Schulkinder Windhoeks, eines von ihnen trägt den Kirchenschlüssel auf einem Samtkissen. Ihnen folgen Pastor Hammer, Baumeister Redecker und der stellvertretende Gouverneur, Geheimrat Brückner. Danach kommen die sechs Mitglieder des Gemeindekirchenrats. Sie tragen die Kirchengeräte.

Der Festzug zur Christuskirche am 16. Oktober 1910
Danach schreiten 24 Geistliche in vollem Ornat. Hunderte von Kirchenbesuchern beschließen den Zug. In der Kirche stehen 500 Sitzplätze bereit, die alten Kirchenbänke aus dem Kirchsaal und geliehene Stühle. Die sollten aber für die große Zahl der Gäste nicht ausreichen. Am von weißem Carrara-Marmor eingefassten Portal der Kirche übergibt Baumeister Redecker den Kirchenschlüssel an Pastor Hammer, der die Tür im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes aufschließt. „O Land, Land, Land, höre des Herren Wort" (Jeremia 22, 29) steht eingemeißelt über dem Portal.

Überwältigt von der Schönheit
Der Autor des Artikels, der schon das Äußere der Kirche in begeisterten Worten beschreibt, ist - wie sicher alle Festbesucher - überwältigt vom Eindruck des Innenraums mit den großen farbigen Fenstern an den Seiten des Kirchenschiffs, den hohen Kreuzgewölben und dem raumfüllenden Klang der von einem anonymen Spender gestifteten Walcker-Orgel aus Ludwigsburg. Altar und Kanzel sind noch provisorisch, aber die farbigen Fenster der Apsis, in der Mitte das Christusbild - alle drei gestiftet vom Kaiser - überstrahlen mit ihrem Licht die Provisorien, die zusammengesuchten Sitzgelegenheiten, die behelfsmäßige Kanzel und den einfachen Altartisch, auf dem die von der Kaiserin Auguste Viktoria gestiftete Altarbibel liegt. Für die Inneneinrichtung hatte das Geld nicht mehr gereicht.

Unsichtbare Gäste
Zu den geladenen Gästen gehören auch die „farbigen Kirchenältesten der Rheinischen Missionsgemeinde" in Windhoek. Ihnen werden Sitzplätze in der Sakristei neben der Apsis zugeteilt, von der aus sie bei geöffneter Tür den Altarraum einsehen, von der Gemeinde aber nicht wahrgenommen werden können. Bei der Aufzählung der Teilnehmer am Festzug werden sie nicht erwähnt.

Der Festgottesdienst
Der Gottesdienst zur Kirchweihe ist bemerkenswerter Weise rein liturgisch gehalten. Außer der Ansprache von Pastor Hammer und der Festpredigt des Präses der Rheinischen Mission, Pfarrer Olpp, werden keine Reden gehalten. Dass der Missionspräses die Festpredigt hält, war als Zeichen der Dankbarkeit, des Respekts und der Verbundenheit mit der Rheinischen Mission gemeint.

Sie war an der Gründung der deutschen evangelischen Gemeinde durch die Entsendung eines akademisch ausgebildeten Pfarrers, Missionar Siebe, der mit Olpp zusammen ausgesandt worden war, maßgeblich beteiligt und unterstützte die Gemeinde auch weiterhin durch dessen Nachfolger im Missionarsamt in Windhoek, Wandres und Meyer. Beide gehörten der deutschen evangelischen Gemeinde als Mitglieder an und besuchten regelmäßig den deutschen Gottesdienst. Missionar Wandres vertrat den Gemeindepfarrer in dessen Abwesenheit.

Präses Olpp hatte als Bibeltext für seine Predigt einen Abschnitt aus dem 2. Korintherbrief - Kapitel 6, Vers 16 - ausgewählt: „Wir aber sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott spricht: Ich will unter ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein".

Der Verfasser des Artikels beschreibt Olpps Predigt als „eine der schönsten Predigten, welche man in Windhuk gehört hat, und aufmerksam lauschte die Gemeinde diesen tiefen und gehaltvollen Worten". Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass in diesem Lob auch eine leise Kritik an anderen Predigten, die in Windhoek gehalten wurden, mitschwingt.

Das Kirchweihfest
Auf den Gottesdienst folgt in der sorgfältig geplanten Programmabfolge dieses Festtages erst einmal ein buntes Kinderfest mit Spielen, freien Getränken und einer großen Verlosung, an der natürlich auch die Erwachsenen teilnehmen. Am Nachmittag um 16 Uhr geht es dann wieder in die Kirche zu einem Konzert unter der Leitung von Hans Müller. Es singen und spielen der ,Windhoeker Männergesang-Verein', der neu gegründete gemischte .Freiwillige Kirchenchor' sowie zahlreiche Solisten und Hans Müller als Organist. Das gedruckte Konzertprogramm ist erhalten geblieben und nennt alle Kompositionen und Solisten.

