Autorin: Doris Lessing Übersetzung: Marta Hackel; Lore Krüger; Elisabeth Schnack Diogenes Verlag Zürich, 1981 Broschur, 11x18 cm, 384 Seiten
Ihre Geschichten - ausgezeichnet mit dem Somerset-Maugham-Preis - berichten pointiert und psychologisch, sozialbewußt und mit Geduld von den leisen Katastrophen und dem lärmigen Dahinleben der Schwarzen und Weißen. Aus der Perspektive einer Betroffenen kommt das brüchige Selbstbewußtsein einer Schicht ins Bild, die das schlechte Erbe des Kolonialismus auch schlecht verwaltet.
Ein Heim für das Hochlandvieh Klein-Tembi Die zweite Hütte Johns Farm Leoparden-George Familie de Wet kommt nach Kloof Grange Der alte Häuptling Mshlanga Der Zauber ist nicht verkäuflich Der Ameisenhügel
Jahrelang waren die Farquars kinderlos gewesen. Dann wurde der kleine Teddy geboren. Die Freude ihrer Diener, die ihnen Geflügel, Eier und Blumen ins Haus brachten, als sie kamen, um den Säugling zu bewundern, ihr Entzücken über sein flaumiges goldenes Köpfchen und seine blauen Augen rührte die Eltern sehr. Diese Menschen gratulierten Mrs. Farquar, als habe sie etwas sehr Großes vollbracht, und sie hatte das Gefühl, es sei wirklich so. Das Lächeln, das sie den ganz in Bewunderung versunkenen Eingeborenen schenkte, war warm und dankbar. Später, als Teddy zum erstenmal die Haare geschnitten wurden, hob Gideon, der Koch, die weichen, goldenen Büschel vom Boden auf und hielt sie ehrerbietig in der Hand. Dann lächelte er den kleinen Jungen an und sagte: »Kleiner Gelbkopf.« Dies wurde der Name der Eingeborenen für das Kind. Gideon und Teddy waren von Anfang an gute Freunde. Wenn Gideon mit seiner Arbeit fertig war, trug er Teddy auf den Schultern in den Schatten eines großen Baumes und spielte dort mit ihm, bastelte seltsames kleines Spielzeug aus Zweigen, Blättern und Gras oder formte Tiere aus feuchtem Lehm. Als Teddy laufen lernte, war es häufig Gideon, der vor ihm hockte, ermunternd mit der Zunge schnalzte, ihn schließlich auffing, wenn er umfiel, und den Jungen in die Luft warf, bis beiden vor Lachen der Atem ausging. Wegen seiner Liebe zu ihrem Kinde hing Mrs. Farquar an dem alten Koch. Es kam kein zweites Kind mehr. Eines Tages sagte Gideon: »Ach, Missus, Missus, diesen hier hat der liebe Herrgott gesandt - der kleine Gelbkopf ist das Beste, was wir in unserem Hause haben!« Dieses >wir< löste ein warmes Gefühl der Zuneigung zu ihrem Koch in Mrs. Farquar aus, und am Ende des Monats erhöhte sie seinen Lohn. Er arbeitete schon seit mehreren Jahren bei ihr und war einer der wenigen Eingeborenen, die Frau und Kinder in der Siedlung hatten; deshalb äußerte er niemals den Wunsch, heim in seinen Kral zu gehen, der mehrere hundert Meilen entfernt lag. Manchmal sah man einen kleinen Piccanin, der zur gleichen Zeit wie Teddy geboren worden war; er lugte aus dem Busch und starrte den kleinen weißen Jungen mit den wunderbaren hellen Haaren und den blauen Augen des Nordens ehrfürchtig an. Die beiden Kleinen betrachteten einander voller Interesse mit großen Augen, und einmal steckte Teddy neugierig die Hand aus, um Wange und Haar des schwarzen Kindes zu berühren. Gideon, der ihnen zusah, schüttelte nachdenklich den Kopf und sagte: »Ach, Missus, beide sind Kinder, aber der eine wird aufwachsen und ein Baas sein und der andere ein Diener!« Mrs. Farquar lächelte und meinte traurig; »Ja, Gideon, ich dachte dasselbe.« Sie seufzte. »Es ist Gottes Wille«, erklärte Gideon, der eine Missionsschule besucht hatte. Die Farquars waren sehr fromm, und die gemeinsame Beziehung zu Gott verband den Diener und seine Herrschaft noch enger. Als Teddy sechs Jahre alt war, bekam er einen Roller und entdeckte den Rausch der Geschwindigkeit. Den ganzen Tag sauste er über das Grundstück, in die Blumenbeete hinein und wieder hinaus, scheuchte gackernde Hühner und knurrende Hunde auf und beendete seine Fahrt jedesmal mit einem großen, schwindelerregenden Bogen durch die Küchentür. Dort rief er: »Gideon, sieh mal, was ich kann!« Dann lächelte dieser und sagte: »Sehr fein, kleiner Gelbkopf!« Gideons jüngster Sohn, der jetzt Hütejunge war, kam extra aus der Siedlung, um den Roller zu betrachten. Er fürchtete sich, in seine Nähe zu kommen, und Teddy spielte sich vor ihm auf. »Piccanin«, rief er, »geh mir aus dem Weg!« Immer schneller umkreiste er das schwarze Kind, bis es Angst bekam und in den Busch zurückfloh. »Warum hast du ihn denn erschreckt?« fragte Gideon ernst und vorwurfsvoll. Teddy antwortete trotzig: »Er ist ja nur ein schwarzer Junge!« und lachte. Als Gideon sich wortlos von ihm abwandte, verzog Teddy das Gesicht. Bald darauf schlüpfte er ins Haus, holte eine Orange, gab sie Gideon und sagte: »Die ist für dich!« Er brachte es nicht über sich zu erklären, es tue ihm leid, aber er konnte es auch nicht ertragen, Gideons Zuneigung zu verlieren. Gideon nahm zögernd die Orange und seufzte. »Bald wirst du in die Schule gehen, kleiner Gelbkopf«, sagte er nachdenklich, »und dann wirst du erwachsen sein.« Er schüttelte sanft den Kopf und fuhr fort: »So ist das Leben.« Er schien einen Abstand zwischen sich und Teddy zu schaffen - nicht aus Groll, sondern so, wie man das Unvermeidliche hinnimmt. Der Säugling hatte in seinen Armen gelegen und ihn angelacht, der kleine Junge auf seinen Schultern gesessen und stundenlang mit ihm gespielt. Jetzt aber ließ Gideon seine Haut nicht mehr die des weißen Kindes berühren. Er war freundlich, doch in seiner Stimme lag eine ernste Förmlichkeit, vor der sich Teddy schmollend zurückzog. Dieser wurde dadurch zum Manne: Gideon gegenüber war sein Benehmen höflich und förmlich. Kam er zu ihm in die Küche und bat um etwas, so sprach er in dem Ton, den ein weißer Mann einem Diener gegenüber anwendet, von dem er erwartet, daß er ihm gehorcht. Doch eines Tages taumelte Teddy in die Küche, die Fäuste in die Augen gebohrt, und schrie vor Schmerzen. Gideon ließ den Topf mit der heißen Suppe fallen, den er gerade hielt, rannte zu dem Kind und zog gewaltsam seine Finger von den Augen. […] |