Auch die Militärkapelle leistet ihren Beitrag. Sie „verlieh namentlich den Chören einen großartigen Hintergrund. „Die ,Ehre Gottes’ von Beethoven war von mächtiger Wirkung". Beschlossen wird der Tag mit einem Festessen im großen Saal des Hotels ,Windhuk'. Es war „das größte Festessen, welches bisher im Schutzgebiet stattgefunden hat". 250 Gäste saßen an einer Quertafel und vier Längstafeln.

Auch hier macht die Militärkapelle wieder den Anfang, diesmal sicher mit Märschen und beschwingten weltlichen Weisen. Danach bringt Major Grautoff als Vertreter des Gouvernements erst einmal ein „Kaiserhoch" aus, „in welches die Festgenossen begeistert einstimmten". Danach spricht Pastor Hammer, der den Blick zurücklenkt auf die Anfänge der Gemeinde seit 1895, die Jahre der Planung und des Baus der Christuskirche.

Er dankt all denen, die zum Gelingen beigetragen hatten, angefangen von den „heimischen Kirchenbehörden" in Berlin und der Gustav-Adolf-Stiftung in Leipzig bis hin zum Kaiser. Besonders hervorgehoben wird Baumeister Redecker, der seine architektonische und den Bau leitende Arbeit neben seinem Hauptberuf als kaiserlicher Baumeister des Gouvernements geleistet hatte.

Und nun folgt eine lange Reihe von Rednern, angeführt von Baumeister Redecker, der auch an die Vorarbeiten der beiden ersten Pastoren, Siebe und lie. Anz erinnert. Mit lautem Beifall wird der Bürgermeister von Windhoek, Dr. Fritzsche, bedacht, der die Stiftung einer Turmuhr ankündigt. Auch die katholische Mission ist durch Präfekt Klaeyle vertreten, er „sprach den Wunsch nach einem friedlichen Nebeneinander-Wirken der beiden christlichen Bekenntnisse aus und bat um das beiderseitige Gelöbnis der Verträglichkeit und Liebe.

Diese Worte wurden von großem Beifall begleitet". Auf dem Hintergrund der häufig sehr polemischen Attacken der evangelischen Pfarrer gegen die Konkurrenz der katholischen Mission, die auch die katholischen deutschen Siedler betreute, war dies ein bemerkenswertes Angebot der Versöhnung. Gedankt wurde auch den Rheinischen Missionaren im Lande, die die stolze Summe von 1370 Mark als Spende für den Kirchbau und die noch fehlende Einrichtung der Kirche zusammengelegt hatten.

...auf der Veranda neben dem Saal
Bemerkenswert ist in dem Artikel die Erwähnung einer besonderen Gruppe von Besuchern, die zwar nicht an der Festtafel im Saal, sondern „auf der Veranda neben dem Saal" Platz genommen hatte: Es war der vierstimmige Chor der Rheinischen Missionsgemeinde in Windhoek, der „eine Anzahl geistlicher Gesänge in deutscher Sprache" vortrug. Der Verfasser beschreibt die Mitwirkung dieses Chors als „eigenartige, dankbar aufgenommene Aufmerksamkeit der farbigen Rheinischen Missionsgemeinde". Man darf vermuten, dass die Regie dieses Tages hier ein Zeichen setzen wollte, das auch wahrgenommen wurde: „Reicher Beifall belohnte die braven Sänger nach jedem ihrer Vorträge".

Christas im Zentrum
Im letzten Absatz seines Artikels befasst sich der Autor schließlich mit der Bedeutung des Namens der Kirche. Dass ihr der Name ,Christuskirche' gegeben wurde, deutet er als Betonung des Zentrums des christlichen Glaubens, in dem der gekreuzigte Christus mit seiner Botschaft von der alle Menschen umfassenden Versöhnung stehe. Damit sei ein Glaube, der sich allein an den „allmächtigen Gott" wendet - ohne Bezug auf Jesus Christus und seinen Tod am Kreuz - abgelehnt. Jesus Christus ist für ihn der Erlöser der Menschheit, der „in den Schwachen mächtig ist und ihnen weltüberwindende Kräfte verleiht".

Er wünscht sich, dass in der Christuskirche „das Evangelium vom gekreuzigten Gottessohne rein und lauter verkündigt wird". Dieser abschließende Kommentar zielte offensichtlich auf die Einstellung vieler Gemeindeglieder, denen das spezifisch Christliche, die Zuwendung Gottes an die ganze Menschheit und seine Kraft in den Schwachen und Leidenden, in ihrem Glauben an einen allmächtigen Herrgott fremd geblieben war.

Die Anfänge 1895 – 1903. Heinrich Siebe - Pastor und Missionar
Am 4. Advent, dem 22. Dezember 1895 hielt der von der Rheinischen Missionsgesellschaft entsandte Pfarrer Siebe seinen ersten Gottesdienst in Windhoek. Seine Entsendung kam hauptsächlich durch die Initiative des damaligen Landeshauptmanns des Deutschen Schutzgebietes Südwestafrika, Leutwein, zustande. Er hatte den Missionsinspektor Dr. Schreiber auf dessen Dienstreise nach Südwestafrika gebeten, in Windhoek wieder eine Missionsstation zu errichten und diese mit einem Pastor zu besetzen, „der sich der weißen Bevölkerung annehmen und eine deutsche evangelische Kirchengemeinde gründen sollte".

So hieß es denn auch in der Entsendungsurkunde, der ,Instruction' für Pastor Siebe: „Auf der einen Seite senden wir Sie dorthin, um entsprechend dem uns von dem Landeshauptmann, sowie auch von anderen Seiten ausgesprochenen Wunsche, die dortigen Weißen, das Militär, Beamte und andere Europäer geistlich zu versorgen..." Die andere Seite seines Auftrags war die Wiederaufnahme der lange Jahre unterbrochenen Missionsarbeit im Raum Windhoek.

Der letzte Satz der .Instruction' für Pfarrer und Missionar Siebe enthält auch einen Hinweis auf die Frage der Verbindung zwischen der ,farbigen' und der .weißen' Gemeinde (so werden die beiden Gemeinden in den frühen Dokumenten oft bezeichnet): „Wir sind uns dessen wohl bewußt, daß Ihrer dort in Windhoek mancherlei schwere Aufgaben warten, namentlich auch was das Verhältnis der beiden Gemeinden untereinander betrifft, wir hoffen aber zum Herrn, dass er es Ihnen gelingen lassen wird, nach allen Seiten hin im Segen zu wirken und Sein Reich auch dort bauen zu helfen". [...]


Kirche in der Krise

von Wilfried Blank

Wilfried Blank studierte Evangelische Theologie in Berlin, Hamburg und Göttingen. Von 1964 -1972 war er Leiter der Christlichen Akademie im Südlichen Afrika, danach bis 1983 Oberkirchenrat im Außenamt der EKD in Frankfurt. Von 1983- 1988 war Blank Landespropst der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia und ab 1985 auch Präsident der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen in SWA (VELKSWA). Seit 1996 ist er Pfarrer im Ruhestand in Potsdam.

Namibia hatte es mir schon immer angetan. Ich mochte auch die dortigen Deutschstämmigen. Viele von ihnen waren in Dürre, Hitze und Einsamkeit widerstandsfähiger als vergleichsweise Menschen anderer Länder geworden. Einige von ihnen pflegten auch hartnäckig Überzeugungen, bei denen man leicht anderer Meinung sein konnte. Aber insgesamt waren sie liebenswert, hilfsbereit und einsatzfreudig. Man musste sie gern haben.

Dass dieses Halbwüstenland kurze Zeit einmal deutsche Kolonie war, hatte bis in die Gegenwart erkennbare Spuren hinterlassen. Nicht nur einige Windhoeker Straßennamen erinnern daran. Auch in Lebensabläufen spielten einige deutsche Tugenden wie Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit eine größere Rolle, als ich dieses von Johannesburg, wo ich lange gelebt hatte, gewohnt war.

90% der Bewohner Namibias sind Christen. Das gibt es nirgendwo sonst auf dem so genannten Schwarzen Kontinent. So oft ich konnte, ging ich in die lebendigen Gottesdienste der lutherischen Gemeinde in Katutura. Aber ich erinnere mich auch gern an die liturgisch geordneteren Gottesdienste in der Christuskirche und an die Gottesdienste auf Farmen mit anschließendem „Braaivleis" (Grillen). Solche Gemeinschaftserlebnisse spielten in dem menschenarmen Land eine große Rolle.

DELK - Kind der Kolonisierung? Nutznießer der Apartheid?
Die ungefähr 8000 Glieder umfassende Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche (DELK) hatte in vielen Krisen, die sie teilweise auch selbstverschuldet durchmachte, ihre Existenz behauptet. Viele ihrer Kritiker sahen in ihr ein kolonialistisches Relikt. Zu diesem Image hatten manche schrillen Töne aus ihrer Mitte beigetragen. Beziehungen zu ihr galten in Deutschland bei manchen kirchlichen Vertretern als anstößig.

Die DELK war seit 1973 Mitglied des Lutherischen Weltbundes. Das war nicht selbstverständlich bei ihrer kirchlichen Vergangenheit, die konfessionell eher uniert, ja teilweise reformiert, war. Die DELK war frühzeitig Zielscheibe der kirchlichen Kräfte, für die weiße Präsenz auf dem schwarzen Kontinent inopportun war. Sie galt für manchen ihrer Kritiker als Nutznießer südafrikanischer Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik.

Diese abzuschaffen, sollte auch Inhalt der Verkündigung und sozialdiakonischen Arbeit aller entsandten Mitarbeiter/innen sein. Auch die Christliche Akademie, die ich von 1964 - 1972 leitete, wurde mit ihrer Tagungsarbeit daran gemessen, ob sie diesem Anliegen diente oder nicht.
Ich hielt nicht viel von diesen Vorgaben. Veränderungen im sozialpolitischen Miteinander sah ich nicht in der Verwirklichung importierter Auflagen, sondern im freien, kreativen Spiel der verschiedenen einheimischen Kräfte. Diese wollte ich ins Gespräch und Zusammenwirken miteinander bringen.

Die Rolle der ELK
Besonders schwierig empfand ich die Rolle, der aus der Arbeit der Rheinischen Mission in Wuppertal hervorgegangenen Evangelisch-Lutherischen Kirche (ELK, heute ELCRN). Deren oft von ideologischen Maximen durchsetztes Wirken fand den Beifall und die Unterstützung gleich gesonnener überseeischer Kräfte; aber für das geistliche Leben der so genannten Jungen Kirche in Namibia war das meiner Einsicht nach wenig hilfreich.

Vertreter dieses Kurses hatten für die DELK verständlicherweise wenig übrig. Vor der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Budapest wurde beispielsweise von diesen DELK-kritischen Kräften in die Welt gesetzt, dass die weiße Kirche ihrer schwarzen lutherischen Schwesterkirche (ELK) die Abendmahlsgemeinschaft verweigere. Das wäre - wenn geschehen - in der Tat eine legitime Begründung für kirchliche Suspendierung innerhalb der lutherischen Familie gewesen.

Aber vor der Abreise der Delegationen beider Kirchen nach Budapest gab es einen gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst in Windhoek. Der war keine spekulative Ausnahme. Vermehrt wurden Gottesdienste mit beiden Sakramenten (Taufe und Abendmahl) von Gliedern beider Kirchen zusammen gefeiert. Unwahrheiten sollten die Voraussetzungen für die Suspendierung schaffen.

Die Rolle der ELOK
Die Beziehungen zu der aus finnischer Missionsarbeit hervorgegangenen evangelisch-lutherischen Ovambo-Kavango Kirche (ELOK, heute ELCIN) empfand ich als leichter. Waren dafür die weiten Entfernungen und die damit fehlenden Reibungsflächen vor Ort - wie die zur ELK - verantwortlich?
Ich wusste um Schwierigkeiten zwischen ELK und ELOK. Diese durften wegen vorgeschützter schwarzer Loyalität und Solidarität nach außen hin natürlich nicht in Erscheinung treten. Aber sie waren offenkundig.

Wodurch? Die ELOK wuchs vom fernen Norden durch Wanderung vieler ihrer aktiven jüngeren Glieder (Wanderarbeit) nach Süden beträchtlich. Im traditionellen ELK-Gebiet entstanden junge aktive ELOK-Gemeinden. Ich erinnere mich besonders an Lüderitzbucht. In dieser weit abgelegenen Küstenstadt, in der ich die kleine deutsche Gemeinde etwa dreimal jährlich besuchte, entstand eine lebendige ELOK-Gemeinde neben der überalterten traditionellen ELK
- Gemeinde. Und das nicht nur dort. Das geschwisterliche Verhältnis zwischen ELK und ELOK war durch Entstehen von ELOK-Gemeinden in ihrem Traditionsgebiet der ELK auf eine harte Probe gestellt.

Der Suspendierungsbeschluss von Budapest ignorierte bewusst oder aus Unkenntnis manche namibischen Realitäten. Für kirchliche Uneinheit, sollte die DELK schuldig sein und somit suspendiert werden. Nicht aber deren schwarze Partnerkirchen mit eigenen Einheitsproblemen. [...]